... con amore, Fabia | ... in Liebe, Fabia
von Maria Teresa Camoglio
Fabia wächst in einer traditionellen sardischen Kleinstadtfamilie auf und entwickelt in deren Enge ein rebellisches Wesen. Trotz aller Probleme und des Unverständnisses um sie herum setzt sie gegen Widerstände ihre Unabhängigkeit und ihren Freiheitswillen durch.
Die Unverstandenen
Der Film thematisiert den Konflikt zwischen Tradition und Moderne, wie er sich v.a. in der Rolle der Frauen manifestiert. Das alte patriarchalische System ist schon brüchig geworden, doch seine Tragsäulen – die Traditionen, die Kirche, auf ihre Weise auch die Unterhaltungsmedien – stützen es noch, so dass selbst die Generation der in den Siebzigerjahren Geborenen, zu der auch die Protagonistin Fabia gehört, sich bruchlos in die Ordnung einfügt. Doch nicht nur Fabia, sondern auch ihr Bruder und ihre jüngere Schwester können sich nicht mehr einfach stillschweigend unterordnen.
Die Anfangsszenen stimmen auf Fabias spätere Haltung ein. Wir sehen das kleine Mädchen, wie sich der Vater von ihr verabschiedet, um zum Jagen zu gehen, wie es den Frauen in der Küche zusieht, wie es sich misstrauisch den Floskeln und Gesten des Pastors entzieht, wie es sich auf dem Dachboden ein Refugium einrichtet, wo es seinen eigenen Wahrnehmungen nachgehen kann.
Ein Zeitsprung führt zur jungen Erwachsenen, die an der Hochzeitsfeier ihrer älteren Schwester im Kreis ihrer gut situierten Bauernfamilie teilnimmt. Sie beobachtet all die Gäste wie eine Außenstehende, hört befremdet dem teils vergifteten Tratsch der Altersgenossinnen zu und erkennt, dass deren Konventionen nicht ihre Welt sind noch jemals sein werden. Sie sieht auch, wie die Männer – darunter der älteste Bruder, der nach dem Tod des Vaters traditionsgemäß Familienvorstand ist –, in einer eigenen, freieren Welt zu agieren scheinen. Während sie die Aufgaben, die ihr die strengen älteren Frauen, meist ganz in Schwarz gekleidet, fast wortlos im Haushalt zuweisen (kochen, servieren, waschen, die Männer bedienen), immer offener zurückweist, findet sie Gefallen an handwerklichen und kreativen Tätigkeiten im Freien, wie dem Umgang mit Maschinen, dem bildnerischen Gestalten mit einfachen Mitteln, dem Sammeln interessant geformter oder gefärbter Steine.
Fabias etwa vier oder fünf Jahre jüngere Schwester Antonia, die mit ihr das Zimmer teilt, ist eine intelligente, fleißige Schülerin und wirkt erheblich selbstsicherer, unvoreingenommener als Fabia mit ihrem oft sperrigen, herben, burschikosen Wesen (»Sempre quella faccia«, tadelt die Mutter ihre Mimik). Antonia steht wohl schon für eine neue, moderne Generation, der Fabia den Weg bereitet. Mit der Zeit widersetzt sich Fabia offen und höhnisch in der Familie – sie weigert sich, den großen Bruder zu bedienen, stachelt Antonia auf, provoziert in deren Kommunionsgruppe, verweigert bei der Messe die Hostie –, doch kommt es bei aller Zuspitzung nicht zum Bruch. Stattdessen erobert sie sich Freiräume, auch im wörtlichen Sinne: Mit dem Moped erkundet sie immer weitere Kreise ihrer Umgebung (Täler, Hügel, die Küste).
Demgegenüber scheitert Fabias zweitältester Bruder zunächst daran, seinen eigenen Weg zu gestalten. Sein Studium hat ihn nicht weitergebracht, er ließ sich auf Drogen ein, wird dafür vom Ältesten brutal bestraft, verflucht und verstoßen. In Fabia hat er eine einfühlsame, starke und solidarische Partnerin, deren Züge sich bei ihm ebenso entspannen wie bei Antonia. Ihre Zuneigung manifestiert sich auch künstlerisch, als sie einen Gipsabdruck seines Gesichts fertigt. Erst bei der Arbeit im Weinberg des alten Barore scheint er einen gewissen Frieden mit sich selbst schließen zu können. Fabia besucht ihn dort, beide finden Gefallen an der Gemeinschaft mit den Landfrauen und der Arbeit in der Natur, und schließlich kehren beide in ihre Familie zurück.
Eine billig versöhnliche Lösung ist dies freilich keineswegs – die Konflikte schwelen unter der Oberfläche weiter. Nach wie vor sucht der Bruder seinen Weg, ohne eine Richtung konkretisieren zu können, verzweifelt daran, schon zuviel Zeit verloren zu haben und niemals die Unterstützung der Familie gewinnen zu können. Auch Fabia geht keiner geregelten Tätigkeit nach, experimentiert nur ziellos wie spielerisch mit verschiedenen Materialien und Techniken, wofür die Älteren keinerlei Verständnis aufbringen. Erst als sie zufällig von einem Wettbewerb für junge Künstler erfährt, ergreift sie tatkräftig die Gelegenheit und gewinnt wirklich den Platz an der Kunstakademie in Rom – ihre Chance, am Ende den Ort und seine Enge zu verlassen: »Io me ne vado.«
Der Film ist der erste Spielfilm der Sardin Maria Teresa Camoglio (1961 in Sassari geboren), die nach Ausbildungsjahren in ihrer Heimat in den Achtzigerjahren nach Deutschland zog, wo sie sich besser verwirklichen zu können hoffte. In der Tat erhielt sie einen Studienplatz an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Ihre Abschlussarbeit dort wurde von Arte und ZDF (»Das kleine Fernsehspiel«) koproduziert. Seither hat sie weitere Spiel- und Dokumentarfilme – alle außerhalb Sardiniens – für Kino und Fernsehen gedreht, Drehbücher verfasst und internationale Preise erhalten.
»Cosima« (1936, postum)
von Grazia Deledda
(1871-1936)
Camoglios Vita erinnert nicht nur an die ihrer Protagonistin Fabia, sondern auch entfernt an die Biografie von Grazia Deledda, der bedeutendsten Schriftstellerin Sardiniens und Nobelpreisträgerin 1926, deren Werke zahlreichen sardischen Filmen zugrunde liegen. Erst nach ihrem Tod (1936) erschien »Cosima«, der am stärksten autobiografisch geprägte ihrer Romane (Grazia Maria Cosima Damiana Deledda lautete ihr vollständiger Name).
Die Filmsprache ist durch eine durchgehend ruhig-sinnliche, zurückhaltend beobachtende Kameraführung gekennzeichnet. An entscheidenden Stellen fokussieren Großaufnahmen auf Mimik und Gesten, etwa auf Fabias bildnerisch-künstlerische Versuche. Ein Symbol, das von der Eingangsszene an bis zum Ende immer wieder ins Spiel kommt, ist die Jacke des Vaters; sie steht für seine Macht, für Schutz und Wärme, wie auch Fabia und ihr Bruder sie brauchen und suchen.
Einigen Szenen ist ein rätselhafter Soundtrack unterlegt, der aus polyphonen oder überlagerten Phrasen, sehnsuchtsvollen Gesängen oder Melodien besteht, die entfernt an sardische Folklore erinnern. Ansonsten verzichtet der Film, der bei Sassari (in Sennori und Marritza) mit einheimischen Darstellern gedreht wurde, komplett auf Zipfelmützen, launeddas, Dialekt und ähnliche Ingredienzien sardischer Filmtradition der früheren Jahrzehnte.
Der Film kann bei der Deutschen Kinemathek ausgeliehen werden.
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