Rezension zu »La stoffa dei sogni« von Gianfranco Cabiddu

La stoffa dei sogni

von Gianfranco Cabiddu


Eine gemischte Gruppe aus Schauspielern und Gangstern wird auf eine Gefängnisinsel verschlagen und muss dort Shakespeares »Der Sturm« aufführen.
Film · · 103 Min.
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Sardinien

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Shakespeare auf der Insel der Esel

Rezension vom 24.08.2021 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Die Insel Asinara ist eine Art Wurmfortsatz Sardiniens. Sie liegt nördlich des bedeu­tenden Fähr­hafens Porto Torres, und die Schiffe aus Genua, Marseille und Korsika gleiten in respekt­vollem Abstand vorbei. Seit 1997 ist sie National­park, aber dünn besiedelt war sie schon immer – seit 1885 beher­bergte sie lediglich ein Hoch­sicher­heitsge­fängnis. Seinet­wegen (heute Museum), wegen der herr­lichen Buchten und wegen der umfang­reichen Popu­lation wilder Esel (darunter viele Albinos) werden Touristen in »Zügen« über das Eiland gekarrt.

Doch was für ein irrwitziges, bezauberndes, wunder-volles, farb­kräftiges, poeti­sches, fantasie­volles, tiefgrün­diges Schau­spiel hat der sardische Filmregis­seur Gian­franco Cabiddu (»Disamis­tade« [› Rezension], »Il figlio di Bakunin« [› Rezension]) hier ange­siedelt! Es trägt sich irgend­wann nach dem Krieg zu, hauptsäch­lich in dem sengend heißen kleinen Gefängnis und seiner menschen­leeren Umgebung. Hier verrich­ten ein paar Aufseher ihren öden Dienst, und ihr Chef, ein gebil­deter Herr, hat viel Zeit für Bücher und fürs Nach­denken. Außerdem wohnt im Direktoren­haus seine Tochter Miranda, auf der Schwelle zwischen gehor­samem Kind und trotzigem Teenager, zwischen Mädchen und junger Frau, die ihre Lange­weile mit Baden im kristall­klaren Wasser vertreibt und langsam bemerkt, was es mit Männern und Frauen auf sich haben könnte.

Die Handlung setzt ein, als vier verurteilte Camorra-Mitglieder, von zwei Wachleuten beauf­sichtigt, zum Haft­antritt erwartet werden. Doch auf der kleinen Fähre – an Bord auch eine vierköp­fige reisende Theater­truppe – kommt es zu einer Aus­einander­setzung, in deren Verlauf der Kapitän erschos­sen wird. Im Sturm sinkt das Schiff, aber die Passa­giere werden, wie auch die Requisiten­truhe der Schau­spieler, an Land gespült. Nachdem die Polizis­ten sie aufge­griffen haben, stellt sich dem Direktor De Caro die Frage, wen er in Gewahrsam nehmen und wen er frei­lassen muss, wer hier also Mafioso und wer Schau­spieler ist. Nur zu Signor Oreste Campese, dem »Capo­comico« , fasst er Vertrauen und erlegt ihm auf, mit allen Schiff­brüchigen gemeinsam binnen weniger Tage ein Stück einzuüben, damit er sie nach ihren Talenten beur­teilen kann. Dazu wählt er Shake­speares Drama »Der Sturm« aus, das in vielerlei Hinsicht (offen und noch verborgen) zur Lage passt, aber auch einer der ganz harten Brocken der Theaterge­schichte ist.

Nun obliegt es Oreste, das Stück auf der toten Betonfläche des Gefängnis­hofes zum Leben zu erwecken, wobei Boss Don Vincenzo (auf seine ungeschlif­fene Weise auch er ein Gentleman) sowohl ihn als auch seine krimi­nellen Gehilfen unter Druck setzt, im Interesse aller ihr Bestes zu geben. Der gescheite Capo­comico ist nicht nur jeder Anforde­rung gewachsen, sondern erweist sich als genialer Theater­mann. Schon seine kluge Rollenver­teilung fängt geschickt die Charak­tere der Schiff­brüchigen und ihre Spannun­gen unterein­ander auf, aber seine wahre Meister­schaft beweist er in seinen faszinie­renden Anleitun­gen: Seinen Worten, seiner Aus­sprache, seiner Mimik, der großen und kleinen Gestik folgen wir wie hypnoti­siert, wie es auch seine Lehrlinge, die neapolita­nischen Camor­risti tun, die sich, um nicht negativ aufzu­fallen, nach Kräften bemühen, ihn zu imitieren. Echtes spieleri­sches Talent weckt er bei seinem Töchter­lein, die sich zu einem zarten, luftleich­ten Windgeist Ariel entfaltet. Im Übrigen kann Oreste auf keine anderen Mittel bauen als die, die dem elisabetha­nischen Barden in seinem »Globe« zur Verfügung standen (Kostüme, Schatten­spiele, einfache Gegen­stände, die schauer­lich donnern, klappern und rasseln).

Natürlich hat Gianfranco Cabiddu den Titel seines Films von Prospero entliehen (»The Tempest«, act IV): »We are such stuff as dreams are made on; and our little life is rounded by a sleep.« (»Noi siamo della stessa stoffa di cui sono fatti i sogni, e nello spazio di un sogno è racchiusa la nostra piccola vita.« – »Wir sind vom Stoff, aus dem die Träume sind; und unser kleines Leben beginnt und schließt ein Schlaf.«). Außer von diesem Klassiker wurde er von dem Theater­stück »L’arte della commedia« (»Die Kunst der Komödie«, 1964) des bedeu­tenden Drama­tikers Eduardo De Filippo (1900-1984) inspi­riert, mit dem er als junger Mann zusammen­gear­beitet hatte. In seinem vielschich­tigen Film korres­pondieren und spiegeln einander auf feine Weise Realität und Fiktion, Komödie und Tragödie, Drehbuch und Shake­speares Drama, und durch alle Fährnisse hindurch bewahrt der Regisseur eine leichte Stimmung voller Ironie, wie auch Oreste weder die Hoffnung noch seine hinter­gründige Heiter­keit verliert. Um seinen unerfah­renen Mitspie­lern die Arbeit zu erleich­tern, übersetzt er, wie von Don Vincenzo angeregt, den schweren Text in neapolita­nischen Dialekt, dessen ungeahnte musika­lische Kraft Cabiddu voll aus­schöpft.

Man muss einräumen, dass die Verständlichkeit dieses Films nicht nur für Nicht-Mutter­sprachler im Detail leider einge­schränkt ist. Dem Handlungs­gang kann man aber gut folgen, und der Zauber des Ganzen erschließt sich ohnehin durch die Film­sprache. Viel­leicht ergeht es uns beim Zuschauen ein wenig wie Antioco, dem urtüm­lichen Hirten, der mutter­seelen­allein mit seinen Tieren auf der Insel lebt, wie seine Vorfahren schon seit Jahrtau­senden gelebt und agiert haben mögen und der ein unver­ständ­liches Sardisch hervor­sprudelt. Am Ende wird der Kultur­lose (eine Caliban-Figur) Zeuge des Schau­spiels und steht tief bewegt.

Nachdem der Film am 1. Dezember 2016 in italienischen Kinos gezeigt und im Jahr darauf beim »David di Donatello«, »Globo d’oro« und »Bobbio Film Festival« prämiert wurde, verschwand der Film wahrschein­lich im Archiv des Mit­produ­zenten und -rechte­inhabers RAI Cinema und war nicht einmal als DVD zu erwerben. Erst 2021 konnte ich zufällig eine Ausstrah­lung bei RAIuno aufnehmen, was diese Rezension ermög­lichte.


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