Rezension zu »»Salvo amato ...« »Livia mia ...«« von Andrea Camilleri

»Salvo amato ...« »Livia mia ...«

von Andrea Camilleri


Eine liebenswürdige junge Frau aus Livias Freundeskreis wird brutal ermordet. Ein Salvo wohlbekanntes Schlitzohr wird bei einem Einbruch erwischt, der keiner war. Alles drin in diesem Film, was man an Camilleri schätzt.
Kriminalfilm · Teil der Serie »Il commissario Montalbano (Filme)« · RAI-Eri · · 125 Min.
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Sizilien

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Nur Gutes aus dem Camilleri-Baukasten

Rezension vom 26.03.2020 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Livia ist erschüttert, als eine liebe Freundin von ihr daheim im liguri­schen Bocca­dasse einem brutalen Mord zum Opfer fällt. Sie schreibt ihrem Verlobten im fernen Vigàta, was sie von den Ermitt­lern erfahren hat, und Salvo fühlt sich heraus­gefor­dert, zur Aufklä­rung des Falles beizu­tragen. Der Detail­reich­tum ihres Briefes gibt ihm gute Anhalts­punkte, er antwortet präzise und scharf­sinnig, und so geht der Brief­wechsel weiter, bis der com­missa­rio Tather­gang, Motiv und Täter­gruppe so zutref­fend umrissen hat, dass sein nord­italieni­scher Kollege den Mörder nur noch zu verhaften braucht.

Angaben zur DVD-Ausgabe folgen,
sobald sie erhältlich ist.

Die hiermit umrissene Kriminalerzählung besteht, wie schon der Titel »›Salvo amato …‹ ›Livia mia …‹« (»›Liebster Salvo …‹ ›Meine liebe Livia …‹«) nahelegt, nur aus ein paar Briefen. Jegliche äußere Handlung fehlt, denn Montal­bano löst den Fall allein in seinem Kopf, lesend, nach­denkend, schluss­folgernd und schrei­bend.

Ausgerechnet dieser ›Briefroman‹ en miniature soll sich für einen massen­taug­lichen Fernseh­film eignen? Man hat ihn dazu kräftig um­gekrem­pelt wie kaum eine andere Text­vorlage zuvor. Insbe­son­dere hat man die Brief­gestalt getilgt, die örtliche Trennung der beiden Briefe­schreiber aufge­hoben, den Schau­platz aus Ligurien nach Sizilien verlegt, ein paar zusätz­liche Figuren und Winkel­züge hinzu­erfunden, so dass von der origi­nellen Erzählung nichts als der elemen­tarste Hand­lungs­kern des Mordfalls erhalten blieb. Die Radikal­kur hat auch positive Folgen: Sie können die Erzählung ruhig vorab lesen. Dann kennen Sie zwar Tather­gang, Motiv und Täter, doch hält der Film noch etliche kurz­weilige Über­raschun­gen bereit.

Zur Handlung: Das Stadtarchiv von Vigàta ist für den Sommer geschlos­sen. Ein paar Hand­werker, die Reno­vierungs­arbeiten ausführen, finden in einem Flur die brutal zugerich­tete Leiche von Agata Cosentino, 27, Mitarbei­terin dieser Behörde. Ein Sexual­delikt liegt nicht vor, und niemand wüsste einen Grund, warum jemand diese tüchtige, überall beliebte Person (»tutta la gioia nostra«) hätte töten wollen. Vom Wesen her zurück­haltend, ver­schenkte sie Vertrauen und Freund­schaft nur sparsam. Zu ihrem engeren Kreis durfte sich auch Livia zählen, seit sie ihr während eines kurzen Arbeits­aufent­haltes in Genua geholfen hatte. Von der schreck­lichen Nachricht erschüt­tert, fliegt Livia sofort nach Sizilien, um Agatas Eltern zur Seite zu stehen.

Commissario Montalbano ermittelt in Agatas kleinem Bekannten­kreis, bei ihren Arbeits­kollegen sowie den Bauar­beitern. Das gestaltet sich wie gewohnt: Der Chef rätselt und hypothe­tisiert, Mimì Augello und Fazio ziehen los und sammeln Fakten, und wenn’s spannend wird, fahren alle drei im uralten Fiat los, um wichtige Zeugen zu treffen oder Schau­plätze zu unter­suchen. Dabei erfahren sie allerlei Geheim­nisse, von denen in der Text­vorlage keine Spur zu finden ist, die die Handlung aber schön würzen.

Wie in vielen Montalbano-Filmen ist mit dem ernsten Mordfall ein kleinerer, amüsan­terer Fall verwoben, der auf einer anderen Erzählung beruht – hier ist das »Il vecchio ladro« (»Der alte Ein­brecher«). Von deren origineller Handlung wurde auch nur der Kern über­nommen – der Rahmen wurde dem Universum der Filmserie angepasst. Jetzt ist der Prota­gonist kein netter alter Dieb aus Not und Gewohn­heit mehr, sondern der junge unver­besser­liche Klein­krimi­nelle Pasquale. Der erzie­hungs­resis­tente Sohn von Adelina, Salvos begna­deter Köchin und rabiater Haus­hälterin, ist den Zuschauern seit den Anfängen der Serie als nicht unsym­pathisch, bisweilen sogar hilfreich bekannt.

Obwohl die beiden Fälle unabhängig vonein­ander sind und sich in Ton und Thematik unter­scheiden, stehen sie doch bis zum Schluss in einer fein unter­halten­den Wechsel­wirkung aus Anspan­nung und befrei­ender Komik. Herrscht im einen Trauer und Fassungs­losig­keit vor, bringt der andere Wortwitz und kauzige Figuren; fördert der eine grausame Wahr­heiten ans Licht, regieren im anderen Clever­ness, Sturheit und Wider­borstig­keit.

Wie immer spielt das Städtchen Vigàta als Schau­platz eine glänzende Rolle. Optisch eine Montage aus den Schmuck­stücken mehrerer Drehorte im Südosten Siziliens (Ragusa, Mòdica, Scicli, Noto, Sciàcca, Punta­secca), hat der fiktio­nale Ort über die Jahre eine zeitlose eigene Identität ange­nommen. Straßen und Plätze sind in der Regel menschen­leer, die Atmos­phäre wird somit allein von Camilleris Charak­teren, der reichen Kultur der Stadt­bilder und dem Sonnen­schein geprägt. Aber Vigàta ist alles andere als ein Museum – die moderne Technik (Digitali­sierung, Smart­phones, Über­wachungs­kameras …) und sehr aktuelle Themen (Flücht­linge, Wirt­schaft, Europa …) bestim­men das Leben wie anders­wo auch. Dennoch vermit­telt die Stadt, wo Salvo Montal­bano arbeitet, wohnt, begeis­tert schlemmt und im Meer badet, dem Zuschauer ein Gefühl alt­herge­brach­ter heiterer Lebens­lust. Streite­reien und Liebe, Frustra­tionen und Genüsse, Ver­brechen und Mensch­lichkeit, Trauer und Heiter­keit, Lachen und Weinen liegen nah beiein­ander – in den Erzäh­lungen, Romanen und Verfil­mungen wie im richtigen Leben. Camilleris Figuren wissen die ewigen Abläufe gelassen zu nehmen, und der Schau­spieler Luca Zingaretti verkörpert die wider­sprüch­lichen Nuancen des tief­gründi­gen com­missa­rio in idealer Weise.

Gegenüber den privaten Aspekten treten soziale in diesem Film in den Hinter­grund, ohne ausge­blendet zu werden. Camilleri war stets ein gesell­schaft­lich enga­gierter Künstler, doch nie Ideologe. Er zeigt Krimi­nalität, Fehl­verhal­ten, Miss­stände auf, betrach­tet sie aber als Phänomene der komplexen mensch­lichen Natur, die es in erster Linie zu erfassen und (als Schrift­steller) wahrhaft und vorur­teilsfrei darzu­stellen gilt. Diesem Anliegen dient auch die durch­gängige Ironie des Stils, der manche Härte zu mildern vermag. Am überzeu­gend­sten sind in dieser Hinsicht die frühen Erzäh­lungen, die Camilleri und seinen com­missa­rio Montal­bano so beliebt und berühmt gemacht haben, während sich manche späten Romane thema­tisch über­heben. In dieser Hinsicht ist der Film ein sehr erfreu­licher Kom­promiss.

Bemerkenswert:

• Die Produktion dieser Episode musste mit einigen Verlusten fertig­werden. Marcello Perracchio, der wunder­bare Darsteller des gran­tigen Gerichts­arztes dottor Pasquano war bereits am 28. Juli 2017 verstor­ben. Die Figur wurde erst jetzt durch einen ganz anderen Typ ersetzt. Am 17. Juli 2019 – mitten in den Dreh­arbeiten – starb Andrea Camilleri, der Autor, und kaum drei Wochen später Alberto Sironi, der Regisseur, der sämt­lichen Verfil­mungen ihre unver­wechsel­bare Gestalt gegeben hatte. In dieser Lage übernahm Haupt­dar­steller Luca Zinga­retti die Regie für die beiden Epi­soden der 14. Staffel.

• Einem Wunsch Camilleris folgend, wurde dieser Film vor der Aus­strah­lung im Fernsehen zuerst im Kino gezeigt – am 24., 25. und 26. Februar. Der Erlös wurde zwei Wohl­tätig­keits­institu­tionen gespendet.


• Informationen zu den Textgrundlagen des Films finden Sie in der Übersicht aller Fernsehfilme.

• Außerdem bietet Ihnen Bücher Rezensionen vollständige und stets aktualisierte Übersichten aller Fernsehfilme, aller Romane und aller Erzählungen über den commissario Montalbano.


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