Der große Plan
von Wolfgang Schorlau
Eine Beamtin des Auswärtigen Amtes wird entführt. Dengler soll sie finden und kommt nebenbei dahinter, was bei der »Griechenlandrettung« alles schief lief und wer die Milliarden der Steuerzahler eingesackt hat.
Werden Sie reich: Retten Sie einen Staat!
Jahrelang beherrschte die »Rettung Griechenlands« die Schlagzeilen. Hochrangige Politiker aus mehreren Ländern diskutierten erbittert, wie zu verfahren sei, und jonglierten dabei mit Fachtermini, die dem Laien eher verschleierten als offenlegten, ob nun Milliardenpakete rein theoretisch im Haushalt vorgesehen oder tatsächlich in den Süden überwiesen wurden und wer die Rechnung, ob in echtem oder Buchgeld, bezahlen würde. Viele wundern sich, dass Griechenland trotz aller »Rettungsaktionen« heute nicht nennenswert besser dasteht und viele Hellenen noch immer in ärmlichen Verhältnissen leben. Milliarden sind geflossen, doch wo sind sie geblieben?
Wolfgang Schorlau könnte man einen investigativen Romancier nennen. Er verbindet kontrovers diskutierte politische Ereignisse und Themen von höchster Brisanz nach sorgfältiger Recherche mit einem fiktionalen Plot aus dem Krimigenre. Mit dieser Methode ging er zuletzt den Morden der NSU nach (»Die schützende Hand« [› Rezension]), jetzt hat er sich die Hintergründe der »Griechenlandrettung« vorgeknöpft. Sein Protagonist ist der Privatdetektiv Georg Dengler, den wie gewohnt seine IT-affine Partnerin Olga unterstützt. Dazu engagiert er Petra Wolff, die nicht auf den Mund gefallen, richtig tüchtig und hübsch anzuschauen ist. Alleine könnte er nämlich nicht stemmen, was ihm von höchster Ebene gegen gute Bezahlung aufgetragen wird: Er soll herausfinden, was es mit der Entführung von Anna Hartmann auf sich hat, die des Nachts mitten im Berliner Botschaftsviertel in einen schwarzen Van gezogen und nie mehr gesehen wurde. Die Sache ist insofern heiß, als die Beamtin zum Mitarbeiter-Team der »Troika« gehörte, dem Dreigestirn der Geldgeber zur »Rettung Griechenlands« (Zentralbank, Internationaler Währungsfond und Europäische Kommission).
Was Dengler und seine Damen im Zuge ihrer Ermittlungen herausfinden, lässt unseren Atem stocken angesichts unglaublicher Vorgänge, und die Geldgebirge, um die es geht, lassen uns schwindeln. Sie decken verborgene Machenschaften auf, die keineswegs der Besserung von Griechenlands objektiv desolater Wirtschaftslage diente. Vielmehr hatte sich ein Netzwerk europäischer und amerikanischer Banken, Hedgefonds und Investoren mit Anleihen und Wetten ordentlich verzockt. Der milliardenschwere »Rettungsschirm«, vom europäischen Steuerzahler finanziert, wurde über denjenigen aufgespannt, die, so impliziert Schorlau, die griechische Schuldenkrise letztlich verursacht hatten und noch aus jeder Krise Geld herausschlagen.
Unweigerlich stellen sich den Lesern dieser Art von Enthüllungs-Krimis Fragen: Geht es dem Autor um politische Aufklärung? Verwässert dann der Krimiplot nicht sein hehres Ziel? Ist ein Unterhaltungsroman ein geeignetes Medium, um ein komplexes, abstraktes Wirtschaftsthema verständlich aufzubereiten? Selbst ein Fachbuchautor hätte Mühe, Fakten zu verschlungenen Vorgängen, die je nach Intention der Agierenden verhüllt, verfälscht oder verleugnet werden und wo keine Theorie unwidersprochen bleibt, zu ermitteln und überzeugend zu präsentieren.
Oder geht es dem Autor um fetzige Unterhaltung? Konterkariert ein so umfängliches Thema wie internationale Wirtschaftspolitik dann nicht die beabsichtigte Wirkung? Wie viele Elemente des Romans sind »wahr«, wie viele hat er zurechtgeschnitzt oder frei erfunden, um die Handlung spannend zu gestalten oder das Publikum zu schocken?
Wenn es dem Autor tatsächlich gelungen ist, bislang ungekannte Wahrheiten aufzudecken, wie konnten sie all den professionellen Journalisten und Wissenschaftlern verborgen und der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben? (Verschwörungstheorien, dass irgendwelche Eliten sich verabredet hätten, ein ganzes Volk dumm zu halten, können mich nicht überzeugen.) Schorlau verweist im Nachwort (»Finden und Erfinden«) auf seine Homepage, wo er für interessierte Leser Material und Literatur verlinkt hat.
Kurzum, Schorlau hat eine schwere Kiste an Land gezogen – und sich nach meinem Empfinden ordentlich daran verhoben. Denn auch die historische Dimension will er angemessen ausgestalten. Die deutsche Wehrmacht hat, wie im Zuge der »Griechenlandrettung« umfänglich berichtet wurde, das Land besetzt, ausgebeutet und die Bevölkerung mitleidlos misshandelt. Nach dem Krieg hat die Bundesrepublik daraus resultierende Schuldzuweisungen und Entschädigungsansprüche in diplomatischen Verhandlungen zu den Akten zu legen versucht, doch in der aktuellen Diskussion leiteten viele Griechen aus der historischen Schuld mehr oder weniger radikale Forderungen nach deutschen Finanzspritzen ab. So bekommt der Politik-/Wirtschafts-/Geschichts-Krimi auch noch eine moralische Dimension, aber die gestaltet Schorlau übersichtlich: Auf der einen Seite stehen die Deutschen als Nazi-Verbrecher, Kommandeure, Geizhälse und Raffgeier, auf der anderen Seite die Griechen, misshandelt, ausgesaugt, ihrer Chancen beraubt, aber trotz aller Misere gastfreundlich und tugendsam wie eh und je. (Mit Recht prangert der Autor an, wie Teile der deutschen Medienlandschaft »die Griechen« systematisch als initiativlos, faul, korrupt und raffiniert porträtierten.)
Wie bringt man nun in so einer dichten Gemengelage auch noch eine adäquate Krimihandlung unter? Dazu konstruiert Schorlau die Familie der entführten Anna Hartmann und pflanzt ihr alle relevanten Zutaten ein. Ihr gestrenger Großvater Otto, prinzipientreu, national gesinnt, Banker in leitender Position, gründet im Ruhestand eine Stiftung, die seine Vision eines geeinten Europas unter deutscher Führung realisieren soll. Leider ist sein Sohn renitent. Nicht einmal die Enterbung hindert ihn, eine Griechin zu ehelichen. Erst die Geburt der Enkelin Anna vermag den Alten zu erweichen. Sie wird sein Ziehkind und soll nach seinem Tod die Stiftung führen.
Der Entführungsplot dümpelt über viele Seiten vor sich hin. Recherchen laufen ins Leere, Teambesprechungen fassen die dürftigen Ergebnisse zusammen, Alltagsgeschäft und Beziehungsgedöns nehmen breiten Raum ein. Zwischendurch gibt es ein paar Tote: »Freelancer«, die im Dunstkreis der Entführer bzw. ihrer Auftraggeber davonwabern bzw. zu Asche komprimiert und ermittlungstechnisch folgenlos entsorgt werden.
Viel aufwühlender ist die erschütternde und beschämende Schreckensgeschichte auf historisch verbürgter Grundlage, die parallel zur Arbeit des Teams erzählt wird. Im Mittelpunkt steht Otto Hartmanns ostpreußischer Kriegskamerad Gero von Mahnke (eine fiktive Figur). Wie all diese Handlungsstränge miteinander verknüpft sind, erschließen erst die letzten sechzig Seiten. Dann legt das Krimigeschehen richtig los, und Dengler riskiert sein Leben. Was man an Vorahnungen gehegt hatte, erweist sich nur als Kaffeesatz, denn der Autor zieht ein überraschendes Ass aus dem Ärmel, und das Tatmotiv ist nach all den Höhenflügen dann doch banal.
Mir war der 450-Seiten-Schmöker zu diffus, als dass er mich überzeugen konnte. Was Schorlau alles pingelig recherchiert und aufwändig erläutert hat (inklusive Abbildungen, Grafiken, Zitaten und Webseite), ist schlichtweg beeindruckend und lehrreich, aber vieles ist aus den kritischen Medien durchaus bekannt. Seine Botschaften über den Zustand Europas und der Finanzwelt frustrieren zutiefst und rütteln hoffentlich die Lesermassen auf (ohne dass sie simplen Parolen aufsitzen). Aber der Krimiplot klemmt zwischen allen Stühlen, als gehöre er nicht dazu, und fasziniert nur wenig. Schorlaus Erzählstil klingt oft dröge und lehrbuchhaft, was mit der schablonenhaften Gestaltung mancher Figuren zu wenig Leben aufkommen lässt.