Rezension zu »Doppelbindung« von Walter Burk

Doppelbindung

von


Kriminalroman · Gmeiner · · Taschenbuch · 280 S. · ISBN 9783839215173
Sprache: de · Herkunft: ch

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Genese einer Mordgeschichte

Rezension vom 24.06.2014 · 4 x als hilfreich bewertet mit 2 Kommentaren

Im Appenzellerland lässt sich's ordentlich urlauben. Alles ist aufgeräumt, sau­ber, übersichtlich. Wenn Sie z.B. im Alpsteingebirge zum Berggasthaus »Plat­ten­bö­de­li« hinaufgewandert sind, genießen Sie auf der Terrasse (1284m ü.d.M. und ein paar Kilometer Luftlinie hinter der Grenze zu Liechtenstein) ein herr­li­ches Panorama über den Sämtisersee auf die umliegenden Gipfel, während Sie sich bei einem frisch bereiteten Sennenrösti und »Ghürotne« (süßer und saurer Most gemischt) stärken.

Hier hat Walter Burk, Schweizer Autor, Philosophie-, Natur- und Wanderfreund, der die Region kennt wie seine Westentasche, seinen ersten »Alpsteinkrimi« lokalisiert. Eine zentrale Figur darin ist Roger Marty (englisch, nicht französisch auszusprechen), ebenfalls Schriftsteller und zu Recherchezwecken für einen neuen Roman im Alpsteingebirge unterwegs. Roger ist Burks fiktionales alter ego.

Die Wirtin des »Plattenbödeli« heißt (im Krimi) Franziska (»Fränzi«) Fässler, und sie hat viel zu tun in der Saison. Da kommt ihr die Bewerbung einer jungen Deutschen als »Serviertochter« sehr gelegen. Viola Szymanska, 25, stammt aus Bottrop und möchte nach Schule und Studium einen Sommer lang in der Schweiz jobben.

Viola sucht nicht nur Lebensunterhalt und -erfahrung. Im rundum angenehmen Höhenklima des »Plat­ten­bö­de­li« will sie auch ihre gesundheitlichen Probleme in den Griff bekommen und Klarheit über die Beziehung zu ihrem Freund gewinnen. Jan Bauer, 28, Vermögensberater bei einer Essener Privatbank, wird alle paar Wochenenden die weite Fahrt auf sich nehmen, um Viola zu besuchen.

Bald ist die junge Frau mit den Eigentümlichkeiten des Appenzell-Innerrhoder Dialekts ebenso vertraut wie mit den Geheimnissen der Speisekarte und denen ihrer Stammgäste. Einige der letzteren haben drän­gen­des Interesse offenbart, die attraktive, ehrgeizige und neuen Ideen aufgeschlossene Deutsche näher ken­nen zu ler­nen.

Bis »Fränzi« eines Sonntagmorgens in den Naturkeller unterm Altbau hinabsteigt, wo der Bergkäse lagert. Ein »gellender Schrei« entfährt ihr, als sie Viola leblos am Boden liegen sieht, ihr Kopf »unnatürlich zur Seite rotiert«. Wenige Minuten später hat sie schon ihren Bruder am Telefon, und Bruno Fässler, der erfah­rene Abteilungsleiter bei der Kriminalpolizei Appenzell, übernimmt die Ermittlungen. Zur Seite stehen ihm Spurensicherung, Forensik und Staatsanwalt.

An diesem Wochenende beherbergt der Berggasthof ungewöhnlich viele Übernachtungsgäste. Alle müssen einzeln vernommen werden, bis für die Ermittler und den Leser ein breites Spektrum an möglichen Moti­ven und Handlungsoptionen aufgefaltet ist und jedes unter die Lupe genommen werden will. Zwischen Mord aus Eifersucht und Wirtschaftsdelikt ist alles offen – und keine Erkenntnis ist sicher.

Soviel zum nackten Krimiskelett des Mordes in der Bergidylle, unspektakulär und ohne blutige Effekt­ha­sche­rei.

Der besondere Reiz dieses ungewöhnlichen Romans ist seine Doppelbödigkeit. Mit Roger Marty installiert Walter Burk sein Spiegelbild in der fiktionalen Welt – eine in den Krimiplot involvierte Figur, die zugleich einen Roman schreibt, sich dafür aus ihrer (fiktionalen) Realität bedient, sie aber auch transformiert. Mit dieser cleveren Erzählkonfiguration gestaltet Burk ein ironisches Vexierspiel über Realität und Fiktion, die live vollzogene Fiktionalisierung der Realität, die im kühnen Umkehrschluss die Realisierung einer Fiktion nicht ausschließt. »Fiktion und Realität sind ja oft nicht so weit auseinander, wie man denkt«, lässt Roger Marty ganz unschuldig, aber »mit einem süffisanten Lächeln« fallen, als Bruno Fässler ihn vernimmt.

Das philosophische Fundament seines Romans stützt der Autor mit einer Fülle von Zitaten. Sie erreichen ihre höchste Dichte in einem langen Diskurs, den Roger Marty kurz vor dem Ende mit Violas Kollegin Monika führt. Mit Weisheiten von einem Dutzend Geistesgrößen garniert, geht es um des Menschen Hand­lungs­frei­heit, Beziehungspsychologie, Roman- und Erzähltheorie. Roger, so kommentiert der Erzäh­ler am Schluss, »genießt die Art von Gesprächen, in denen er seine ganze Lebenserfahrung und auch einige tref­fen­de Zitat einbringen kann.« Wie schon sein Titel »Doppelbindung« illustriert die selbstironische Text­stel­le die Mehrdimensionalität des Romans: Dies ist nicht nur ein Krimi, sondern auch ein Roman über einen Roman, ein Autor schreibt über einen Autor, und mancher Protagonist lebt vielleicht wirklich ...

Darüber hinaus ist Walter Burk offenkundig ein Perfektionist und obsessiver Datensammler. Da gibt es keinen Umstand, zu dem der Leser nicht beiläufig einen Sack voll interessanter und präzise formulierter Fakten geliefert bekommt: Wanderwege und Fahrtstrecken; die Geschichte der »Ruhrpolen« (polnische Bergleute, die im 19. Jahrhundert als ›Gastarbeiter‹ ins Ruhrgebiet kamen); die Vorzüge, die eine »stra­te­gi­sche Asset-Allokation« dem fortgeschrittenen Anleger verspricht; eine Übersicht sämtlicher Tö­tungs­de­lik­te im Alpsteingebirge seit 1524; Analyseverfahren der Rechtsmedizin ... Durfte Burk in der Fo­rensik den plas­tik­be­schürz­ten Göttern in Blau beim Leichentranchieren über die Schulter schauen? Aus welcher Quelle auch immer der Autor sein uferloses Faktenwissen gesogen hat, wir lernen von ihm unter anderem, dass Genickbruch C5/C6 nicht unbedingt den Tod zur Folge haben muss. Erst die »Fraktur des ›Dens axis‹« bei gleichzeitigem »Riss der Bänder des Dens, welche normalerweise diese Drehbewegung (des Kopfes) sta­bi­li­sie­ren und einschränken, wurde das verlängerte Rückenmark abgequetscht oder durch­trennt ... Dadurch kam es zur Zerstörung der Nervenzentren für die Atmung und des Blutkreislaufes – und [dies] hatte den sofortigen Tod zur Folge«.

So aufschlussreich all dies ist, so bremst es doch den Drive des Krimis. Wie spricht schon der Maler An­drea del Sarto (in Robert Brownings gleichnamigem Gedicht von 1855): »less is more, Lucrezia«. Die spiralförmige Struktur sorgt ebenfalls für ein besinnliches Tempo. Nach gut hundert Seiten haben wir den Mordfall im Wesentlichen erfasst und folgen fortan den Vernehmungen der Gäste und des Personals auf dem »Plattenbödeli«. Ihre Aussagen – weitestgehend in Dialogform erfasst – wiederholen naturgemäß viele Umstände, ehe ein erinnertes oder beobachtetes Detail eine neue Perspektive hinzufügt.

»Doppelbindung« wird als eine Art Heimatkrimi vermarktet – »Alpsteinkrimi« lautet Walter Burks neue Ei­gen­mar­ke (mit gut gemachter Homepage www.alpsteinkrimi.ch), unter der 2015/2016 noch zwei weitere Romane mit Bruno Fässler er­scheinen werden. Die ausführlich inventarisierten Schauplätze rechtfertigen die Bezeichnung, aber eine rechte Atmosphäre, eine gewisse heimatliche Wärme will bei dem faktisch-nüch­ter­nen Stil nicht aufkom­men. Und für einen waschechten »Krimi« fehlt es an Knisterspannung und Über­ra­schun­gen. So könnte die­ses intellektuell vergnüglich prickelnde Buch manchen erwartungsfrohen Krimi­fan ein bisschen enttäuscht zurücklassen.

Das Fazit über dieses unterhaltsame und kluge, wenn auch etwas überladene Debüt hat Walter Burk – oder Roger Marty? – gleich selbst formuliert: »Das Buch kommt unterschiedlich gut an – der eine Kreis von Le­senden ist von der Komplexität der Geschichte und der Verwirrung fasziniert, der andere hat Mühe, sich auf die schwer fassbare Trennung von literarischer Realität und Fiktion der Parallelwelt einzulassen. Doch damit sind sie ja nicht alleine, überlegt Roger, das geht mir ja auch so, seit ich mit dem Schreiben begon­nen habe.«


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Kommentare

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Zu »Doppelbindung« von Walter Burk wurden 2 Kommentare verfasst:

Corinna schrieb am 07.04.2015:

Ich fand den Roman total prätenziös. Der Autor überschwemmt den Leser mit seinem Wissen. Die Charaktere bleiben blass, sie sprechen Sätze wie aus einem Buch.
Landschaftssbeschreibungen fehlen, an Stelle solcher gibt es auführliche Routenbeschreibungen.

Ausserdem gibt es im Buch Grammatik und andere Fehler. der zweite Roman besser ist?

Gion schrieb am 27.01.2016:

Ich schliesse mich Corinnas Meinung und der Rezension oben an: Sehr platt geschrieben, mit lokalen Örtlichkeiten und Spezialitäten gespickt, ohne dass diese aber eine Rolle spielen würden. Der Roman könnte ebenso am Nordpol spielen. Der Lesefluss wird oft durch theoretische Einschübe zur Polizeiarbeit etc gebremst. Spannung kommt nicht auf, eher wirken gewisse Ereignisse zu zufällig. Und ja, Grammatikfehler am laufenden Band gibt es leider auch.
Mein Fazit: Jemand wollte auf den Lokalkrimizug aufspringen, hat aber in seinem Buch schlecht dosiert zwischen Wichtigem und Unwichtigem, Das Resultat ist ein mässig spannendes Buch ohne Pfiff. Ich kann es nicht empfehlen.

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