Rezension zu »Zwetschgermännla-Morde - 14 Kurzkrimis aus Franken zur Weihnachtszeit« von Goerz, Korber, Kröner, Prosch u.a.

Zwetschgermännla-Morde - 14 Kurzkrimis aus Franken zur Weihnachtszeit

von


Weihnachtliches · Teil der Serie »Weihnachtliches« · ars vivendi · · 184 S. · ISBN 9783869138589
Sprache: de · Herkunft: de

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Süß klingen die Glocken hier nie

Rezension vom 19.11.2017 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Zwetschgermännla: ach wie herzig! Das sind allerliebste Figürchen mit schlanken Körpern aus getrock­neten Pflaumen, Feigen, Wal­nüssen, ausstaf­fiert mit Wams und Rock aus rot-weißem Stoff, grünem Hut und echtem Wander­stöck­chen. Auf dem Cover dieser Geschich­tensamm­lung schauen ein paar Exemplare dieser possier­lichen fränki­schen Spezies einander von der Seite an – halb schüchtern, halb schelmisch.

Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Weder morden Zwetschger­männla noch werden sie gemeu­chelt. Die vierzehn origi­nellen Kriminal­erzählun­gen erfüllen nur bedingt, was Titel und Bild versprechen. Nicht einmal Weihnachts­nostalgie wollen sie auf­kommen lassen. Absolut lesens­wert sind sie aus anderen Gründen – sie stimmen nachdenk­lich und sind dann sogar auf ganz eigen­tüm­liche Weise »besinn­lich«.

Zwischen den Buchdeckeln erwartet uns Kerniges aus unserem real existie­renden Dezember-Alltag, Smart­phones, Designer­bier, Flipcharts und Büro­stress inklu­sive. Weil die Franken auch nicht besser sind als andere, brechen sie die Ehe, morden hinter­hältig, bauen Bomben, stehlen, prügeln sich und miss­brauchen Drogen, und all das auch in der zweiten Dezember­hälfte.

Alle vierzehn Erzählungen spielen zur Weihnachts­zeit, aber die meisten ihrer Charak­tere haben kein Ohr für Engel­chen­gesang. Es sind unge­liebte Kinder, Jugend­liche ohne Zukunfts­chancen, Obdach­lose, Verkäufe­rinnen, Polizisten und Journa­listen unter Zeit- und Erfolgs­druck. Doch die Themen – kleinere und größere Verbrechen, misslun­gene Beziehun­gen, kaputte Familien, zerstörte Existenzen – erklingen nicht in rühr­seligen, klassen­kämpferi­schen oder päda­gogisie­renden Tonlagen, sondern werden sachlich präsen­tiert, hier mit ein wenig Ironie, dort mit merk­licher Sympa­thie, hier mit einem Hauch von Poesie, da surreal verkleidet. Die Handlungs­verläufe tragen teils makabre, teils witzige, teils schräge Züge, die Ausgänge sind versöhn­lich, katastro­phal, tragisch, halb offen. Der Leser wird nach jeder Geschichte inne­halten und ins Grübeln geraten – und das ist zu Weih­nachten nicht das Schlech­teste.

Eine Lieblingsgeschichte konnte ich nicht ausmachen. Welche übergrei­fenden Kriterien wären bei der Vielfalt auch anzu­wenden? Stilistisch stimmig, originell und über­raschend sind alle, auch unter­haltsam auf dem schmalen Grat der ernsten Themen. Inhalt­lich und sprach­lich fällt »Die Schu­lung« von Helwig Arenz ein wenig aus dem Rahmen. Obwohl auch sie in einem prekären Milieu spielt (vier Ange­stellte eines Discoun­ters und ihre Kunden), gestaltet der Autor Handlung und Figuren mit satiri­scher Leichtig­keit. Trocken und unge­künstelt erzählt die lebens­tüchtige Protago­nistin, die ihre Pappen­heimer bestens kennt, wie sich die kleine Beleg­schaft kurz vor Weih­nachten noch einer Fortbil­dung unter­ziehen muss und ihr Wissen dann gleich in einer unver­mittelt eskalie­renden Gefahren­situation anwenden kann. Witzig ist nicht nur ihr Verkäufe­rinnen-Fach­jargon, sondern auch ihre Kommen­tare zum eigenen Arbeits­platz (immer­hin »sauberer und weniger asi als beim Neddo«) und die zur respekt­losen, pampigen Kund­schaft (»Die Leute, die hier einkauften, waren einfach irre.«).

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Fast alle Texte legen den Finger mitten in die Wunden unserer Wohl­stands­gesell­schaft, wo Unmoral, Egoismus, platter Materia­lismus, die rücksichts­lose Durchset­zung des eigenen Vorteils blühen, in der es aber an Empathie und simpelster Menschlich­keit mangelt. Wir lesen haupt­sächlich von den Schwachen, die sich am Rande durch­schlagen, etwas vom Kuchen klauen, trotz ihrer Armut und Verhär­tung unterein­ander vielfach solida­rischer verhalten als die Wohl­haben­den.

Als Kinder wussten wir alle noch ganz intuitiv: »Dies ist gut und jenes ist böse.« Kommt uns diese Gewissheit »unmerk­lich abhanden im Laufe des Lebens«, oder schlagen wir an einem bestimmten Punkt bewusst den falschen Weg ein? Für einige der Protago­nisten gilt: weder – noch. Sie sind Opfer der Zeitläufte, die sie sich nicht ausge­sucht haben, die sie nicht beein­flus­sen konnten. Einer hat als russischer Soldat im Tschet­sche­nien-Krieg gekämpft und seine Moral bewahrt (»Friede auf Erden« von Roland Ball­wieser und Petra Rinkes). Unter Einsatz seines Lebens versuchte er, ein schwer verletztes Rebellen­mäd­chen zu retten. Als er beim Klauen von Medika­menten erwischt wurde, folter­ten ihn die Russen und schickten ihn in die Minen­felder. Dann flüchtete er über Umwege nach Deutsch­land, konnte aber nie Fuß fassen. Jetzt ist er obdach­los. Am Straßen­strich, wo er sich täglich herum­treibt, wird er Zeuge, wie hierzu­lande junge Mädchen ausge­beutet und miss­handelt werden. Gern wäre er noch einmal der starke Krieger von damals, aber jetzt ist er alt, herun­tergekom­men und selbst hilfs­bedürf­tig.

Keine Zwetschgermännla, keine leuchtende Christ­baum­wärme – wie steht es denn um das fränkische Flair, auf das der Titel hoffen lässt?

Die Geschichten spielen fast ausschließ­lich in Städten, Dörfern, schönen Wäldern und verschnei­ten Berg­gegen­den der fränki­schen Kern­lande zwischen Steiger­wald, Bamberg und Nürnberg-Erlangen (das südliche Mittel-, das nördliche Ober­franken und ganz Unter­franken sind zu Weihnachten offenbar sünden­frei). Mit einer Brauerei als Schau­platz trifft man einen fränki­schen Nagel auf den Kopf, aber die übrige rühmens­werte Kulinarik bleibt außen vor. Manchmal erklingt der markante Dialekt mit seiner trotzigen Resis­tenz gegen harte Konso­nanten (»Bass hald auf, sonst bringt des Christkindla dir fei nix.«), die »Bolizei« ist fleißig, und sogar der »Pelzmärtel« (sprich »Bälzmärdl«) findet Erwäh­nung. All das reicht so gerade hin, dass patriotische Einheimi­sche, gebür­tige, aber in die Ferne verschla­gene Franken und Fans dieser Region sich in diesem Buch zu Hause fühlen können.

Die Autorinnen und Autoren von A (wie Helwig Arenz) bis W (wie Johannes Wilkes) sind alle in Franken geboren oder hierher zugezogen, viele erhielten regionale Krimipreise oder andere Auszeich­nungen.

Ein abschließender Hinweis am Rande: Anders als im Online-Handel ausgewiesen ist dies keine gebundene Ausgabe mit 200 Seiten, sondern ein Taschenbuch von 184 Seiten.


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