Zwetschgermännla-Morde - 14 Kurzkrimis aus Franken zur Weihnachtszeit
von Goerz, Korber, Kröner, Prosch u.a.
Süß klingen die Glocken hier nie
Zwetschgermännla: ach wie herzig! Das sind allerliebste Figürchen mit schlanken Körpern aus getrockneten Pflaumen, Feigen, Walnüssen, ausstaffiert mit Wams und Rock aus rot-weißem Stoff, grünem Hut und echtem Wanderstöckchen. Auf dem Cover dieser Geschichtensammlung schauen ein paar Exemplare dieser possierlichen fränkischen Spezies einander von der Seite an – halb schüchtern, halb schelmisch.
Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Weder morden Zwetschgermännla noch werden sie gemeuchelt. Die vierzehn originellen Kriminalerzählungen erfüllen nur bedingt, was Titel und Bild versprechen. Nicht einmal Weihnachtsnostalgie wollen sie aufkommen lassen. Absolut lesenswert sind sie aus anderen Gründen – sie stimmen nachdenklich und sind dann sogar auf ganz eigentümliche Weise »besinnlich«.
Zwischen den Buchdeckeln erwartet uns Kerniges aus unserem real existierenden Dezember-Alltag, Smartphones, Designerbier, Flipcharts und Bürostress inklusive. Weil die Franken auch nicht besser sind als andere, brechen sie die Ehe, morden hinterhältig, bauen Bomben, stehlen, prügeln sich und missbrauchen Drogen, und all das auch in der zweiten Dezemberhälfte.
Alle vierzehn Erzählungen spielen zur Weihnachtszeit, aber die meisten ihrer Charaktere haben kein Ohr für Engelchengesang. Es sind ungeliebte Kinder, Jugendliche ohne Zukunftschancen, Obdachlose, Verkäuferinnen, Polizisten und Journalisten unter Zeit- und Erfolgsdruck. Doch die Themen – kleinere und größere Verbrechen, misslungene Beziehungen, kaputte Familien, zerstörte Existenzen – erklingen nicht in rührseligen, klassenkämpferischen oder pädagogisierenden Tonlagen, sondern werden sachlich präsentiert, hier mit ein wenig Ironie, dort mit merklicher Sympathie, hier mit einem Hauch von Poesie, da surreal verkleidet. Die Handlungsverläufe tragen teils makabre, teils witzige, teils schräge Züge, die Ausgänge sind versöhnlich, katastrophal, tragisch, halb offen. Der Leser wird nach jeder Geschichte innehalten und ins Grübeln geraten – und das ist zu Weihnachten nicht das Schlechteste.
Eine Lieblingsgeschichte konnte ich nicht ausmachen. Welche übergreifenden Kriterien wären bei der Vielfalt auch anzuwenden? Stilistisch stimmig, originell und überraschend sind alle, auch unterhaltsam auf dem schmalen Grat der ernsten Themen. Inhaltlich und sprachlich fällt »Die Schulung« von Helwig Arenz ein wenig aus dem Rahmen. Obwohl auch sie in einem prekären Milieu spielt (vier Angestellte eines Discounters und ihre Kunden), gestaltet der Autor Handlung und Figuren mit satirischer Leichtigkeit. Trocken und ungekünstelt erzählt die lebenstüchtige Protagonistin, die ihre Pappenheimer bestens kennt, wie sich die kleine Belegschaft kurz vor Weihnachten noch einer Fortbildung unterziehen muss und ihr Wissen dann gleich in einer unvermittelt eskalierenden Gefahrensituation anwenden kann. Witzig ist nicht nur ihr Verkäuferinnen-Fachjargon, sondern auch ihre Kommentare zum eigenen Arbeitsplatz (immerhin »sauberer und weniger asi als beim Neddo«) und die zur respektlosen, pampigen Kundschaft (»Die Leute, die hier einkauften, waren einfach irre.«).
Bücher und Musik-CDs für die Advents-
und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Fast alle Texte legen den Finger mitten in die Wunden unserer Wohlstandsgesellschaft, wo Unmoral, Egoismus, platter Materialismus, die rücksichtslose Durchsetzung des eigenen Vorteils blühen, in der es aber an Empathie und simpelster Menschlichkeit mangelt. Wir lesen hauptsächlich von den Schwachen, die sich am Rande durchschlagen, etwas vom Kuchen klauen, trotz ihrer Armut und Verhärtung untereinander vielfach solidarischer verhalten als die Wohlhabenden.
Als Kinder wussten wir alle noch ganz intuitiv: »Dies ist gut und jenes ist böse.« Kommt uns diese Gewissheit »unmerklich abhanden im Laufe des Lebens«, oder schlagen wir an einem bestimmten Punkt bewusst den falschen Weg ein? Für einige der Protagonisten gilt: weder – noch. Sie sind Opfer der Zeitläufte, die sie sich nicht ausgesucht haben, die sie nicht beeinflussen konnten. Einer hat als russischer Soldat im Tschetschenien-Krieg gekämpft und seine Moral bewahrt (»Friede auf Erden« von Roland Ballwieser und Petra Rinkes). Unter Einsatz seines Lebens versuchte er, ein schwer verletztes Rebellenmädchen zu retten. Als er beim Klauen von Medikamenten erwischt wurde, folterten ihn die Russen und schickten ihn in die Minenfelder. Dann flüchtete er über Umwege nach Deutschland, konnte aber nie Fuß fassen. Jetzt ist er obdachlos. Am Straßenstrich, wo er sich täglich herumtreibt, wird er Zeuge, wie hierzulande junge Mädchen ausgebeutet und misshandelt werden. Gern wäre er noch einmal der starke Krieger von damals, aber jetzt ist er alt, heruntergekommen und selbst hilfsbedürftig.
Keine Zwetschgermännla, keine leuchtende Christbaumwärme – wie steht es denn um das fränkische Flair, auf das der Titel hoffen lässt?
Die Geschichten spielen fast ausschließlich in Städten, Dörfern, schönen Wäldern und verschneiten Berggegenden der fränkischen Kernlande zwischen Steigerwald, Bamberg und Nürnberg-Erlangen (das südliche Mittel-, das nördliche Oberfranken und ganz Unterfranken sind zu Weihnachten offenbar sündenfrei). Mit einer Brauerei als Schauplatz trifft man einen fränkischen Nagel auf den Kopf, aber die übrige rühmenswerte Kulinarik bleibt außen vor. Manchmal erklingt der markante Dialekt mit seiner trotzigen Resistenz gegen harte Konsonanten (»Bass hald auf, sonst bringt des Christkindla dir fei nix.«), die »Bolizei« ist fleißig, und sogar der »Pelzmärtel« (sprich »Bälzmärdl«) findet Erwähnung. All das reicht so gerade hin, dass patriotische Einheimische, gebürtige, aber in die Ferne verschlagene Franken und Fans dieser Region sich in diesem Buch zu Hause fühlen können.
Die Autorinnen und Autoren von A (wie Helwig Arenz) bis W (wie Johannes Wilkes) sind alle in Franken geboren oder hierher zugezogen, viele erhielten regionale Krimipreise oder andere Auszeichnungen.
Ein abschließender Hinweis am Rande: Anders als im Online-Handel ausgewiesen ist dies keine gebundene Ausgabe mit 200 Seiten, sondern ein Taschenbuch von 184 Seiten.