Rezension zu »Meier« von Tommie Goerz

Meier

von


Meier muss wegen eines Mordes einsitzen, den er nicht begangen hat. Kaum ist er wieder frei, macht er sich auf die Suche nach dem wahren Täter. Ein Durchschnittsname, ein Durchschnittsmensch, ein Durchschnittsplot, aber ein erfrischend ungewöhnliches Krimivergnügen jenseits jeglichen Durchschnitts.
Kriminalroman · ars vivendi · · 160 S. · ISBN 9783747201114
Sprache: de · Herkunft: de

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book

Im zweiten Leben wird alles besser

Rezension vom 14.12.2020 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Ein Held mittleren Alters, der einfach nur »Meier« heißt, das erweckt den Eindruck von Under­state­ment. Tatsäch­lich entwi­ckelt der Mann mit dem blassen Aller­welts­namen unter einer stillen Ober­fläche erstaun­liche Aktivi­täten, die uns Leser bis zum Schluss mitreißen.

Erst einmal muss man Meier bedauern, und das für lange Zeit, denn es erwischt ihn übel. Eine Frau wird ermordet, und die gefun­denen Spuren (ein Base­ball­schläger, eine Ziga­retten­kippe) sind eindeutig ihm zuzu­ordnen. Seine Beteue­rungen, die getötete Frau gar nicht gekannt zu haben und nie am Tatort gewesen zu sein, machen vor Gericht keinen Eindruck. Statt­dessen brummt man ihm zwölf Jahre Haft auf.

Nun beginnt eine harte Leidenszeit der Demütigungen und der Ohnmacht. Die Wachleute lassen sich von ihren Launen treiben und diri­gieren die einsit­zenden Ver­brecher, wie es ihnen in den Sinn kommt. Die Krimi­nellen aus aller Herren Länder, viele mit beein­drucken­den Lebens­läufen abseits der Gesetze, malträ­tieren den Neuling erbar­mungslos mit den verab­scheuungs­würdigs­ten Methoden. Irgendwie gelingt es ihm, sich in der Hack­ordnung einen Platz zu erobern.

Mit der Zeit arrangiert er sich mit dem »Leben in der Warte­schleife, auf dem Abstell­gleis«, dem immer gleichen Tages­ablauf, dem miesen Essen, dem Einge­sperrt­sein. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Er füllt die Leere seiner Existenz, in der ihm schon das Plät­schern und Glucksen laufenden Wassers im Wasch­becken als »reiches Geräusch […] von Freiheit und Ferne« erscheint. Die engen Zellwände begrenzen den Raum, um seinen Körper fit zu halten, aber für die Exkur­sionen seines Geistes gibt es keine Schranken. Das Analy­sieren beherrscht er, hat er doch einmal Physik und Philo­sophie studiert. Jetzt beob­achtet er sein Umfeld, erforscht das Wesen seiner Mitge­fangenen, von denen »jeder Vierte« nach kurzen Episoden in der Freiheit wieder hinter die ver­trauten Gitter zurück­kehrt, knüpft Kontakte mit denen, die Verbin­dungen zu Netz­werken draußen unter­halten, und lässt dabei Nützlich­keitserwä­gungen walten.

Als er wegen guter Führung zwei Jahre früher in die Gesell­schaft entlassen wird, hat er die ewig lang erschei­nende »Zeit gut genutzt«. Wie wird er es jetzt schaffen, mit seinem Leben zurechtzu­kommen, nachdem man ihm Freunde, Heimat, alles genommen hatte? Er bekommt auch etwas: 320,50 Euro »Restlohn, nach Abzug aller Kosten«, doch weit werden ihn die nicht tragen. Er zieht ein bitteres Resümee: »Ihr wart es doch, die mich zum Krimi­nellen gemacht haben […] Ihr wollt mich kriminell? Ihr könnt mich kriminell haben.«

Und damit nimmt die Handlung von Meiers zweitem Leben eigent­lich erst ihren Lauf. Es ent­wickelt sich eine Art Roadmovie mit grob umris­senem Ziel: Nie lässt er seine Absicht aus den Augen, Rache zu üben und sich von dem, worum er betrogen wurde, etwas zurück­zuholen – zumindest einen Haufen Geld, um damit endlich ein gutes Leben zu führen. Auf der Strecke spielen ihm manch glück­liche Zufälle und Begeg­nungen in die Hand, doch auf der Hut muss er immer sein. Deswegen sucht er sich ein Refugium im tiefsten nowhere land, dem ehe­maligen »Zonen­rand­gebiet« an der früheren inner­deutschen Grenze zwischen Fichtel­gebirge und Franken­wald. Erst kommt er in Pensionen unter, dann findet er bei Hof ein gut gelegenes, herunter­gekom­menes Haus direkt an den viel befah­renen Gleisen der Haupt­strecke Berlin-München. Dauerhaft wohnen will er dort freilich nicht. Vielmehr ist er ständig unterwegs, um seine Recher­chen in der Unterwelt des organi­sierten Verbre­chens voranzu­treiben. Den neu­gierigen Nachbarn gegenüber gibt er den Handlungs­reisen­den für Im- und Export.

Was macht das Besondere dieses knapp 160 Seiten langen Krimis aus? Er kommt ohne Gewalt- und blut­rünstige Szenen aus und glänzt statt­dessen durch Intelli­genz, Tempo­reichtum und eine faszinie­rende Coolness der wendungs­reichen Handlungs­führung und der messer­scharfen, präzisen Sprache. Tommie Goerz pflegt einen aufs Minimum redu­zierten Stil, der trotz – oder gerade wegen? – der Kompri­mierung ungemein evokativ wirkt. Mit wenigen Worten wird dem Leser eine klare Vor­stellung ver­mittelt, bei­spiels­weise von der Gefängnis­atmos­phäre, den (gerne leicht über­zeich­neten) Menschen, der ober­fränki­schen Nachbar­schaft, die alles im Blick hat und kontrol­liert. Aus der Zeichnung manch schrul­liger Figur blitzt freund­licher Humor. Auf welche Weise dieser Kriminal­roman den Leser in Bann hält, das setzt ihn deutlich vom Main­stream ab und macht ihn doch ohne Einschrän­kung für jeder­mann empfeh­lenswert.

Hinter dem Pseudonym Tommie Goerz verbirgt sich übrigens der 1954 geborene Marius Kliesch, Soziologe, Lehr­beauf­tragter, Unter­nehmens­berater und nebenher Schrift­steller. Beim Verlag ars vivendi in Cadolz­burg (bei Nürnberg), der auf Fränki­sches aller Art (auch Kulinari­sches) spezia­lisiert ist, sind zwischen 2010 und 2020 bereits neun Krimis mit dem Kommissar Friedo Behütuns erschie­nen – natür­lich ein Ur-Franke durch und durch.

»Meier« habe ich in die Liste meiner 20 Lieblings­bücher im Herbst 2020 aufge­nommen.


War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Meier« von Tommie Goerz
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book


Kommentare

Zu »Meier« von Tommie Goerz wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top