Ein Killer lässt das Killen nicht
Die Mühe, den Schlossherrn Alfred Gänswein aus dem feschen Seefeld in Tirol auf der Forbes-Liste der Wirtschaftsmagnaten zu suchen, können Sie sich getrost sparen. Wahrscheinlich wird sein Name in überhaupt keiner Liste des Universums geführt.
Wozu auch? Er gehört nicht »zu Fortunas Günstlingen«. Er ist dreißig, sieht aus wie einundzwanzig (mancher nennt ihn nur »Jungelchen«) und ist weder mit einer über das Mittelmaß hinausschießenden Intelligenz noch mit irgendwelchen hervorstechenden Talenten gesegnet. Immerhin hat »Alfie« diverse Macken und Ängste zu bieten; beispielsweise trachtet er danach, Katzen und Ananas aus dem Weg zu gehen, denn mit beiden verbindet ihn eine herzliche Allergie.
Nach wechselhaften Erfahrungen in Berufen aller Art (beispielsweise als Verkäufer von Herrenschuhen, Lederwaren, Tierfutter und Souvenirartikeln – leider alles glücklos) übt sich Alfie derzeit als »Barista« (so fühlt er sich; die Arbeitsplatzbeschreibung spricht schnöde von »ungelernter Kellner«). Seine Wirkungsstätte findet man auf dem Marktplatz einer norddeutschen Kleinstadt. Es ist das Café Schröpp, vollkommen zutreffend »alteingesessen« zu nennen, hat doch der Vater des jetzigen Betreibers es einst mit neuem Mobiliar ausgestattet, das seither unverdrossen, wenn auch nicht unverändert seine Pflicht erfüllt.
An diesem Ort hat Alfie es geschafft, sich als Mann zu bewähren. Großen Talents bedurfte es nicht, Frau Schröpp zu schwängern. Aber er hat schnell und klar durchschaut, dass die Sache ihm Ärger einbringen wird, und eine stahlharte Entscheidung getroffen. Er muss sich schleunigst verdünnisieren, bevor Dietmar Schröpp, »ein bulliger, schädelrasierter Zweimetermann«, sein Chef und Frau Schröpps Ehemann, ihm mit stahlharter Faust zeigt, was er von der Sache hält.
Nun muss Fortuna zumindest ein Einsehen mit unserem Alfie gehabt haben, denn statt drohendem Pech und Schwefel lässt sie ihm das bislang verwehrte Glück postwendend als Brief zustellen. Er trägt den feinen Kopf der Kanzlei Resnik, Rinnerthaler & Suss, Seefeld, Tirol, Österreich, und informiert den Adressaten, dass Matthias Gänswein verstorben sei (der Adressat kennt ihn als berühmt-berüchtigten alten Onkel »Matze«) und das gesamte Erbe seinem Neffen Alfred Gänswein als Alleinbegünstigtem vermacht habe. Mit dieser frohen Botschaft in der Tasche kann sich Alfie zuversichtlicher auf die Flucht begeben als einst sein gebeutelter Vorgänger, der populäre Dr. Kimble.
Pünktlich zur Testamentseröffnung spricht Alfie am 20. September bei Anwalt Rinnerthaler vor. Ein Freund seines verstorbenen Onkels ist ebenfalls geladen. Jonathan Peters ist sein Name, aber wegen seiner frappanten Ähnlichkeit mit »The Big Lebowski« führt Alfie ihn fortan unter dem Alias »Jeff Bridges«. Ob er wohl des Onkels schwuler Lebenspartner war? Ob er ihm wohl sein Erbe abspenstig machen will? Keine Sorge, Alfie – nichts von alledem, Jeff ist als »Consultant« bestellt, um die Richtigkeit des Testaments zu bezeugen.
Tatsächlich: »Mein ganzes Hab und Gut, tutti kompletti, alles« hat der gute Onkel – Gott hab ihn selig – dem einzigen verbliebenen echten Gänswein überschrieben! »Alles«, erläutert Jeff Bridges dem »Jungelchen« später, meint das »Waldschlössl in Eins-a-Seeuferlage«, aus dem er und Onkel Matze eine gutgehende Pension gemacht hätten. Alfie verfällt ins Träumen: ein Schlosshotel in bester Lage in einem der renommiertesten Urlaubsorte Tirols, und er der gut betuchte Schlossherr!
Doch das Erwachen vor Ort ernüchtert ihn schnell. Zwar ist die Lage des Grundstücks wirklich »Eins-a«, aber zwei Türmchen zur Seeseite machen leider noch lange kein Schloss aus einer Bruchbude. Bei näherer Betrachtung ist das Beste, was man mit dem Teil tun kann, es abzureißen.
Wenn da nicht die Dauerlogisgäste wären.
Jeff Bridges stellt Alfie ein Panoptikum überaus rüstiger Senioren vor, alle mindestens siebzig und keine(r) senil. Eine Asiatin mit Prinz-Eisenherz-Frisur (ein Klon von Mireille Mathieu) flötet Alfie einen lasziven Willkommensgruß entgegen. Ein Muskelpaket in Militärhose, Springerstiefeln und mit Augenklappe (ein Double von Mosche Dajan) haut einen hammerharten Freundschaftsklaps auf Alfies Schulter, dem er nicht Stand hält. Aus einem breit ausladenden Lederfauteuil kommentiert eine strenge Lady mit aristokratischem Timbre in der Stimme das Geschehen: »Ich hoffe ja sehr, dass sich unter dem neuen Management nichts ändert. Ich verabscheue Veränderungen«, raunt eine Kopie von Maggie Smith, der Herzoginwitwe aus »Downton Abbey«. Weitere Bewohner der Seniorenresidenz wird Alfie später noch kennenlernen; jetzt muss er erst einmal die frischen Eindrücke verarbeiten. Jeff hat ihm die außergewöhnliche Klientel wärmstens ans Herz gelegt. Die Herrschaften suchen an diesem Ort nichts als Ruhe, um »den Sonnenuntergang ihres Lebens« genießen zu können, verdientermaßen, denn hinter jedem liegt ein aufregendes Leben als international agierender Auftragsmörder.
Dem »Schlossherrn« selbst wird allerdings nicht die erwünschte Ruhe zuteil. Irgendjemand will ihn aus dem Weg räumen. Als Alfies Leben als Leiche einzusetzen droht, ihm nur wenig Luft zum Atmen und wenig Zeit zum Nachdenken bleibt, weil man ihm einen Plastesack über den Kopf gestülpt hat, da wird ihm klar, dass man ihn bereits hatte umbringen wollen, noch ehe er Seefelder Boden betrat. Hatte ihn nicht auf dem Münchner Bahnsteig jemand ungehalten aus dem Weg geschubst, dass ihn fast der ÖBB-Zug überrollt hätte? War nicht Anwalt Rinnerthaler mit einem leisen »Plopp« tot von seinem Drehstuhl gerutscht, kaum dass Jeff und er das Büro verlassen hatten? Die Erkenntnis, dass er die Zielperson der Anschläge war, kommt Alfred reichlich spät. Denn nun hat er höchst akute Probleme. Seine Füße sind gefesselt und mit einem großen, kantigen Stein beschwert, und das mitten im Wildsee ...
Tatjana Kruses Roman »Grabt Opa aus« ist ein kurzweiliger, witzig-skurriler Alpenkrimi, der von vorn bis hinten einen amüsanten, süffisanten, leicht ironischen Ton durchhält. Schräge Figuren, dazu ein Antiheld als Protagonist wirbeln eine turbulente Handlung auf, die im Olympia-Sport- und Kongresszentrum von Seefeld kulminiert. Da liefern sich die schwer bewaffneten Senioren und ihre Kontrahenten, die es immer noch auf Alfie abgesehen haben, und das komplette Kampfaufgebot, das die Polizei zu bieten hat, einen James-Bond-würdigen Showdown. Nicht nur der ist kräftig überzogen, und manche Passage schrappt quietschend und knarzend an der Leitplanke zu albernem Klamauk entlang.
Wo Alfie auftritt, verziehen sich bald sämtliche Sorgen, und wenn nicht Fortuna, so hält doch jemand anders eine schützende Hand über ihn ...