Seht, was ich getan habe
von Sarah Schmidt
In schwärender Augusthitze werden ein puritanischer Familientyrann und seine vulgäre Frau mit der Axt erschlagen. Angeklagt wird die Tochter Lizzie, aber drei weitere Personen hätten in dieser verfaulten Familie ebenso gute Gründe zum Zuschlagen gehabt.
Trautes Heim, Glück allein
Der Mordfall Lizzie Borden ist einer der berühmtesten in der Geschichte der US-Justiz. Sie wurde 1892 angeklagt, ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen zu haben. Verteidigt von den besten Anwälten, wurde sie mangels hinreichender Indizien freigesprochen. Stets hatte sie ihre Unschuld beteuert, und ohnehin konnte man sich kaum vorstellen, dass Frauen überhaupt ein derartiges Verbrechen begehen könnten.
Als die australische Bibliothekarin und Autorin Sarah Schmidt zufällig auf den Fall stieß, war sie sogleich fasziniert – von der Protagonistin, dem Hype, den die Berichterstattung ausgelöst hatte (Literatur, Musik, selbst die Spielzeugindustrie vermarktete die Geschichte), von der Nachlässigkeit der polizeilichen Ermittlungen, die zur Folge hatten, dass viele Fragen zum Tathergang bis heute offen blieben. Aus dem, was sie recherchieren konnte, gestaltete Sarah Schmidt ihren Debütroman »See What I’ve Done« (2017), eine sinnliche literarische Aufbereitung der historischen Ereignisse, die nun in der Übersetzung von Pociao auf Deutsch erschienen ist.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei Tage, der 3. und der 4. August 1892 (der Tag des Doppelmords). Neben dem wohlhabenden Textilunternehmer Andrew Borden und seiner zweiten Ehefrau Abby befinden sich nur seine Tochter Lizzie, 32, und das Dienstmädchen Bridget, 26, im Haus, das im Übrigen sicher verschlossen ist. Was sich darin abspielt, erzählen alternierend vier Betroffene in Vor- und Rückblenden. Das verschafft dem Leser einen differenzierten Blick in die Vergangenheit, die jeweilige Rolle im innersten Familienzirkel, die subjektive Befindlichkeit und die unterschiedliche Wahrnehmung des Verbrechens.
Unvermittelt beginnt der Roman mit Lizzies Aufschrei »Jemand hat Vater getötet!«. Und sofort beeindruckt uns eine Spezialität der Autorin, die ungefilterte Darstellung intensiver Wahrnehmungen, eingefangen von allen fünf Sinnen. Lizzie nimmt alle Details der dahingemetzelten Körper ihres Vaters und ihrer Stiefmutter wahr (wie »eine Mahlzeit, Reste eines Gelages, zurückgelassen von einem wilden Hund. Die Hautfetzen auf seiner Brust, das Auge, das auf seiner Schulter lag. Sein Körper als Buch der Offenbarung«), sie berührt, riecht und schmeckt das Blut, ehe Nerven und Emotionen sie überwältigen. Erst eine starke Beruhigungsspritze des herbeigeholten Hausarztes verleiht ihr wieder Fassung. Und diese sensible Frau soll eine blutrünstige Schlächterin sein? Wie wir im Laufe der mehrstimmigen Geschichte heraushören werden, hat ihr Charakter in der Tat auch berechnende, dominante, kaltblütige Seiten, die eine Täterschaft plausibel erscheinen lassen.
Um den Beweis überzeugend zu führen, hätte es freilich einer sorgfältigen Sicherung des Tatorts, des Auffindens der Mordwaffe, der einfühlsamen Befragung der wenigen Zeugen bedurft. Dazu sind die Polizisten vor Ort nicht in der Lage, und wozu auch, wo die junge Mörderin doch offensichtlich vor ihnen steht, verwirrt und benebelt und ohne jede Erinnerung.
Motive, ihren Vater zu töten, finden wir bei Lizzie wie bei ihrer zehn Jahre älteren Schwester Emma genug. Andrew Borden ist ein starrköpfiger Geizhals. Sein patriarchalisch strenges Regiment nach puritanischer Tradition duldet keine Widerworte. Um den erwachsenen Töchtern abwegige Hirngespinste wie das Malen oder die Taubenzucht auszutreiben, macht er sich lustig über sie oder verprügelt sie gleich. So bestimmen Bevormundung, Neid, Unterdrückung und Hass das Zusammenleben der Bordens und machen die Tage für alle unerträglich. Bei den geselligen Abenden im Wohnzimmer kaschiert Scheinheiligkeit die latenten Spannungen. Vater liest, die Stiefmutter stickt: »Trautes Heim, Glück allein. Hier ist mein Zuhause.«
Als Andrew Lizzies liebevoll gehütete Tauben allesamt mit der Axt köpft, prophezeit sie ihm: »Gott wird dich strafen.« Hat er mit der Gewalttat den Bogen überspannt? Hat er damit Lizzie zu blutiger Rache angestoßen?
Emma, die ältere Tochter, hat sich kurz zuvor zu einer Freundin abgesetzt, fest entschlossen, nie mehr in ihre Familie zurückzukehren. Denn auch zwischen den beiden Schwestern herrschen seit dem Tod ihrer leiblichen Mutter nur Zwietracht, Boshaftigkeit und Missgunst. Und auch Hausmädchen Bridget kann es nicht erwarten, dieses Haus zu verlassen. Sie ist für ausnahmslos alle Fußabtreter, Blitzableiter und Sündenbock. Jeder tyrannisiert, schikaniert und demütigt sie, hinterlässt ihr gedankenlos sein unaufgeräumtes Zimmer, seinen Nachttopf, verschmutzte Kleidung, Essensreste auf Tisch und Teppich. Sie hätte allen Grund, einmal kräftig zurückzuschlagen.
Als wären diese historischen Personen nicht schon schauderhaft genug, um das Verbrechen plausibel herbeizuführen, erweitert die Autorin den Kreis der Verdächtigen noch um eine fiktionale Gestalt, den sonderbaren Fremden Benjamin. Der hat bereits »dies und das« auf dem Kerbholz, als ihm John Morse, Bruder der verstorbenen Mutter von Emma und Lizzie, einen Deal nahelegt. Er weiß, wie seine Nichten unter Schwager Andrew und seiner vulgären zweiten Ehefrau Abby zu leiden haben, und bietet »tausend Dollar, wenn alles gut läuft«. Ein Mordauftrag? Jedenfalls ist Benjamin am 4. August mit gewissen Vorsätzen auf dem Anwesen der Bordens, beobachtet so manches aus einem Versteck heraus und überlegt gut, wie er daraus Kapital schlagen könnte.
Differenziert und drastisch erzählt Sarah Schmidt die Vorgänge in dieser seelisch verkrusteten Familie. Jede Erzählstimme kocht das gruselige Verbrechen neu auf und serviert die Details bis zum Überdruss. Alles ist aufgeheizt von der hochsommerlichen Glut und durchdrungen von deren biologisch unausweichlichen Folgeerscheinungen. Die Luft ist schwer von den Körpergerüchen der Lebenden, ihren Schweißabsonderungen, ihren unkontrollierten Ausgasungen, in die sich der Blut- und Verwesungsgeruch der Ermordeten mischt. Die beiden Leichen mit ihren klaffenden Wunden sind auf dem Esstisch aufgebahrt. Das Haus ist durchzogen von Schwaden aus den Nachttöpfen, von fauligen Gerüchen nach verdorbenem Essen und der widerlichen Hammelbrühe mit Maiskuchen, die, immer gleich, jeden Morgen zubereitet wird. Ungehindert lassen die Herrschaften ihren Verzehr- und Verdauungsgeräuschen freien Lauf. Die morbide, animalische Atmosphäre macht die allgemeine Verwahrlosung der Personen, ihrer Beziehungen zueinander, des ganzen Anwesens sinnfällig, aus der das Böse und die Katastrophe wie zwangsläufig zu erwachsen scheinen.