Rezension zu »Der letzte Wolf« von S. A. Cosby

Der letzte Wolf

von


Ein schwarzer Südstaaten-Sheriff will es allen recht machen, aber die uralten Fronten sind verhärtet.
Kriminalroman · ars vivendi · · 382 S. · ISBN 9783747205181
Sprache: de · Herkunft: us

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe

Ein Balanceakt in der Vorhölle

Rezension vom 13.04.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Der Afroamerikaner S. A. Cosby wurde 1973 in Virginia geboren, wo er in ärmlichen Verhält­nissen aufwuchs und lebens­lang persön­liche Erfah­rungen mit Rassis­mus und Ausgren­zung machte. Für das Schreiben hat er sich schon in jungen Jahren begeis­tert, dann englische Literatur studiert. Litera­risch haben ihn bedeu­tende Autoren des Kriminal­genres wie Agatha Christie, Dennis Lehane, Elmore Leonard und Walter Mosley beein­flusst. In all seinen Romanen verbindet er Elemente des Kriminal­romans und des Thrillers mit gesell­schaft­lichen Themen, insbe­sondere der Rassen­diskrimi­nierung. Kein Wunder, dass Ex-Präsident Barrack Obama seine Bücher schätzt und »All the sinners bleed« auf seine Sommer­leseliste gesetzt hat. In der Über­setzung von Jürgen Bürger ist dieses Buch nun auch auf Deutsch erschie­nen.

Der Schauplatz liegt an der Chesa­peake Bay, einem Meeres­arm, der sich von Norfolk über 300 Kilometer nach Norden erstreckt, bis nach Washing­ton D.C. und Baltimore. Auf einer der Halb­inseln, die in dieses weit­läufig veräs­telte Gewässer hinein­ragen, ist der Autor zu Hause, und dort, im Nirgendwo, hat er auch das fiktio­nale Kaff ange­siedelt, in dem sich die Handlung im Jahre 2017 zuträgt. Gleich der Auftakt­satz – »Charon County wurde aus Blut und Dunkel­heit erschaf­fen« – setzt einen düsteren Ton von geheim­nis­voller Mystik, geahnten und durch­littenen Gefahren. Der Name spielt auf den mythi­schen Fährmann an, der die Toten über den Fluss Styx zum Eingang des Hades rudert, aber nur, wenn sie ihm ihren Obolus ent­richtet haben. Im histori­schen Kontext von Virginia erinnert der Satz aber vor allem an eine lange Ver­gan­gen­heit voller Grau­sam­keiten, geprägt vom Hass zwischen weißen Siedlern, Farbigen und Native Americans, von Bürger­krieg, von Sklaverei, Unter­drückung, Rassismus, Lynch­morden und Polizei­gewalt. Bis heute bestimmt gesell­schaft­liches Gegen­ein­ander den Alltag.

Hier also ist Titus Alexander Crown, der 36-jährige Prota­gonist, geboren und aufge­wachsen. Zehn Jahre lang hatte er in Indiana für die Abteilung Inlands­terroris­mus des FBI gear­beitet, bis er, nachdem ein Einsatz in einem Blutbad geendet hatte, suspen­diert wurde und seelisch am Ende war. Danach zog es ihn zurück in seine Heimat­stadt, wo er Rückhalt bei seinem krän­kelnden, seit 23 Jahren verwit­weten Vater Albert und dem Bruder Marquis sucht, der nach dem Tod der Mutter den Kontakt abge­brochen hatte. Bald findet er in Darlene eine neue Liebes­beziehung, und mit Unter­stützung der schwarzen Gemeinde der Baptist Church wird er zum ersten farbigen Sheriff in Charon gewählt. Seine Vorsätze sind so hoch gesteckt wie die in ihn gesetzten Erwar­tungen. Sein Vorgänger hatte sich gegenüber zwie­lichtigen Aktivi­täten der weißen Einwohner blind gestellt und gleich­zeitig simpelste Vergehen der Schwarzen streng geahndet – ganz im Einklang mit der Tradition der »Vor­einge­nommen­heit und Bigot­terie«, die man im gesamten County und insbe­sondere in den Polizei­behör­den pflegte. Im Gegensatz dazu will Titus ein korrekter, schüt­zender Hüter der Ordnung für alle seine Mitbürger sein. »Protect and serve« steht auf seiner Dienst­marke, und die trägt er voller Stolz.

Im Verlauf der Erzählung lässt uns S. A. Cosby in private Abgründe einzelner Einwohner der äußerlich beschau­lich anmu­tenden Klein­stadt blicken. Es geht um verdeckte, oft erst spät aufge­klärte Geheim­nisse um Alkohol, Drogen, Gewalt gegen Schwä­chere, Homo­sexua­lität und andere aufwüh­lende Themen, und auch in Titus’ Familie gibt es lange Tot­geschwie­genes.

In seinem Polizeidienst geht es zunächst wenig auf­regend zu. Doch ausge­rechnet am ersten Jahrestag seiner Wahl zum Sheriff dringt ein Bewaff­neter in die High­school ein und sorgt für Aufruhr. Während Schüler und Lehrer in panischem Chaos flüchten, sind Titus und sein Team umgehend vor Ort, stürmen die Schule, und zwei seiner Deputys erschie­ßen den Angreifer, ohne zu zögern. Eigen­artiger­weise gibt es – anders als bei Amok­läufen üblich – nur ein einziges Opfer: Der farbige Täter, ein ehe­maliger Schüler, hat den weißen Erd­kunde­lehrer Mr. Spearman mit mehreren Kopf­schüssen nieder­ge­streckt. Warum nur? In seinen 35 Dienst­jahren war der Mann bei Schülern, Eltern und Kollegen gleicher­maßen beliebt gewesen.

Bei ihrer Recherchearbeit finden die Polizisten Fotos, die Hinweise auf ein Motiv der Tat geben. Offen­sicht­lich hat der Lehrer mit zwei Komplizen jahrelang schwarze Kinder und Jugend­liche bestia­lisch gefoltert und ermordet. Der eine der Mit­betei­ligten verbirgt sein Gesicht stets hinter einer Wolfs­maske und kann daher nicht einfach identi­fiziert werden, der andere ist über­raschen­derweise der Amok­läufer, den die Deputys in der Schule über­eifrig getötet haben.

So diszipliniert und ambitio­niert der pflicht­bewusste Sheriff Titus Crown seiner Suche nach dem einzig Über­leben­den des Täter­trios nachgeht (inoffi­ziell nennt man ihn »der Letzte Wolf«), so schwer wird sie ihm gemacht. Nicht einmal ange­sichts der Tatsachen, die jetzt ans Tages­licht dringen, sind die Bürger bereit, ihre Verehrung für den stets ge­schätz­ten Lehrer zu revi­dieren. Von den zahl­reichen schwarzen Akti­visten sind die meisten skeptisch, ob der neue Sheriff nicht mit seiner Dienst­marke auf die andere Seite überge­laufen ist und nun in Wahrheit gegen seine »brothers and sisters« agiert. Auch eine einfluss­reiche Respekts­person aus einem anderen Lager, der konser­vative weiße Ge­meinde­rats­vorsit­zende, hält Titus für unfähig, den Fall aufzu­klären. Nicht anders als die Akti­visten hätte er das Büro des Sheriffs lieber mit einer leicht zu beein­flussen­den Mario­nette besetzt gesehen als mit Titus, an dem er sich die Zähne ausbeißen muss. Und dann muss Titus auch noch fest­stellen, dass einer seiner Deputys korrupt ist.

Gleichzeitig laufen die Vorberei­tungen für das traditio­nelle Herbst­fest, und auch dabei prallen unter­schied­liche Auf­fassun­gen über die Ge­schichte der Süd­staaten, persön­liche und Gruppen-Inter­essen, unver­einbare Ideo­logien und un­über­wind­licher Hass auf­einan­der. Fahnen schwen­kende »Neo-Konfö­derierte« skan­dieren »White Lives Matter«, während sich »ein bunter Quer­schnitt der Bürger aus Charon County, […] Schwarze, Weiße, Latinx, Schwule, Heteros, Alte, Junge« den Rednecks ent­gegen­stellt und die Friedens­hymne »We shall over­coooooome« singt. Sollte dieser Show­down aufgela­dener Emo­tionen zu einer Explosion physi­scher Gewalt führen, muss Titus das Schlimms­te befürch­ten.

Nicht nur die Einwohner der Klein­stadt Charon County sind von Klischees geprägt, auch S. A. Cosbys Southern-Noir-Roman ist keines­wegs frei davon. Der Autor hat ihn so konzi­piert, dass er seinen Lesern eine deutliche politi­sche Botschaft sendet: Die Weißen sind die Schlimmen und Ver­komme­nen, die Far­bigen und andere Minder­heiten sind die von ihnen unter­drückten, ausge­beuteten, hoff­nungs­los macht­losen Opfer, im Kern aber die Guten. Ob eine hehre Absicht solch ver­einfa­chend pau­schalisie­rende Zuord­nungen ausge­rechnet nach Haut­farbe recht­fertigt, muss jeder selber ent­scheiden. Man kennt den Tenor seit der Civil-Rights-Bewe­gung der Sech­ziger, aber auch diffe­renzier­tere Gesell­schafts­bilder als die in diesem Roman.

Immerhin bietet der Autor ein zweifel­los authen­tisches Bild des Lebens und der Zustände in seiner Süd­staaten-Heimat. Schein­heilig­keit ist ein wich­tiges Merkmal, und nicht ohne Grund bietet der Ort ein »Über­ange­bot an Erlösung«. Sonntags zeigt man sich, wie es sich gehört, in seiner Kirche, »bei den Metho­disten oder den Katho­liken, bei den Bap­tisten, den Luthe­ranern oder den Zeugen Jehovas«, bei der erz­konser­vativen Holy-Rock-Gemeinde, deren Ange­hörige sich alle als »Gerechte« und »Gesalbte« auser­wählt wähnen, oder man lässt sich hinreißen von funda­menta­listi­schen Predigern. Im tiefsten Innern aber »setzen [die meisten Ein­wohner] ihren Glauben in die Pat­ronen von Schrot­flinten und .357ern, nicht in den Zimmer­mann aus Galiläa«.

Zwischen allen Fronten steht der dunkel­häutige Titus, der allen seinen Mit­bürgern gerecht werden will. Nichts­desto­weniger hassen ihn die einen wegen seiner Hautfarbe, während ihn die anderen für einen »Verräter seiner Rasse« halten. Radikale Prediger gießen Brand­beschleu­niger in die Glut des Hasses, und auch die Medien tragen zur Verschär­fung der Konfron­tation bei: »Blondes Haar und blaue Augen machen die Nach­richten«, während sie über Morde an schwarzen Kindern nicht berichten.

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblings­bücher im Frühjahr 2024 aufge­nommen.


Weitere Artikel zu Büchern von S. A. Cosby bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Blacktop Wasteland«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Der letzte Wolf« von S. A. Cosby
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe


Kommentare

Zu »Der letzte Wolf« von S. A. Cosby wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top