Rezension zu »Konklave« von Robert Harris

Konklave

von


Belletristik · Heyne · · Gebunden · 352 S. · ISBN 9783453270725
Sprache: de · Herkunft: gb

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Bei Amazon kaufen

Abgeschottet

Rezension vom 23.02.2017 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Achtzehn Millionen Besucher überfluten alljährlich den kleinsten Staat der Welt, vier Millionen davon drängen sich durch die über­wältigend reichen Kunst­samm­lungen seines Palast­komplexes und dessen Höhe­punkt, die Sixtinische Kapelle mit Michel­angelos grandiosen, in frischen Farben erstrah­lenden Fresken. Niemand aber darf dort eintreten oder sich nur annähern, solange das wohl exklusivste aller Wahl­gremien tagt.

Wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche, einer welt­um­spannenden Organi­sation mit mehr als 1,25 Milliarden Gläubigen, verstorben ist, reisen die Kardinäle aus aller Herren Länder an, um aus ihrer Mitte den Nach­folger zu wählen. Die Dauer der Wahl ist nicht begrenzt, aber Eile ist geboten, damit das Macht­vakuum der Füh­rungs­losig­keit nicht länger als unbe­dingt nötig währt. Im Jahr 1216 verloren die Ein­wohner von Perugia die Geduld mit ihren säumigen Würden­trägern, schlossen sie kurzer­hand ein und begrün­deten damit die Insti­tution des Konklaves (lat. cum clave: mit dem Schlüssel). Eine flotte Abwick­lung konnte aber selbst diese drastische Maßnahme nicht garantieren: 1241 dauerte das Konzil in Rom 60 Tage, 1268 gar rund drei Jahre (1503 genügten anderer­seits wenige Stunden).

Das Verfahren verläuft nach rigiden Regeln unter strengster Geheim­haltung und konse­quentem Aus­schluss der Öffent­lichkeit in einem abgerie­gelten Bereich der Vatikan­stadt. Per Schwur wird den Kardi­nälen absolute Ver­schwie­gen­heit auferlegt, jeder Verstoß würde mit Ex­kommuni­kation geahndet. Für die Zeit der Wahl sind die Männer (Höchst­alter 80 Jahre) völlig abge­schottet von der Außen­welt. Kein Ereignis draußen dringt an ihre Ohren oder Augen, denn sie erhalten keinerlei Zugang zu Internet, Telefon, Handy, Tages­zeitung, Fernseh­gerät, Radio oder Medien­vertretern.

Untergebracht sind die Wahlberechtigten in den Räumen des Gäste­hauses Casa Santa Maria, das die Barm­herzigen Schwes­tern vom heiligen Vinzenz von Paul leiten. Nach Früh­stück und gemein­schaft­licher Messe in der Capella Paolina begeben sie sich, in Purpur gewandet und mit dem Pileolus (Scheitel­käpp­chen) auf dem Haupt, per Pedes oder Bus zur Sixtini­schen Kapelle. Zuvor haben Sicher­heits­dienste alle Räum­lich­keiten pingelig überprüft und präpariert, bei­spiels­weise nach versteck­ten Mikro­fonen gesucht und Stör­sender gegen jegliche Art von Lausch­angriff einge­baut. Dann können die vorge­sehenen Wahlgänge statt­finden, je zwei am Vor­mittag und am Nach­mittag,.

Jeder Kardinal vergibt sein Votum im Vertrauen auf den Heiligen Geist, aber natürlich landet keiner der Stimm­zettel spontan in der mit einem Teller bedeckten Urne. In sondie­renden Gesprächen bilden sich Frak­tionen; stille Ab­sprachen und Kom­plotte lassen schließ­lich nach mehre­ren Durch­gängen die erforder­liche Zwei­drittel­mehr­heit für einen Kandi­daten (und damit die zukünftige Ent­wick­lung der Kirche und die Macht­verhält­nisse in ihrem Apparat) zustande kommen. Weißer Rauch aus dem Schorn­stein der Cappella Sistina verkündet das Ergebnis: Habemus Papam!

Robert Harris hat über die geheimnisumwitterten, global relevanten Vorgänge auf engstem Raum einen groß­artigen Roman verfasst: »Conclave« Robert Harris: »Conclave« bei Amazon , ins Deutsche über­setzt von Wolfgang Müller. Er positio­niert den Anlass in die sehr nahe Zukunft, was einen etwas makabren Eindruck erweckt, denn er lässt den Papst 2018 an einem Herz­infarkt sterben. (Ähnlich­keiten des Verstor­benen mit Fran­ziskus' Persön­lich­keit und Pro­gramm sind unver­kennbar, wenn­gleich dessen Name nie fällt.) In seinen letzten Lebens­monaten hatte den Heiligen Vater Unsicher­heit geplagt, wie sich die Kirche nach ihm ent­wickeln werde. Im Glauben an Gott ist er gegangen, aber den »Glauben an die Kirche« hatte er verloren.

Während des folgenden Konzils dürstet die Öffent­lich­keit wie immer nach den winzigs­ten Anzeichen, wohin die Reise gehen könnte, doch mehr als Speku­lationen kann es nicht geben. Wer würde in dieser span­nenden Phase nicht gern Einblick nehmen, was sich hinter den unüber­windlichen Mauern abspielt? In seinem fiktio­nalen, aber sehr realitäts­nahen Szenario füllt Robert Harris die Leer­stelle mit allem, was in dieser oder ähnlicher Variante vor­stellbar erscheint. Fesselnd, unterhalt­sam und kenntnis­reich schildert er, wie sich aus der Riege der über hundert Kardinäle vier Favoriten heraus­kristalli­sieren. Die liberalen Reformer bevor­zugen einen fein­sinnigen Kardinal, die Traditio­nalisten stehen hinter dem bäuerlich-derben Kollegen aus Venedig. Gelingt es dem ehr­geizigen Streber aus Nord­amerika, sich durchzu­setzen? Oder könnte womög­lich erstmals ein Afrikaner den Stuhl des Stell­vertreters Gottes auf Erden erklimmen? Manchen Kandi­daten treiben Eitelkeit, Ehrgeiz und Hoff­nungen voran, andere fürchten die gewaltigen Bürden des ange­trage­nen Amtes auf Lebens­zeit oder sind gar Zweifler im Glauben.

Was der Autor am Ende als Ass aus dem Ärmel zieht, ist eine hammer­harte, wenn auch weit herge­holt und kon­struiert anmutende Über­raschung. Dessen unge­achtet bietet der Roman vorzüg­liche Unter­haltung mit faszinie­renden Einblicken in eine dem normalen Sterb­lichen unzugäng­liche religiöse Parallel­welt, eine von festen Statuten geregelte Domäne rivalisie­render Männer. Rückwärts­gewandten Traditio­nalisten stehen welt­offene Erneuerer gegen­über, die freiere Gedanken, etwa zur Haltung ihrer Kirche zu Frauen, Sexualität oder sozialen Problemen zulassen. Bemerkenswert sind die detail­reichen Beschrei­bungen der Räum­lich­keiten, Kunst­werke und Reich­tümer des vatika­nischen Univer­sums (inklu­sive einiger Skurri­litäten).

Dieses Buch habe ich in die Liste meiner 20 Lieblingsbücher im Frühjahr 2017 aufgenommen.


Weitere Artikel zu Büchern von Robert Harris bei Bücher Rezensionen:

Rezension zu »Angst«

go

War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Konklave« von Robert Harris
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon


Kommentare

Zu »Konklave« von Robert Harris wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top