Rezension zu »Le inchieste del colonnello Reggiani« von Valerio Massimo Manfredi

Le inchieste del colonnello Reggiani

von


Kriminalgeschichten · Einaudi · · Taschenbuch · 164 S. · ISBN 9788806223908
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Toskana, Umbrien, Marken

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Zu flaches Relief

Rezension vom 31.07.2015 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Wohl alle wichtigen Phasen des europäischen Altertums hat der große Histo­riker und Publizist Valerio Massimo Manfredi studiert und darüber seit den Achtziger Jahren mehr als dreißig Romane, Erzähl- und Aufsatz­bände verfasst. Odysseus, Alexander der Große, die Akropolis, Etrusker, Römer und Kelten, aber auch die Staudamm­katas­trophe des Vajont sind Protago­nisten seiner multi­medialen Arbeit geworden, und ihm wurden höchste Ehrungen dafür zuteil. Dass eine Koryphäe wie er zu einem stolzen Jubiläum von na­tionaler Bedeutung einen Fest­beitrag leistet, verwun­dert also nicht.

Am 13. Juli 2014 feierte die stolze Truppe der Arma dei Cara­binieri den 200. Jahrestag ihrer Gründung durch König Vittorio Emanuele I, und vier Krimi-Bände aus dem Einaudi-Verlag sollten auf unter­halt­same Weise ihre ehren­volle Geschichte illus­trieren. Während die drei beauf­tragten Krimi-Promis Caro­figlio, De Cataldo und Lucarelli origi­nelle und spannende neue Romane in ihrem charak­teristi­schen Stil verfass­ten (siehe Details am Ende dieser Rezension), legte man bei Manfredi (der Einfach­heit halber?) eine Samm­lung von fünf Erzäh­lungen aus dem Jahr 1994 neu auf (»Tesori dal buio. Le inchieste del colon­nello Reggiani«). Warum gerade das so lange dauerte, dass das Buch stark verspätet – fast ein Jahr nach dem Ju­biläum – in den Handel kam, gibt Rätsel auf.

Das Thema ist Kriminalität im Zusammenhang mit Kunst­werken erster Güte. Wir sollten mitfie­bern, wie der fein­geistige colon­nello Aurelio Reggiani mit seinem agilen Kollegen tenente Marco Ferrario von der Cara­binieri-Spezial­einheit Tutela del Patri­monio Artistico weltweit agie­renden, gewissen­losen Banden unersetz­liche Schätze aus dem Kultur­erbe der Mensch­heit entreißt, ehe sie auf immer in den Tresoren selbst­süchtiger Freaks verschwin­den oder unter hoch­riskanten Umständen als Pfand für erpresse­rische Deals miss­braucht werden. Von dem renom­mierten Autor durften wir ein hohes Niveau erwarten, vor allem was die Beschrei­bung der Artefakte und ihrer Bedeutung, das Menschen­bild und die formale Ge­stal­tung betrifft.

Die Plots der fünf Geschichten sind durchaus interes­sant. Man bekommt einen kleinen Einblick, wie Kunst­werke dreist geraubt, brutal ausge­graben, über Grenzen und Ozeane ver­schoben werden, wer diese Arbeiten ausführt und was das für Leute sind, die Unsummen ausgeben und Himmel und Hölle in Bewe­gung setzen, um in den Besitz solch unver­käufli­cher Objekte zu gelangen. Unrealis­tisch überzogen ist wahr­schein­lich kaum etwas in diesen Erzäh­lungen, in denen Entfer­nungen, Moral, Skrupel und Geld keine Rolle spielen. Sogar Reggiani verfügt über unbe­grenzte Mittel, und es bedarf lediglich eines Tele­fonats, um sie abzurufen – Hub­schrauber, Flug­tickets nach Süd­amerika, Wanzen in jeder belie­bigen Wohnung, falsche Identi­täten, Spezia­listen aller Art, Obser­vierungs­trupps »in treno, o in aereo, o al bar«. Es finden sich auch sehr anspre­chende Passagen – gelungene Formulie­rungen, nette Beschrei­bungen von Personen, Land­schaften und Vorgängen. All das macht diesen vierten Band der Cara­binieri-Serie zu lesens­werter leichter Kost. In seiner literari­schen Gestal­tung kann er aber seinen drei Kollegen nicht das Wasser rei­chen.

Was die geraubten Kunstwerke angeht, bleibt es bei einer Art name-dropping. »›Coman­dante, hanno rubato La Muta di Raffaello [ …] Hanno preso anche la Madonna di Senigallia e la Flagel­lazione di Cristo di Piero della Fran­cesca.« Mehr als solche Etiket­tierung findet sich selten. Wer das Bild oder die Statue nicht kennt, bekommt keine Vorstel­lung davon. Wie auf­schluss­reich wäre gelegent­lich die Inter­pretation eines Experten gewesen, der irgendwo in die Handlung inte­griert erläutert, was das Besondere des Kunst­werks ist, warum es um jeden Preis wieder­beschafft werden muss. Schade, eine verpasste Gelegen­heit, einem breiten Publikum ganz nebenbei zu besserem Kunst­verständ­nis und kunst­histori­schem Wissen zu ver­hel­fen.

Überraschenderweise lässt auch die Charakter­gestal­tung zu wünschen übrig. Von colonnello Reggiani er­fahren wir immerhin ein wenig Biogra­fisches (verlor seine Frau durch einen Auto­unfall; kann sich zu we­nig um seine halb­wüchsige Tochter Teresa kümmern; ist in den höchsten Kreisen der Gesell­schaft zu Hause; ist faszi­niert von einer vornehmen contessa, die wegen eines früheren Kriminal­falls eine zwie­späl­tige Beziehung zu ihm pflegt …), aber all das bleibt, obwohl in allen fünf Geschich­ten präsent und sich über mehrere Jahre erstre­ckend, ober­flächlich und wird kaum ent­wickelt. Tenente Ferrario ist ein Faktotum ohne Eigen­schaften. In kühnen Aktionen führt er Reggianis Ideen souverän aus und vermag sich dafür an jede beliebige Situation anzu­passen. Die Dialoge zwischen den beiden sind erstaun­lich belanglos. Vom ge­samten übrigen Personal lernen wir in der Regel kaum mehr als den Namen und ein paar Neben­sächlich­keiten kennen. Viele Figuren sind klischee­haft (»Il conte Ferretti era un uomo squisito, di ecce­zionale cul­tura e di grande classe …«), bleiben dem Leser fern und uninter­essant.

Was das erhoffte Lesevergnügen weiter beeinträchtigt, ist die auf weiten Strecken dröge Erzähl­technik – zu wenig Dynamik, zu flache Spannungs­bogen. Zwar zieht sich die Auf­klärung der Fälle über Jahre hin, so dass manche Entwick­lungs­phasen eben zusammen­gefasst werden müssen (»Reggiani sguin­zagliò gli uomini migliori intorno all’area d’azione della banda. Poi mise sotto marcatura stretta i grossi traffi­canti, specie quelli che operavano con l’estero. Prima o poi avrebbero pur dovuto uscire allo scoperto.«), aber unter die Haut gehen diese Berichte nicht, selbst wenn sie action wie bei James Bond re­ferieren.

Sogar dialogische Schlüsselszenen wirken seltsam unenga­giert. Immer wieder müssen beschwö­rende Flos­keln einen soliden Spannungs­aufbau ersetzen (»Lo so, ma stai attento. Temo sia gente perico­losa.«). Und mehr als einmal bahnt sich die Lösung eines Falles nach dem gleichen Muster an: Bei einer Zufallsbe­geg­nung erinnert sich einer der Poli­zisten an einen früheren Bekannten – der sich dann tatsäch­lich als der ge­suchte Täter erweist.

Bedeutungsschwere soll eine deftige Wortwahl suggerieren: »Dobbiamo fare un po’ di chiasso, cosí obblighe­remo anche le autorità locali a darsi una mossa: non potranno far finta di niente, e inoltre Rocchi si sentirà chiuso nell’angolo. Deve rendersi conto che la caccia alla volpe è comin­ciata.« Solche Groß­spurig­keit in den Formulie­rungen mag den cara­binieri schmei­cheln, macht aber dem Leser noch lange keine Gänsehaut: »›Le segnala­zioni della guardia di finanza fanno rizzare i capelli. È in atto un’aggres­sione senza prece­denti che può degene­rare in una devasta­zione, ora che le frontiere tra i paesi della Comunità europea non eserci­tano piú alcun controllo.‹ – ›Giusto, coman­dante. Ma lei ha certo in mente qualche cosa di preciso.‹ – ›Sí, accidenti. Controlli a tappeto. Un’offensiva su tutta la linea, in loca­lità a campione. Infiltriamo gli uomini dispo­nibili. Ne voglio uno in ogni buco. Voglio un monito­raggio diffuso nelle zone a rischio.‹«

Das Krimi-Genre scheint Manfredi weniger zu liegen.


Die vier Jubiläumsbände, die auch in einer Sonder­ausgabe nur für cara­binieri erscheinen, erzählen vom erfolg­reichen Wirken der cara­binieri in drei Phasen ihrer Geschichte:

1846-48: Giancarlo De Cataldo: »Nell’ombra e nella luce« [› Rezension] (Oktober 2014) – Der his­to­ri­sche Kri­mi­nal­ro­man spielt in Turin, mitten in den ideolo­gischen Wirren der Grün­dungs­zeit des ita­li­e­ni­schen National­staats und des Aufstands gegen Öster­reich. Zwischen Revolutio­nären und Vertre­tern der alten Ordnung, schönen Frauen, Freunden und Feinden jagen die cara­binieri einen Serien­mörder.

Sonderausgaben für Carabinieri

1899: Carlo Lucarelli: »Albergo Italia« [› Rezension] (Juni 2014) – Der meister­hafte histori­sche Kri­mi­nal­ro­man um den cara­biniere Colaprico und seinen einhei­mischen Assis­tenten Ogbà schildert das Leben in der italieni­schen Kolonie Eritrea anno 1899. Hinter einem scheinbar belang­losen Diebstahl aus einem mi­li­tä­ri­schen Wa­ren­la­ger und einem vorge­täuschten Selbst­mord im repräsen­tativen Nobel­hotel werden Miss­stän­de sichtbar, die das ita­li­e­ni­sche Gemein­wesen noch heute belasten.

1980er Jahre: Gianrico Carofiglio: »Una mutevole verità« [› Rezension] (Juli 2014) – Der Mörder ist schnell gefasst und durch Indizien eindeutig überführt, doch maresciallo Fenoglio traut dieser Wahrheit nicht. Ein philo­sophisch ange­hauchter Krimi.

1980er Jahre: Valerio Massimo Manfredi: »Le inchieste del colonnello Reggiani« [› Rezension] (April 2015) – Die fünf Kriminal­geschich­ten erzählen von der Aufklä­rung spekta­kulärer Kunst­dieb­stäh­le. Die cara­binieri agieren auf inter­natio­nalem Parkett, um ita­li­e­ni­sches Kulturgut zu retten.


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