Rezension zu »Nero di mare« von Pasquale Ruju

Nero di mare

von


Kriminalroman · Edizioni e/o · · Taschenbuch · 208 S. · ISBN 9788866328650
Sprache: it · Herkunft: it · Region: Sardinien

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Comic ohne Bildchen

Rezension vom 06.09.2017 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Soll man Franco Zanna bedauern, bewundern oder einfach nicht ganz ernst nehmen? Der Mann ist ein Paparazzo, wie man ihn sich vorstellt: wage­mutiger Einzel­kämpfer, dreister Durch­mogler, kreativ in seinen Methoden. Kann er keine sensa­tionellen Fotos bieten, geht er in der Masse der Kollegen unter und verdient nichts. Fehl­schläge bleiben nicht aus.

Franco – eigentlich Francesco Livio Zannargiu – hat eine gebro­chene Biografie. Alles fing gut an. In einem sardischen Dorf im Hinterland geboren, lieferte er in der Provinz­haupt­stadt Nuoro ein Spitzen-Abitur ab und brillierte als Jura­student in Turin. Doch kurz vor dem Examen schmiss er das Studium und arbei­tete als investi­gativer Reporter und Fotograf. Von einem Tag auf den anderen ließ er seine Redaktion, seine Wohnung und seine schwangere Freundin hinter sich und kehrte auf die Insel zurück. An der feschen Costa Smeralda schlug er sich als foto­grafischer Hand­langer von Detek­tiven, Anwälten und Boule­vard­blättern durch, indem er das Privat­leben von Promis und Reichen ausspähte.

Was hat die Wende vom vielversprechenden jungen Mann zum dauer­ver­schul­deten Gelegen­heits­arbeiter und einsamen Gewohn­heits­trinker ausge­löst? Es war ein trauma­tisches Ereignis, dessen Bilder und Gespräche Franco täglich heim­suchen und die er uns in ganz kleinen Portiön­chen enthüllt – wie auch seiner siebzehn­jährigen Tochter Valen­tina, die aus Turin ange­flogen kommt, um ihren Vater endlich einmal kennenzu­lernen.

Valentina, ein Muster an Vernunft, Toleranz und Liebens­würdig­keit, muss aller­dings schon nach ein paar Tagen aus Papas beschei­dener Hütte in Strand­nähe aus­quartiert werden, denn er hat sich mal wieder tief ins Schlamas­sel geritten. Erst fotogra­fierte er nächtens, wie ein verhei­rateter TV-Promi eine rassige rot­haarige Gespielin abser­vierte, versiebte aber die Aktion durch eine Unacht­samkeit. Dann suchte die Dame ihn unver­hofft auf und enga­gierte ihn selber. Ihr neuer Lover, ein dubioser Security-Groß­unter­nehmer, habe sie nämlich an einen noch viel dubio­seren Geschäfts­partner ›ausge­liehen‹, und Franco soll aus der Ferne zuschauen und auf­passen, dass ihr kein Leid geschieht.

Schade: Franco packt auch diesen Job nicht so ganz. Jetzt ist »la sirena rossa« spurlos verschwun­den und eine Horde bruta­ler Gorillas hinter ihm her. Doch zimper­lich ist Franco nicht. Er prügelt sich todes­mutig, lockt seine Verfolger in raffiniert ausgelegte Fallen und verhandelt schließlich aus ziemlich starker Position mit mäch­tigen Draht­ziehern.

In der ersten Hälfte ist die Hand­lung recht platt und vorher­sehbar, die Charak­tere sind schema­tisch und ober­fläch­lich gezeich­net, und Ich-Erzähler Franco tickt sexistisch bis zur Schmerz­grenze. Kaum eine Frau lässt er vorüber­gehen, ohne ihre körper­lichen Attribute mehr oder weniger explizit zu würdigen, und mit Geschäfts­partne­rinnen verhandelt er gern im Bett, solange die sich das gefallen lassen.

Ab der Mitte des Buches nimmt die Entwicklung aller­dings gut Fahrt auf. Da gerät Franco in eine üble Zwick­mühle und muss Dinge tun, die ihn in tiefste Abgründe stürzen könn­ten (wie heraus­zustel­len er nicht müde wird) und die zu lesen tatsäch­lich den Puls in die Höhe treibt, so hoch sind die Risiken.

Pasquale Ruju hat jahrelange Erfahrung als Autor renommierter Comic-Reihen wie »Dylan Dog« und »Tex«. Da weiß er, wie man einen wackeren Helden bastelt, einen Plot effizient struktu­riert und Szenen plakativ anlegt. In seinem ersten Kriminal­roman beweist er, dass er auch durch fort­laufen­den Text und Dialog Spannung anheizen und mit Andeu­tungen, Voraus­verwei­sen und cliff­hangers aufrecht erhalten kann. Dass er in Comic-Bildern formu­liert, wird besonders deutlich, wenn er den Schlagab­tausch von Prügeleien präzise abbildet (und davon gibt es etliche, so wie Franco und die Leute, mit denen er zu tun hat, veran­lagt sind): »Lo centrai con il gomito all'interno della coscia destra, dall'alto in basso ... gli rifilai un cazzotto nelle reni ... gli afferrai il mignolo della mano destra e lo torsi fino a spezzarlo ... il mio ginocchio sullo stomaco. Gli scaricai un pugno in piena faccia ... facendo­gli ingoiare un paio di incisivi ... lo afferrai per le orecchie e gli rifilai una testata fra naso e fronte ...«

Ein wenig kräftigeres Lokalkolorit habe ich mir von dem Schauplatz Sardinien versprochen. Doch der Autor bietet nicht viel mehr, als sämt­liche Klischees in Stichwor­ten aufzu­rufen (tenores, murales ...); die meisten Orts­namen sind fiktiv. Zio Gonario, ein fideler Sechzig­jähriger und wasch­echter Bandit alter Schule (»uno degli ultimi veri banditi sardi«), ist, seit er vor Jahr­zehnten im Zuge einer faida morden ›musste‹, auf der Flucht vor den Cara­binieri, lebt aber inzwischen einen gemüt­lichen Ruhe­stand in den Bergen der Barbagia. Dort versteckt Franco sein Töchter­chen, damit sie nicht in die Schuss­linie seiner lebens­gefähr­lichen Machen­schaf­ten gerät. Mit seiner patenten Räuber­braut Nevina mästet Zio Gonario das Mädchen mit porceddu und seadas und streut gern sardische Brocken in seine Rede. Über die Costa Smeralda lernen wir, dass dort elf Monate lang nichts los ist, aber im August der Bär steppt. Dann prosten deutsche Bier­trinker einander laut zu, die Fest­lands­italiener bringen schöne Frauen mit, bevölkern die Pizzerien, kaufen Immo­bilien und mieten Jachten, und das Meer ist bis in die tiefste Tiefe blau und klar.

Pasquale Ruju hat eine unterhaltsame Strandlektüre verfasst, die wohl vorzugs­weise für Männer angelegt ist. Eine Reihe guter Szenen und Bilder bleibt im Gedächt­nis, aber für einen vierten Stern fehlt es an Origi­nalität und Niveau.


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