Comic ohne Bildchen
Soll man Franco Zanna bedauern, bewundern oder einfach nicht ganz ernst nehmen? Der Mann ist ein Paparazzo, wie man ihn sich vorstellt: wagemutiger Einzelkämpfer, dreister Durchmogler, kreativ in seinen Methoden. Kann er keine sensationellen Fotos bieten, geht er in der Masse der Kollegen unter und verdient nichts. Fehlschläge bleiben nicht aus.
Franco – eigentlich Francesco Livio Zannargiu – hat eine gebrochene Biografie. Alles fing gut an. In einem sardischen Dorf im Hinterland geboren, lieferte er in der Provinzhauptstadt Nuoro ein Spitzen-Abitur ab und brillierte als Jurastudent in Turin. Doch kurz vor dem Examen schmiss er das Studium und arbeitete als investigativer Reporter und Fotograf. Von einem Tag auf den anderen ließ er seine Redaktion, seine Wohnung und seine schwangere Freundin hinter sich und kehrte auf die Insel zurück. An der feschen Costa Smeralda schlug er sich als fotografischer Handlanger von Detektiven, Anwälten und Boulevardblättern durch, indem er das Privatleben von Promis und Reichen ausspähte.
Was hat die Wende vom vielversprechenden jungen Mann zum dauerverschuldeten Gelegenheitsarbeiter und einsamen Gewohnheitstrinker ausgelöst? Es war ein traumatisches Ereignis, dessen Bilder und Gespräche Franco täglich heimsuchen und die er uns in ganz kleinen Portiönchen enthüllt – wie auch seiner siebzehnjährigen Tochter Valentina, die aus Turin angeflogen kommt, um ihren Vater endlich einmal kennenzulernen.
Valentina, ein Muster an Vernunft, Toleranz und Liebenswürdigkeit, muss allerdings schon nach ein paar Tagen aus Papas bescheidener Hütte in Strandnähe ausquartiert werden, denn er hat sich mal wieder tief ins Schlamassel geritten. Erst fotografierte er nächtens, wie ein verheirateter TV-Promi eine rassige rothaarige Gespielin abservierte, versiebte aber die Aktion durch eine Unachtsamkeit. Dann suchte die Dame ihn unverhofft auf und engagierte ihn selber. Ihr neuer Lover, ein dubioser Security-Großunternehmer, habe sie nämlich an einen noch viel dubioseren Geschäftspartner ›ausgeliehen‹, und Franco soll aus der Ferne zuschauen und aufpassen, dass ihr kein Leid geschieht.
Schade: Franco packt auch diesen Job nicht so ganz. Jetzt ist »la sirena rossa« spurlos verschwunden und eine Horde brutaler Gorillas hinter ihm her. Doch zimperlich ist Franco nicht. Er prügelt sich todesmutig, lockt seine Verfolger in raffiniert ausgelegte Fallen und verhandelt schließlich aus ziemlich starker Position mit mächtigen Drahtziehern.
In der ersten Hälfte ist die Handlung recht platt und vorhersehbar, die Charaktere sind schematisch und oberflächlich gezeichnet, und Ich-Erzähler Franco tickt sexistisch bis zur Schmerzgrenze. Kaum eine Frau lässt er vorübergehen, ohne ihre körperlichen Attribute mehr oder weniger explizit zu würdigen, und mit Geschäftspartnerinnen verhandelt er gern im Bett, solange die sich das gefallen lassen.
Ab der Mitte des Buches nimmt die Entwicklung allerdings gut Fahrt auf. Da gerät Franco in eine üble Zwickmühle und muss Dinge tun, die ihn in tiefste Abgründe stürzen könnten (wie herauszustellen er nicht müde wird) und die zu lesen tatsächlich den Puls in die Höhe treibt, so hoch sind die Risiken.
Pasquale Ruju hat jahrelange Erfahrung als Autor renommierter Comic-Reihen wie »Dylan Dog« und »Tex«. Da weiß er, wie man einen wackeren Helden bastelt, einen Plot effizient strukturiert und Szenen plakativ anlegt. In seinem ersten Kriminalroman beweist er, dass er auch durch fortlaufenden Text und Dialog Spannung anheizen und mit Andeutungen, Vorausverweisen und cliffhangers aufrecht erhalten kann. Dass er in Comic-Bildern formuliert, wird besonders deutlich, wenn er den Schlagabtausch von Prügeleien präzise abbildet (und davon gibt es etliche, so wie Franco und die Leute, mit denen er zu tun hat, veranlagt sind): »Lo centrai con il gomito all'interno della coscia destra, dall'alto in basso ... gli rifilai un cazzotto nelle reni ... gli afferrai il mignolo della mano destra e lo torsi fino a spezzarlo ... il mio ginocchio sullo stomaco. Gli scaricai un pugno in piena faccia ... facendogli ingoiare un paio di incisivi ... lo afferrai per le orecchie e gli rifilai una testata fra naso e fronte ...«
Ein wenig kräftigeres Lokalkolorit habe ich mir von dem Schauplatz Sardinien versprochen. Doch der Autor bietet nicht viel mehr, als sämtliche Klischees in Stichworten aufzurufen (tenores, murales ...); die meisten Ortsnamen sind fiktiv. Zio Gonario, ein fideler Sechzigjähriger und waschechter Bandit alter Schule (»uno degli ultimi veri banditi sardi«), ist, seit er vor Jahrzehnten im Zuge einer faida morden ›musste‹, auf der Flucht vor den Carabinieri, lebt aber inzwischen einen gemütlichen Ruhestand in den Bergen der Barbagia. Dort versteckt Franco sein Töchterchen, damit sie nicht in die Schusslinie seiner lebensgefährlichen Machenschaften gerät. Mit seiner patenten Räuberbraut Nevina mästet Zio Gonario das Mädchen mit porceddu und seadas und streut gern sardische Brocken in seine Rede. Über die Costa Smeralda lernen wir, dass dort elf Monate lang nichts los ist, aber im August der Bär steppt. Dann prosten deutsche Biertrinker einander laut zu, die Festlandsitaliener bringen schöne Frauen mit, bevölkern die Pizzerien, kaufen Immobilien und mieten Jachten, und das Meer ist bis in die tiefste Tiefe blau und klar.
Pasquale Ruju hat eine unterhaltsame Strandlektüre verfasst, die wohl vorzugsweise für Männer angelegt ist. Eine Reihe guter Szenen und Bilder bleibt im Gedächtnis, aber für einen vierten Stern fehlt es an Originalität und Niveau.