La vera storia di Martia Basile
von Maurizio Ponticello
Neapel im frühen 17. Jahrhundert: Martia Basile wird mit zwölf Jahren an einen sehr viel älteren Geschäftsfreund ihres Vaters verheiratet. Wenige Jahre später tötet sie ihn. Sie ist erst zwanzig, als sie wegen dieses Mordes hingerichtet wird. Aber die Legenden um sie leben weiter.
Um das Leben betrogen
Nur in ein paar Gedichtzeilen aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert ist uns das traurige Ende der Gattenmörderin überliefert, die 1603 in Neapel geköpft wurde. Der Autor des Gedichts, eine Art fahrender Sänger namens Giovanni della Carretòla, trug seine Werke in der seit Boccaccio populären Stanzenform wohl auf Märkten und Feiern vor und war recht erfolgreich, zumal seine Gedichte auch gedruckt verbreitet wurden. So bewegte das Schicksal der mit nur zwanzig Jahren hingerichteten bildhübschen Frau noch ein Jahrhundert lang die Gemüter, ehe es – wie Giovannis Gedichte – in Vergessenheit geriet.
Auf Basis der spärlichen Vorlage zauberte jetzt der Schriftsteller und Journalist Maurizio Ponticello einen wunderbar unterhaltsamen, farbenfrohen, abwechslungs- und detailreichen Schmöker. Wie bedacht er mit seinen Quellen umgeht, erläutert er im Nachwort: Das ohnehin dürftig belegte Gesamtbild der Frau ist nach seiner Auffassung von den moralischen und religiösen Wertmaßstäben ihrer Zeit verzerrt. Im Gegensatz zur nachhaltigen posthumen Bewunderung ihrer Persönlichkeit im Volk wird sie nämlich in den offiziellen kirchlichen und staatlichen Dokumenten als haltlose Sünderin verteufelt. In seiner Version vom »wahren Leben der Martia Basile« bemüht sich Ponticello nun, ein »realistisches« Bild der historischen Figur freizulegen, indem er es von den üblen Nachreden und Verleumdungen, die ihr im Prozess vor der spanischen Inquisition angelastet wurden, zu befreien versucht. So hat man der schönen jungen Mörderin ihres Eheherrn selbstverständlich auch Prostitution, Hexerei und Verbindungen mit dem Satan nachgesagt.
Dessen ungeachtet bleiben die überlieferten Fakten spärlich, und um aus dem dürren Plot, der auf unsere Zeit kam, einen Dreihundert-Seiten-Roman zu erschaffen, bedurfte es einer blühenden Kreativität. Der Autor gibt seiner Fiktion indes ein umso solideres, überaus reiches historisches Kolorit auf der Basis sorgfältiger Recherchen mit. Vor unserem Auge erweckt er neapolitanische Stadtviertel und ganze Landstriche der Umgebung, Straßenszenen, Prozessionen, Spelunken, Märkte, Festgelage, Kirchen, Volksbräuche aller Art, Rituale des Aberglaubens, Adlige in edelsten Gewändern und Bettler in elenden Lumpen zu anschaulichem Leben. Wir reisen in Kutschen über holprige Wege, schlagen uns auf der Flucht durch unberührte Wildnis, werden in die Geheimnisse von Kräutern, des Korn- und Brothandels, des Finanzwesens, der Diplomatie, der Politik und der Theologie eingeweiht, ziehen in finsterste Kerker und prächtige Paläste ein, und wie nebenbei durchleben wir hautnah eine der tristesten Phasen in vielen Jahrhunderten der Fremdherrschaft in Süditalien. Das Königreich Neapel, seit 1501 eine Provinz des spanisch-habsburgischen Weltreichs, wurde von spanischen Vizekönigen mit strenger Hand regiert. Deren bedeutendster, Pedro Álvarez de Toledo, legte in der rasant wachsenden Hauptstadt zwar neue Stadtviertel an (Via Toledo und die Quartieri Spagnoli), schlug jedoch auch alle rebellischen Bestrebungen nieder und führte die Spanische Inquisition ein. Seine Nachfolger, reiche Adelsfamilien, der Klerus und katholische Orden errichteten stattliche Gebäude, Kirchen und Klöster, doch das einfache Volk wurde rücksichtslos ausgebeutet und unterdrückt.
Der Einzelne war also nicht nur den Launen der Natur ausgeliefert, sondern auch der Willkür der weltlichen und geistlichen Obrigkeiten. Solange er deren Missfallen nicht erregte und sich einigermaßen konform verhielt, blieben ihm jedoch, so scheint es in Ponticellos glaubwürdigen Schilderungen, erstaunliche Freiräume, um das Leben zu genießen und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.
In diesen Umständen bewegt sich don Domizio (»Muzio«) Guarnieri wie ein Fisch im Wasser. Der fünfzigjährige Witwer mischt überall mit, wo es etwas zu holen gibt, handelt mit allem Möglichen, besitzt Ländereien bis hinüber nach Apulien, prasst und hurt und pflegt gute Beziehungen zu den Spaniern. Im Übrigen macht er aus seinem Herzen keine Mördergrube. Im Umgang mit seinen Mitmenschen schert er sich nicht darum, sein rohes, rücksichtslos egoistisches Wesen zu verbergen. Ein Minimum an Diplomatie und Schauspielerei genügt ihm schon, um alles zu bekommen, was er will. Dazu gehört auch Martia, das zwölfjährige Töchterchen seines Geschäftspartners Belisario Basile. Der, »un uomo concreto, di origini e mentalità contadine«, steckt gerade in wirtschaftlichen Nöten, so dass ihm das teure Kind zur Last wird. Eine Ursulinerin hat dem Mädchen eine Grundausstattung an Bildung vermittelt, er lässt noch eine kleine Aussteuer springen, aber dann sollen sich die Investitionen endlich amortisieren.
Die Ehe mit dem widerlichen Grobian ist für das Kind von Anfang an ein Albtraum, doch bleibt ihr nichts als sich zu fügen. Frieden findet sie nur, wenn er auf Geschäftsreisen ist, und sie fasst Vertrauen zu einigen jungen Frauen ihrer Umgebung. Trotz aller Widrigkeiten lässt sie sich nicht unterkriegen. Sie entwickelt im Gegenteil einen starken Charakter, handelt klug, besonnen und mutig – was sie nicht vor Situationen und Entscheidungen bewahrt, die ihr gewaltsames Ende herbeiführen werden. Die Geschichte ist tragisch, weil Martia Basile um ihr Leben betrogen wird: Erst nach Jahren der Ehe und des brutalen Missbrauchs wird sie erfahren, was Liebe überhaupt ist, und wenn sie sich endlich ihre Freiheit verschafft hat, muss sie mit ihrem Leben dafür bezahlen.
So nimmt eine abenteuerliche Handlung ihren Lauf, die reich ist an Spannung, überraschenden Wendungen und extremen Situationen. Es geht um Liebe und Hass, um Verbrechen und Rache, um Vertrauen und Betrug, um Gefangenschaft und Flucht. Der Plot umfasst lediglich ein paar Jahre, aber die Handlung ist tief und breit in ihre Zeitgeschichte eingebettet. Clever hat der fantasiebegabte Autor seine Hauptquelle, den Entertainer Giovanni della Carretòla (dessen Name übrigens darauf schließen lässt, dass er im Rollstuhl unterwegs war), und historische oder erfundene Figuren in wichtigen militärischen und politischen Positionen eingebunden, so dass wir auf der Spur der Protagonistin auch den allgemeinen geschichtlichen Überblick behalten. Eine Vielzahl von Personen aus allen Schichten, die meisten zumindest mit einem Namen eingeführt, schaffen eine breite Atmosphäre der sozialen, kulturellen und regionalen Gegebenheiten.
Für Fans historischer Romane ist dieses Buch eine uneingeschränkte Empfehlung wert, und ich wünsche ihm eine facettenreiche Übersetzung ins Deutsche. Wer sich auf den Originaltext freut, muss allerdings sattelfest sein. Maurizio Ponticello spielt einen unglaublich breiten und differenzierten Wortschatz aus, überdies lassen seine Spanier reichlich Phrasen ihrer Muttersprache einfließen, wie auch die Einheimischen bisweilen ihren Dialekt sprechen (der immerhin so geglättet ist, dass der normale Italiener versteht, was gemeint ist). Der Ehrgeiz, jede ungewöhnliche Vokabel nachzuschlagen, wird das Lesen zur Last machen; mehr Freude hat man mit Mut zur Lücke. Konkret: Man muss ja nicht jedes Pflänzchen kennen, um zu erfassen, wie aufwändig hier Brandwunden behandelt werden (»Ogni tre ore, l’anziana donna rimuoveva il cataplasma, lavava la parte sofferente con olio di iperico e la copriva con un impiastro di erbe fresche di acanto pestate nel mortaio insieme ad altri intrugli tra cui semi tritati di fieno greco.«). Ansonsten wickelt der auktoriale Erzähler die Handlung streng chronologisch und eng entlang der Perspektive der Protagonistin ab. Letzteres führt bisweilen an den Rand des Kitsches sowie zu unnötig explizit ausgebreiteten Sexszenen. Literarische Höhenflüge unternimmt er nicht, erlaubt sich aber gelegentlich poetische Zuckerstückchen (»Nel silenzio della notte lo scalpitio degli zoccoli echeggiò come i tuoni di una tormenta ma nessuno se ne avvide: inconsapevole dell’efferato delitto appena consumato, la città continuava a sognare giorni migliori.«).
So erfüllt das Buch sehr schön den Zweck, den sein Autor sich vorgenommen hat: »trasmettere al lettore … la personalità indomita della giovane Martia la quale emerge man mano che gli eventi s’intrecciano: una bambina dall’infanzia violata, poi un’adolescente che matura nel corpo e nello spirito e, infine, una giovane donna, fiera e di una bellezza leggendaria, pronta a tutto pur di non lasciare la propria testa alla lama del boia. Martia, in un certo senso, aggrappandosi fino all’ultimo alla vita, ha vinto la propria scommessa: lei, per noi, ha ripreso a vivere, e mai morirà.«