L’anello mancante – Cinque indagini di Rocco Schiavone
von Antonio Manzini
Fünf Erzählungen mit dem eigenwilligen Anarcho-Kommissar, kürzlich strafversetzt ins eisige Val d’Aosta, im Herzen noch der Straßenjunge aus Trastevere. Originelle kleine Fälle, viel zum Schmunzeln, witzige Dialoge.
Il vicequestore imperfetto
Mit vier sehr unterschiedlichen Kriminalfällen hat es Rocco Schiavone in diesem Band zu tun. Die fünfte Geschichte stellt ihn vor die vielleicht diffizilste Aufgabe, obwohl darin nicht einmal falsch geparkt wird. Aber dass ausgerechnet der launische, Gras konsumierende vicequestore eine Fußballmannschaft zusammenstellen und trainieren soll, ist einfach lachhaft. Doch das alljährliche Wohltätigkeitsturnier zwischen dem Polizeipräsidium und dem Gericht rückt näher, und Roccos Chef hält beinhart an der Tradition und seiner Trainerwahl fest. Wie sich Rocco müht, seine Leute von extrem divergierendem Potenzial zu einer Mannschaft zu verschmelzen und fit zu machen (dabei steht das Ergebnis doch schon fest …), ist ein reines Vergnügen (für uns).
In der zweiten Geschichte – die mir am besten gefiel – treibt Manzini die Gegensätze auf die Spitze und seinen Protagonisten gleich hinterher. Ausgerechnet er muss in einer unbewirtschafteten Berghütte in viertausend Meter Höhe eine Nacht verbringen. Die Szenen dort oben, die Natur- und Landschaftsbeschreibungen sind großartig.
Auch die anderen drei Erzählungen tragen sich natürlich an Schiavones neuem Wohnort Aosta zu, wo er mit Hilfe bzw. trotz seines Teams oft unkonventionelle, aber erfolgreiche Arbeit leistet. Auf einem Friedhof ist ein Grab überraschend doppelbelegt, im Hochgeschwindigkeitszug Frecciarossa muss ein Juwelendieb unter den dreihundert Fahrgästen identifiziert werden, ehe sie alle aussteigen, und in einer kleinen Bergkirche wird ein harmloser Eremit erschlagen. All dies erzählt Antonio Manzini auf äußerst unterhaltsame Weise, die sich durch spitze Dialoge seines schlagfertigen Protagonisten, Ironie, vielfältige Charaktere und eine geradlinige Handlungsführung auszeichnet – dazwischen immer wieder überraschend besinnliche, poetische Beobachtungen und Überlegungen. Langweilig wird es nie.
An diesem Band werden altgediente Manzini-Fans ebenso ihre Freude haben wie Einsteiger. Der Raum der Erzählungen ist begrenzt (zwischen vierzig und fünfzig Seiten) und genügt doch, um das schwierige Wesen des einzigartigen Kommissars mit seinem gebrochenen Charakter und seiner obskuren Biografie erkennen zu lassen. Aufgewachsen im römischen Problemviertel Trastevere und begeisterter römischer Großstädter, wurde er ein paar Monate zuvor ins hinterwäldlerische Aosta strafversetzt, wo ihm alles fremd und verhasst ist, die Kälte, die Nässe, der Schnee, die Berge und die merkwürdigen Bewohner samt einiger tumber Mitarbeiter seiner Dienststelle. In seiner Verzweiflung lässt Rocco seinem Grant freien Lauf, vergreift sich im Ton, wird schon mal handgreiflich, schert sich nicht um Spielregeln und findet seinen Frieden nur, wenn er die eine oder andere Tüte raucht.
Mit der dunklen Seite seiner Seele kontrastieren Humor, Selbstironie, Gerechtigkeitssinn und der sichere Instinkt eines guten Polizisten. Wenn er Korruption oder Spießigkeit, Unterdrückung oder Benachteiligung wittert, kann ihn die kalte Wut davontragen. Die Figur ist zweifellos schräg und vielleicht überzogen in ihrem Nonkonformismus, aber doch unterm Strich sympathisch, menschlich und mit dem Herzen am rechten Fleck.
Seit der unkonventionelle Polizist in Italien Held einer erfolgreichen TV-Serie wurde (2016, Rai Due), schlägt seinem Autor übrigens Kritik aus hochrangigen konservativen Kreisen entgegen. Sie halten Rocco Schiavone für ein schlechtes Vorbild, »corrotto e delinquente«, und verurteilen, wie verzerrt die Polizeiarbeit dargestellt werde. In einem Interview mit der Zeitung La Repubblica ( zum Artikel) entgegnet Antonio Manzini: »Non credo negli eroi senza macchia e senza paura. Credo nelle persone umane. Rocco Schiavone è un uomo e ha un’umanità molto forte, è empatico. Fa il poliziotto ma è cresciuto per strada, a Trastevere: ha finito per fare la guardia mentre gli amici con cui giocava da ragazzino sono diventati ladri. Forse è rimasto un po’ ladro anche lui.«
Alle fünf Geschichten sind keine Erstveröffentlichungen, sondern entstammen Krimi-Sammlungen des Sellerio-Verlags:
• »L’anello mancante« aus »La crisi in giallo« (2015 );
• »Castore e Polluce« aus »Turisti in giallo« (2015 );
• »… e palla al centro« aus »Il calcio in giallo« (2016 );
• »Senza fermate intermedie« aus »Viaggiare in giallo« (2017 );
• »L’eremita« aus »Un anno in giallo« (2017 ).
Eine aktuelle Übersicht über die bislang erschienenen Bände von Antonio Manzinis Rocco-Schiavone-Reihe finden Sie am Ende meiner Rezension zu »Alte Wunden«.