»Nighthawks« – ein literarisches Spiel mit den Figuren
Edward Hoppers berühmtes Bild "Nighthawks" hat Philippe Besson zu einem Roman inspiriert. Er interpretiert das Bild nicht. Er haucht jeder Figur ein Leben ein. Abend für Abend steht Ben, Barkeeper im Phillies, seinen Gästen zu Diensten. Er ist distanziert, zurückhaltend. Er kennt die Schicksale seiner Stammkunden.
An der Bar sitzt Louise Cooper, auffällig in ihrem roten Kleid gekleidet. Sie schreibt Theaterstücke und wartet bei einem Glas Martini auf ihren Geliebten Norman.
Stattdessen und völlig unerwartet betritt Stephen Townsend die Bar. Vor fünf Jahren war er zum letzten Mal hier. Damals waren Louise und Stephen ein Paar. Doch dann hat Stephen Schluß gemacht und eine andere Frau geheiratet.
Zu später Stunde möchte der alte Carter, ein Fischer, noch einen kleinen Drink einnehmen. Das Bild und seine Akteure sind vollständig.
Der nüchterne Schreibstil und die Charakteristik der Protagonisten passen perfekt zur Ausstrahlung des Bildes.
Louise ist kalt, unberührbar, gefühllos und schweigsam. Sie lässt die Kontaktaufnahme des lässigen, ehemaligen Liebhabers ohne Regung wie Wasser an sich abperlen. So sind die wenigen Dialoge minimiert.
Während sie mit anteilnahmslos mit gesenkten Köpfen nebeneinander sitzen, lassen sie ihr Leben an sich vorbeigleiten.
In Hoppers Gemälde lenkt die "Frau im roten Kleid" den Blick des Zuschauers auf sich. Zwangläufig muss sie dann auch im Roman zur Hauptfigur werden. Wie ein Psychologe diagnostiziert Besson Louises Seelenleben: die Intensität ihrer Liebe zu Stephen, die schmerzhafte Trennung, die sie in die Tiefe zog: erst die depressive, Melancholie, dann die Flucht ins Schweigen, schließlich das Leben hinter selbst errichteten Mauern, die keine Gefühle mehr durchlassen.
Dies ist ein anspruchsvolles Buch und Besson überzeugt durch seine literarische Leistung.