Rezension zu »Im Spiegel des Bösen« von Peter Schnieders und Fred Sellin

Im Spiegel des Bösen

von


Belletristik · Goldmann · · Gebunden · 312 S. · ISBN 9783442313143
Sprache: de · Herkunft: de

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Krimi-Realität – Reality-Krimis

Rezension vom 27.08.2012 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Nein, so skurril sind die Gewalttaten nicht, und nein, das Sprachvermögen eines Ferdinand von Schirach hat Peter Schnieders auch nicht. 2009 veröffentlichte Strafverteidiger von Schirach kleine "Stories" über die Abgründe menschlichen Wesens, die als "Fall" auf seinem Schreibtisch gelandet waren; "Verbrechen" wurde gleich ein Bestseller (Lesen Sie hier meine Rezension zu Ferdinand von Schirach: 'Verbrechen' auf Bücher Rezensionen).

Jetzt ist bei Goldmann Peter Schnieders' "Im Spiegel des Bösen" erschienen, mit dem Untertitel "Ein Kriminalkommissar erzählt". Dabei stand der Journalist Fred Sellin dem heute pensionierten Kommissar als Co-Autor hilfreich zur Seite. Während von Schirach auf der Ebene der Jurisdiktion agiert, die Fälle also quasi aufbereitet als Aktenordner auf dem Tablett serviert bekommt, ermittelt Schnieders seit 43 Jahren vor Ort die Fakten, und davon erfahren wir in seinem Buch. Er hat im Morast gestanden, sich die Hände schmutzig gemacht, unzählige Leichen in Blutlachen studiert, mit seinen Teams Spuren sichergestellt, Angehörige benachrichtigt, tausende Zeugen vernommen. Nichts Menschliches ist ihm fremd, weder Körperliches noch Seelisches. Den penetranten Geruch der Verwesung hat er bis heute in der Nase.

Mit diesen umfassenden Erfahrungen spürte er oft schon frühzeitig aus dem Bauch heraus, wo der wahre Täter zu suchen sei. Doch um ihn zu überführen und hinter Schloss und Riegel zu setzen, bedarf pingeligster Kleinarbeit. Wenn die Beweise nicht ausreichen, der Täter sich nicht in Lügen verstrickt, müssen Indizien herhalten. Leider bleiben trotz modernster Hightech-Methoden der Ermittlung immer wieder Verbrechen unaufgeklärt. Der Täter kann nicht überführt werden, er lebt in Freiheit mitten unter uns.

Zehn Fälle erzählt der ehemalige Chef des Kriminalkommissariats K11 in Köln. Einer davon ist das Attentat auf Oskar Lafontaine während einer Wahlveranstaltung am 25. April 1990. Wer damals die Fernsehnachrichten gesehen hat, wird sich erinnern: Lafontaine bricht zusammen, fasst sich an den Hals, sofort stürzen sich Männer schützend über ihn und versuchen, die Blutung zu stoppen. Es war die Tat einer psychisch gestörten Frau, die eigentlich Johannes Rau im Visier hatte, der neben Lafontaine auf der Rednerbühne stand, sich dann aber anders entschied. Welch abstruses Weltbild diese Frau umtrieb und wie sie ihre Tat inszenierte, beschreibt Schnieders erschreckend anschaulich.

Die Statistiken legen offen, dass die meisten Täter aus dem Lebensumfeld ihrer Opfer stammen. In der Episode "Ostern" belegt der Autor dieses Faktum: Ein Vater richtet seine ganze Familie auf grausamste Weise hin. Als Familienoberhaupt hatte er sich immer um die Angelegenheiten aller gekümmert. Er hielt sich für unersetzbar, denn ohne ihn könne niemand sein Leben regeln. Schließlich steigert er sich in die Wahnvorstellung, ohne ihn wolle niemand mehr leben. Nachdem alle tot sind, richtet er sich selbst.

Jederzeit bereit zu sein, ob Tag oder Nacht, ob Wochentag oder Wochenende, ob Arbeits- oder Feiertag – die Arbeitsbedingungen eines Kommissars machen es schier unmöglich, ein Familienleben aufrechtzuerhalten. So lebt Schnieders, nach zwei gescheiterten Verbindungen, heute allein. Vielleicht findet er jetzt im Ruhestand Zeit, manches nachzuholen.

"Im Spiegel des Bösen" ist unterhaltsam aufbereitete, schnörkellose Reality-Lektüre, die auf kunstvoll konstruierte Spannungsspitzen und Sensationshascherei verzichtet. Mal berichtet Schnieders der Reihe nach, mal lesen wir den Dialog zwischen dem Verhörenden und dem Verdächtigen, mal erinnert sich der Kommissar während seiner Ermittlungen an frühere Fälle. Was uns zu der Lektüre sicher auch lockt, ist das Voyeurismus-Bedürfnis, das wir wohl alle zumindest ein bisschen in uns spüren. Zu erfahren, wie die Dinge sich um uns herum tatsächlich zutragen, hat einfach mehr Kitzel als jede TV-Serie, die uns mit ausgedachten Verbrechen aller Art und ihrer Aufklärung zu unterhalten versucht.


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