Rezension zu »Bleiernes Schweigen« von Patrick Fogli und Ferruccio Pinotti

Bleiernes Schweigen

von


Belletristik · Aufbau · · 623 S. · ISBN 9783351033873
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Italien

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Domino des Grauens

Rezension vom 11.05.2012 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Adriano und seine Schwiegertochter Elena arbeiten als Jour­na­lis­ten für eine gro­ße ita­lie­ni­sche Zei­tung. Schon seit den 80er Jah­ren ver­fol­gen sie die ge­sell­schaft­li­che Ent­wick­lung ihres Landes, und es erschüttert sie immer wieder, wie stark Politik und Kirche, Wirtschaft und Finanzwesen, Polizei und Geheimdienste, Mafia und Freimaurerlogen miteinander verflochten sind. Betroffene Bevölkerungskreise, manche Bereiche des Landes leben in Angst und Schrecken.

Nur wenige mutige Menschen, wie zum Beispiel die weltweit sicher bekanntesten Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, haben es gewagt, den Kampf gegen kriminelle Seil- und Machenschaften aufzunehmen. Im wohl größten Prozess dieser Art wurden 1986 mehr als 400 Verbrecher angeklagt, darunter die führenden Köpfe der Cosa Nostra. Nachdem 1992 die endgültigen Urteile gesprochen worden waren, glaubte man, die "Hydra" sei geschwächt. Doch schon damals waren ihr neue Köpfe gewachsen, so dass sie mit brutaler Gewalt zurückschlagen konnte: Noch im selben Jahr wurden Falcone und Borsellino mit TNT-Bomben in die Luft gesprengt.

Auch die italienische Bevölkerung sollte die Allmacht gewisser Gruppen zu spüren bekommen, die selbst vor den Kulturgütern ihres Heimatlandes keinen Halt macht. Bomben trafen die Uffizien ebenso wie Kirchen in Rom und den Padiglione d'Arte Contemporanea in Mailand.

Die Ermittlungen dauern bis heute an. Zwar werden immer wieder Täter verhaftet, bekennen sich auch zu ihren Taten, doch sind diese Erfolge nur Tropfen auf einen heißen Stein. Obendrein bleibt die Frage, ob diese pentiti (reuige Bekenner) vielleicht nur Bauernopfer sind - wer sind dann die wahren Strippenzieher?

Inzwischen schleicht sich das gigantische Netzwerk von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt aus der Illegalität. Durch geschickte Ausnutzung moderner globaler Wirtschaftsstrukturen etabliert es sich als eine Art riesiger anonymer Konzern in der alltäglichen Legalität nicht nur Italiens, sondern Europas und der Welt. Man steckt das reichlich vorhandene und täglich aus dubiosen Quellen neu zufließende Geld in Fabriken, Ladenzentren, Firmenbeteiligungen, Immobilien ... Niemals kann es gelingen - so scheint es -, diese Einflüsse einzugrenzen, geschweige denn zu eliminieren.

In mühseliger Kleinstarbeit haben die Autoren Patrick Fogli und Ferruccio Pinotti reale Geschehnisse der letzten dreißig Jahre (bis Mitte 2010) zusammengetragen und analysiert, um sie nun in einem fiktionalen Roman ans Licht zu bringen. Im Original betitelten sie ihn "Non voglio il silenzio" ("Ich will kein Stillschweigen") und gaben ihm den bezeichnenden Zusatztitel "Il romanzo delle stragi" ("Der Roman der Massaker"). 2011 in Italien erschienen, wurde das Buch jetzt von Verena von Koskull übersetzt und vom Aufbau-Verlag herausgegeben.

Der Ich-Erzähler ist Adrianos Sohn und Elenas Ehemann. Als Kinderbuchautor hatte er sich nie wirklich für die gefährliche Arbeit der beiden interessiert. Doch eines Tages kann er sich nicht mehr bequem heraushalten. Er schliddert unversehens mitten hinein, als er einen anonymen Anruf erhält: Zu einer Gerichtsverhandlung gebeten, muss er dort zusehen, wie ein Mann eine Anwältin, ihren Mandanten und zwei Polizisten gezielt erschießt und sich dann selbst die Kugel gibt. Im Sterben hat die junge Anwältin ein Wort auf den Lippen, das alles verändern wird: "Solara". Dieses Wort steht auch, mit einem Fragezeichen versehen, in Elenas Notizbuch: "Wer ist Solara?" Wie nah an diesem Geheimnis waren Elena und Adriano damals gewesen, bei jenem furchtbaren Autounfall, der Elenas Leben kostete und nach dem Adriano, schwer verletzt und an den Rollstuhl gebunden, seine Recherchen beendete?

In vielen Gesprächen mit Anwälten, Ärzten, Geheimdienst- und Kirchenmännern, pentiti, die Insiderwissen preisgeben, und insbesondere mit Vater Adriano erfährt der Erzähler, wie ein Rad ins andere greift ... Nur ein Rädchen am Rande zu sein, gibt noch lange keine Sicherheit: Selbst kleine Fische wissen oft mehr, als ihnen gut tut, und müssen sterben, bisweilen sogar durch eigene Hand. Ein zynisches Domino des Grauens.

Ein beeindruckender, bedrückender Roman, dessen verrätselnde Gestaltung Aufmerksamkeit und Konzentration fordert: Textabschnitte beginnen anonym, springen zwischen wechselnden Gesprächspartnern, Zeiten und Orten hin und her.

Die Mafia lebt weiter. Entstanden in der sizilianischen Feudalgesellschaft, als bewaffnete Wächter die Interessen der Großgrundbesitzer gegen aufmüpfige Bauern und Briganten wahren sollten, gewachsen und gestärkt durch Schutzgelderpressung in Sizilien und Kalabrien, dann von Amerikas Geheimdiensten als Macht gegen den Kommunismus unterstützt, unterminiert sie heute die ganze Welt und ist erheblich effizienter vernetzt denn je ...


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