Rezension zu »Das fremde Kind« von Olle Lönnaeus

Das fremde Kind

von


Kriminalroman · Rowohlt · · Gebunden · 464 S. · ISBN 9783862520091
Sprache: de · Herkunft: se

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Der Polacke ist zurückgekommen

Rezension vom 02.09.2011 · noch unbewertet mit 1 Kommentaren

Der Journalist Olle Lönnaeus, geboren 1957, erhielt für seine investigativen Reportagen mehrere Preise. Für seinen Debütroman "Das fremde Kind" wurde er 2009 von der Schwedischen Krimi-Akademie mit dem renommierten Preis für das beste schwedische Krimidebüt ausgezeichnet. Bald wird man ihn in die Riege der renommierten skandinavischen Krimiautoren um Henning Mankell, Hakan Nesser usw. einordnen können. Diese Schriftsteller unterminieren schon seit etlichen Jahren das Heile-Welt-Bild von Schweden, das sich in meinen Kindertagen durch Astrid Lindgrens Bücher herausgebildet und seither durch Tourismuswerbung und Ikea-Stil gefestigt hat: liebliche Landschaften, kleine Dörfer, frische Farben, gesundes Selbstbewusstsein, intaktes Familienleben, solidarisches Miteinander ...

In den Krimis erfahren wir – ebenso wie aus den Medien -, dass die Idylle täuscht. Der jahrzehntelang als vorbildlich gepriesene Sozialstaat hat nicht unbedingt bessere Menschen hervorgebracht. Wie überall verfällt auch hier die Moral, Gewalt und Verrohung nehmen zu, und die Fremdenfeindlichkeit steigt. Auch in der schwedischen Bevölkerung gab es nicht nur Sympathisanten Hitlers, sondern begeisterte, überzeugte Anhänger, die sich aktiv an Säuberungen und Gewalttaten beteiligten, und deren Ideale haben heute neuen Nährboden gefunden: "Ausländer raus" ist die Kampfparole gefährlicher Gruppierungen.

Auch Olle Lönnaeus' Krimi durchzieht die Thematik der Ausgrenzung alles Fremden, und er setzt im Jahr 1968 ein, als Konrad, ein "Polackenkind", sieben Jahre alt ist und seine Mutter Agnes verschwindet. Er ist noch zu klein, um zu verstehen, was das Getuschel um die "Polackenhure" bedeutet. Dunkel kann er sich erinnern, dass sie auf dem Arm eine Zahlenkombination eintätowiert hatte, und er liebte sie über alle Maßen.

Das Sozialamt bringt ihn bei Signe und Herman Jönsson unter. Die sehen in der Übernahme der Aufgabe, den Jungen zu versorgen, die Möglichkeit, für eine große Schuld zu sühnen. Aber in ihrer engstirnigen Sehnsucht nach Vergebung wollen sie nicht wahrhaben, welch grausame Kindheit Konrad durchleidet. Von Anbeginn drangsaliert ihn sein wesentlich älterer Bruder Klas. Aber ihren leiblichen Sohn würden die Eltern nie strafen, und ebenso wenig käme es ihnen in den Sinn, Konrad vor ihm oder den anderen Schmähungen, denen er in der Dorfgemeinschaft und besonders in der Schule ausgesetzt ist, zu schützen. Als Polacke gehört er halt nicht dazu ...

Als Konrad siebzehn Jahre alt ist, stiehlt Klas die Liebesbriefe, die Konrad heimlich geschrieben, aber nie abgeschickt hat. Als Klas und seine drei Kumpel im Schuppen sitzen, sich an seinen intimsten Sehnsüchten weiden, grölen, lachen und unüberhörbar schreien, entlädt sich bei Konrad die aufgestaute Wut: Er packt einen Hammer und schlägt mit voller Wucht auf Klas ein, bis der sich schmerzvoll am Boden windet.

Signe hat seine Tasche schon gepackt. Konrad verlässt die Familie und Tomelilla, das kleine Kaff, in dem er nirgends zuhause war. Erst heuert er auf einem Schiff an, geht dann als Journalist in Kriegsgebiete und versucht schließlich in Berlin ein normales Leben mit Frau und Kind zu führen. Doch mit seiner unbewältigten Vergangenheit, den unbeantworteten Fragen (Was ist damals mit meiner Mutter Agnes geschehen? Warum hat sie mich verlassen? ...) ist er unfähig, eine Partnerschaft einzugehen. Sein Charakter und seine Psyche haben Schaden genommen. Er versinkt im Alkohol und verpennt seine Zeit ...

Obwohl es Konrad unvorstellbar gewesen ist, jemals nach Tomelilla, den Ort des Kleingeistes und der Heimtücke, zurückzukehren, gibt es nach dreißig Jahren einen Anlass dafür: Seine Pflegeeltern Signe und Hermann wurden ermordet, nachdem sie im Lotto gewonnen hatten. So trifft Konrad all die Menschen wieder, die ihm damals feindlich gesonnen waren – und sie sind es heute noch unvermindert. Konrad erfährt von glücklosen Lebenswegen: Klas ist arbeitslos, Geschäfte sind geschlossen, über allem hängt eine düstere Atmosphäre. Für die ermittelnden Kommissare Eva Ströhm und Björn Bernhardsson, sechzig Jahre alt und "eine giftige Eidechse, auf der Jagd nach Beute" (S. 109) , fällt der Verdacht schnell auf Konrad – eine einfache Lösung, und ein Ausländer kommt ihnen als Täter gerade recht. Doch Konrad begibt sich, ehe er inhaftiert wird, selbst auf Spurensuche.

Dieser beachtliche Krimi klärt nicht platt ein paar blutige Morde auf, sondern ist durchwebt von Gesellschaftskritik. Olle Lönnaeus fesselt den Leser durch eine Strategie der kleinen Häppchen: In Zeitsprüngen zwischen Vergangenheit und Gegenwart pirschen wir uns sehr langsam an die Auflösung. Am Schluss findet Konrad seine Mutter ebenso wie einen perfiden Mörder, der sich schon zu Nazizeiten das Recht zugebilligt hatte, über Leben und Tod anderer Menschen zu entscheiden.

Wir werden gewiss noch mehr von Olle Lönnaeus zu lesen bekommen.


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Kommentare

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Zu »Das fremde Kind« von Olle Lönnaeus wurden 1 Kommentare verfasst:

Beatrix Petrikowski schrieb am 11.01.2015:

So ist es! Dieser Krimi wartet nicht mit blutrünstigen Details auf, sondern liefert Sozialkritik, wie es sich für einen ordentlichen schwedischen Krimi gehört. Sehr zu empfehlen!

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