Einmal noch sterben
von Oliver Bottini
Hätte eine irakische Regimegegnerin den Krieg gegen ihr Land im Jahr 2003 verhindern können? Dieser fiktionale Roman erzählt, welche internationalen Kräfte damals hinter den Kulissen zusammenwirkten – und welche Rolle Deutschland dabei spielte.
Gefährliche Selbsttäuschung
Oliver Bottinis aktueller Roman »Einmal noch sterben« ist ein höchst komplexer Polit- und Spionagethriller über den Irak-Konflikt, der im März 2003 seinen militärischen Lauf nahm. Die Vereinigten Staaten, noch traumatisiert vom Attentat auf das World Trade Center im September 2001 (»9/11«), vertraten die Ansicht, dass der irakische Diktator Saddam Hussein ein zentraler Unterstützer des islamistischen Terrorismus sei, über verbotene B- und C-Waffen verfüge und nun durch eine gezielte Militäraktion ein für allemal entmachtet werden müsse. Um den geplanten Einsatz zu legitimieren, wurden UN-Waffenkontrolleure in das Land geschickt, um nach Massenvernichtungswaffen zu suchen, und tatsächlich, so wurde weltweit offiziell publiziert und mit Fotos dokumentiert, seien entsprechende Anlagen nachweisbar. Im Rückblick sieht es allerdings so aus, dass die »Operation Iraqi Freedom« bereits vorher beschlossene Sache war und die US-Regierung unter Präsident George W. Bush an einem Ergebnis, das den Krieg hätte abwenden können, gar kein Interesse hatte.
Oliver Bottini hat die Vorgänge um diesen Krieg, dessen Folgen bis heute fortwirken, fiktional aufbereitet und zu einer spannenden Story geformt.
Die Handlung setzt Anfang Februar 2003 ein, als US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat gesprochen hatte. Powell, der erste Farbige in diesem Amt, begründete dort das militärische Vorhaben seiner Regierung mit einem Konstrukt vorgeblicher Geheimdienstinformationen, die die Massenvernichtungswaffen des Irak belegen sollten.
Doch, so der Plot des Romans, eine irakische Regimegegnerin (Deckname »Abeer«) ist im Besitz von Dokumenten, die eben diesen hochoffiziellen Behauptungen den Boden entziehen können: Der Irak habe keinerlei Einrichtungen, die in der Lage wären, B- und C-Waffen herzustellen. Könnte sie sich Gehör verschaffen und würde man ihr Glauben schenken, könnte das Lügengespinst in allerletzter Sekunde aufgedeckt und eine Katastrophe verhindert werden.
Die Romanhandlung umfasst nur drei Wochen (4. bis 25. Februar 2003), spielt an Dutzenden von Schauplätzen im Nahen Osten und in Deutschland (Amman, Bagdad, Rammstein, Berlin, München und Umgebung …) und ist äußerst verästelt. Getragen wird sie von unzähligen Figuren, die dankenswerterweise alle im Namensregister am Ende des Buches verzeichnet sind, denn beim Lesen prägen sich nur die markantesten Hauptpersonen ein.
Viele von ihnen sind Geheimdienstler, die im Dienste verschiedener Staaten stehen und ihre Identität hinter Codenamen verbergen. Darunter sind ambitionierte Führungskräfte, erfahrene Koordinatoren und traumatisierte Frontkämpfer. Sie alle agieren beruflich in einer Parallelwelt, die unseren Alltag nicht streift, wo jeder gegen jeden kämpft und das Überleben nicht selten davon abhängt, dass man perfekt schweigen, lügen, manipulieren kann. Ihre Maxime muss lauten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Die Behörden der deutschen Geheimdienste konkurrieren eher miteinander als zusammenzuarbeiten. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat seinen abgeschotteten Sitz in Pullach bei München, das Bundeskriminalamt (BKA) seine Zentrale in Wiesbaden. Ein wichtiger Mitspieler ist das Kanzleramt unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der lehnt einen Krieg im Irak ab und erteilt allen Forderungen, Deutschland möge sich an der Seite der USA und Großbritanniens militärisch engagieren, eine Absage. Doch die Amerikaner fordern ihren Führungsanspruch ein und üben mit ihren Geheimdiensten Druck auf die zögernden deutschen Verbündeten aus. Für das Ziel einer weltweiten Führerschaft der USA, auch mit militärischen Mitteln, kämpft überdies ein konservativer Think Tank mit dem programmatischen Namen »Project for the New American Century« (PNAC).
Im Verlauf von Oliver Bottinis Erzählung entsteht somit ein schwer zu durchschauender Handlungsnebel, der uns allerdings ahnen lässt, dass Politik sich keineswegs aus dem entwickelt, was die Medien dem Normalbürger tagtäglich an offiziellem Klartext, an Verlautbarungen, Videos, Diskussionen und Parteiprogrammen vorsetzen, sondern vielmehr im Hintergrund beeinflusst wird von komplett verborgenen Faktoren, die ihrerseits oft genug auf Loyalitätsfragen, auf Lügen, Intrigen und Manipulationen beruhen.
Bottinis Plot dreht sich darum, dass ein Agent namens »Curveball« (eine der vielen realen Gestalten im fiktionalen Panorama) dem BND Informationen »über mobile Labors zur Herstellung von chemischen Vernichtungswaffen« im Irak zugespielt hat, die den BND jedoch nicht überzeugen. »Abeer« behauptet, sie könne beweisen, dass »Curveball« in Wahrheit ein vom CIA gelenkter Spion ist. Nun soll ein Agent des BND dafür sorgen, dass ihre Unterlagen, die über Krieg oder Frieden entscheiden können, in sichere Hände gelangen. Für die Aufgabe wird der Präzisionsschütze Frank Jaromin ausersehen, und mit ihm kommt auch eine Prise human interest ins Spiel. Er hat sich gerade mühselig von seinen traumatischen Erlebnissen auf dem Balkan erholt und fast seine Familie verloren, als ihn sein Einsatzleiter darüber instruiert, was bereits für ihn vorbereitet ist: Er wird in Amman bekannte Kriegsgefährten treffen, dann schwer bewaffnet nach Bagdad reisen und »Abeer« aufsuchen.
Doch dies ist nur die Wahrheit an der Oberfläche. Im trüben Sumpf darunter wirken geheime Kräfte mit anderen Überzeugungen, verbreiten eigene Informationen und ziehen an Strippen, die dazu führen, dass Frank Jaromin am Ende als Mörder dasteht.
Damit ist ein Zielpunkt etlicher Handlungsfäden zum Schaden des Protagonisten erreicht, und der Roman könnte enden. Doch Jaromin ist entschlossen, seine Unschuld zu beweisen. Dazu muss er die Intrigen aufdecken, und die komplizierte Suche nach den Hintermännern beginnt. Sie führt ihn in geheime Zirkel wie die (dem PNAC ähnliche) »Gruppe Schmidt« und zu illustren Persönlichkeiten wie dem ehemaligen Staatssekretär und BND-Präsidenten Hans Breuninger, dem die unsolidarische Verweigerungshaltung der Rot-Grün-Regierung zuwider ist. Doch auch diese bis heute offiziell hochgehaltene Historie versieht Bottini mit einem Fragezeichen, indem er erzählt, wie stark die Friedensdemokratie dennoch in den Irakkrieg verwickelt war. Waren bestimmte Kräfte in der Lage, die Regierungsabsichten zu unterlaufen? Verfolgte der BND eigene Interessen? Oder entspringt all dies allein Oliver Bottinis kreativer Fantasie? In jedem Fall ist »Einmal noch sterben« ein vielschichtiger, anregender, anspruchsvoller Politthriller.