Rezension zu »Einmal noch sterben« von Oliver Bottini

Einmal noch sterben

von


Hätte eine irakische Regimegegnerin den Krieg gegen ihr Land im Jahr 2003 verhindern können? Dieser fiktionale Roman erzählt, welche internationalen Kräfte damals hinter den Kulissen zusammenwirkten – und welche Rolle Deutschland dabei spielte.
Spionagethriller · Dumont · · 480 S. · ISBN 9783832198473
Sprache: de · Herkunft: de

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Gefährliche Selbsttäuschung

Rezension vom 16.01.2023 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Oliver Bottinis aktueller Roman »Einmal noch sterben« ist ein höchst komplexer Polit- und Spionage­thriller über den Irak-Konflikt, der im März 2003 seinen militä­rischen Lauf nahm. Die Verei­nigten Staaten, noch trauma­tisiert vom Attentat auf das World Trade Center im September 2001 (»9/11«), vertraten die Ansicht, dass der irakische Diktator Saddam Hussein ein zentraler Unter­stützer des islamis­tischen Terroris­mus sei, über verbotene B- und C-Waffen verfüge und nun durch eine gezielte Militär­aktion ein für allemal ent­machtet werden müsse. Um den geplanten Einsatz zu legiti­mieren, wurden UN-Waffen­kontrol­leure in das Land geschickt, um nach Massen­vernich­tungs­waffen zu suchen, und tatsäch­lich, so wurde weltweit offiziell publi­ziert und mit Fotos doku­mentiert, seien ent­spre­chende Anlagen nach­weis­bar. Im Rückblick sieht es aller­dings so aus, dass die »Operation Iraqi Freedom« bereits vorher beschlos­sene Sache war und die US-Regierung unter Präsident George W. Bush an einem Ergebnis, das den Krieg hätte abwenden können, gar kein Interesse hatte.

Oliver Bottini hat die Vorgänge um diesen Krieg, dessen Folgen bis heute fort­wirken, fiktional aufbe­reitet und zu einer span­nenden Story geformt.

Die Handlung setzt Anfang Februar 2003 ein, als US-Außen­minister Colin Powell vor dem UN-Sicher­heits­rat gespro­chen hatte. Powell, der erste Farbige in diesem Amt, begrün­dete dort das militä­rische Vorhaben seiner Regierung mit einem Konstrukt vorgeb­licher Geheim­dienst­informa­tionen, die die Massen­vernich­tungs­waffen des Irak belegen sollten.

Doch, so der Plot des Romans, eine irakische Regime­gegnerin (Deckname »Abeer«) ist im Besitz von Doku­menten, die eben diesen hoch­offi­ziellen Behaup­tungen den Boden entziehen können: Der Irak habe keinerlei Einrich­tungen, die in der Lage wären, B- und C-Waffen herzu­stellen. Könnte sie sich Gehör ver­schaffen und würde man ihr Glauben schenken, könnte das Lügen­gespinst in aller­letzter Sekunde aufge­deckt und eine Katas­trophe verhin­dert werden.

Die Romanhandlung umfasst nur drei Wochen (4. bis 25. Februar 2003), spielt an Dutzenden von Schau­plätzen im Nahen Osten und in Deutsch­land (Amman, Bagdad, Rammstein, Berlin, München und Umgebung …) und ist äußerst verästelt. Getragen wird sie von unzäh­ligen Figuren, die dankens­werter­weise alle im Namens­register am Ende des Buches verzeich­net sind, denn beim Lesen prägen sich nur die markan­testen Haupt­personen ein.

Viele von ihnen sind Geheim­dienstler, die im Dienste verschie­dener Staaten stehen und ihre Identität hinter Codenamen verbergen. Darunter sind ambitio­nierte Führungs­kräfte, erfahrene Koordi­natoren und trauma­tisierte Front­kämpfer. Sie alle agieren beruflich in einer Parallel­welt, die unseren Alltag nicht streift, wo jeder gegen jeden kämpft und das Überleben nicht selten davon abhängt, dass man perfekt schweigen, lügen, manipu­lieren kann. Ihre Maxime muss lauten: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Die Behörden der deutschen Geheim­dienste konkur­rieren eher mitein­ander als zusam­menzu­arbeiten. Der Bundes­nach­richten­dienst (BND) hat seinen abge­schotte­ten Sitz in Pullach bei München, das Bundes­kriminal­amt (BKA) seine Zentrale in Wiesbaden. Ein wichtiger Mit­spieler ist das Kanzler­amt unter Bundes­kanzler Gerhard Schröder. Der lehnt einen Krieg im Irak ab und erteilt allen Forde­rungen, Deutsch­land möge sich an der Seite der USA und Groß­britan­niens militä­risch enga­gieren, eine Absage. Doch die Ameri­kaner fordern ihren Füh­rungs­an­spruch ein und üben mit ihren Geheim­diensten Druck auf die zögernden deutschen Verbün­deten aus. Für das Ziel einer welt­weiten Führer­schaft der USA, auch mit militä­rischen Mitteln, kämpft überdies ein konser­vativer Think Tank mit dem pro­gram­mati­schen Namen »Project for the New American Century« (PNAC).

Im Verlauf von Oliver Bottinis Erzählung entsteht somit ein schwer zu durch­schau­ender Hand­lungs­nebel, der uns aller­dings ahnen lässt, dass Politik sich keines­wegs aus dem ent­wickelt, was die Medien dem Normal­bürger tag­täglich an offi­ziellem Klartext, an Verlaut­barungen, Videos, Diskus­sionen und Partei­program­men vorsetzen, sondern vielmehr im Hinter­grund beein­flusst wird von komplett verbor­genen Faktoren, die ihrer­seits oft genug auf Loya­litäts­fragen, auf Lügen, Intrigen und Mani­pula­tionen beruhen.

Bottinis Plot dreht sich darum, dass ein Agent namens »Curve­ball« (eine der vielen realen Gestalten im fiktio­nalen Panorama) dem BND Informa­tionen »über mobile Labors zur Herstel­lung von chemi­schen Ver­nichtungs­waffen« im Irak zuge­spielt hat, die den BND jedoch nicht über­zeugen. »Abeer« behauptet, sie könne beweisen, dass »Curve­ball« in Wahr­heit ein vom CIA gelenkter Spion ist. Nun soll ein Agent des BND dafür sorgen, dass ihre Unter­lagen, die über Krieg oder Frieden ent­scheiden können, in sichere Hände gelangen. Für die Aufgabe wird der Prä­zisions­schütze Frank Jaromin auser­sehen, und mit ihm kommt auch eine Prise human interest ins Spiel. Er hat sich gerade mühselig von seinen trauma­tischen Erleb­nissen auf dem Balkan erholt und fast seine Familie verloren, als ihn sein Einsatz­leiter darüber instru­iert, was bereits für ihn vorbe­reitet ist: Er wird in Amman bekannte Kriegs­gefähr­ten treffen, dann schwer bewaffnet nach Bagdad reisen und »Abeer« aufsuchen.

Doch dies ist nur die Wahrheit an der Ober­fläche. Im trüben Sumpf darunter wirken geheime Kräfte mit anderen Über­zeugun­gen, verbrei­ten eigene Informa­tionen und ziehen an Strippen, die dazu führen, dass Frank Jaromin am Ende als Mörder dasteht.

Damit ist ein Zielpunkt etlicher Hand­lungs­fäden zum Schaden des Protago­nisten erreicht, und der Roman könnte enden. Doch Jaromin ist ent­schlos­sen, seine Unschuld zu beweisen. Dazu muss er die Intrigen aufdecken, und die kompli­zierte Suche nach den Hinter­männern beginnt. Sie führt ihn in geheime Zirkel wie die (dem PNAC ähnliche) »Gruppe Schmidt« und zu illustren Per­sönlich­keiten wie dem ehe­maligen Staats­sekretär und BND-Präsi­denten Hans Breu­ninger, dem die unsolida­rische Ver­weige­rungs­haltung der Rot-Grün-Regierung zuwider ist. Doch auch diese bis heute offiziell hochge­haltene Historie versieht Bottini mit einem Frage­zeichen, indem er erzählt, wie stark die Friedens­demo­kratie dennoch in den Irakkrieg ver­wickelt war. Waren bestimmte Kräfte in der Lage, die Regie­rungsab­sichten zu unter­laufen? Verfolgte der BND eigene Inte­ressen? Oder ent­springt all dies allein Oliver Bottinis kreativer Fantasie? In jedem Fall ist »Einmal noch sterben« ein viel­schich­tiger, anre­gender, an­spruchs­voller Polit­thriller.


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