Rezension zu »Scheidung« von Moa Herngren

Scheidung

von


Ein schwedisches Ehepaar hat sich über die Jahre mit unausgesprochenen Konflikten und unerfüllten Erwartungen auseinandergelebt. Der Roman schildert die emotionalen Folgen der Trennung und die Herausforderungen, vor denen beide bei der Neuorientierung in ihrem Leben stehen.
Belletristik · Kein & Aber · · 384 S. · ISBN 9783036950327
Sprache: de · Herkunft: se

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Verborgene Risse: das langsame Auseinanderbrechen einer Ehe

Rezension vom 15.11.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Ein Blick auf den Titel des Romans von Moa Herngren könnte bei manchen Lesern eher Wider­stand als Interesse wecken. Wer selbst eine Scheidung durchlebt hat, wird vermut­lich keine Lust haben, sich mit der Thematik aus­ein­ander­zu­setzen, und dieje­nigen, die in einer glück­lichen Partner­schaft leben, könnten sich fragen, warum sie sich mit deren Zer­brechen befassen sollten. Wie auch immer man zu dem Thema steht: Die schwe­dische Autorin zeichnet in ihrem Werk einfühl­sam und diffe­renziert das tief­gehende Porträt einer Ehekrise.

Der Roman, im Original unter dem Titel »Skilsmässan« erschie­nen, wurde von Katharina Martl ins Deutsche übersetzt und von Kein & Aber ver­öffent­licht. Er erzählt die Ge­schich­te einer lang­jähri­gen Ehe, deren Ende – wie der Titel bereits verrät – unaus­weich­lich ist. Die Ereig­nisse werden aus zwei Per­spek­tiven darge­stellt. Die Handlung trägt sich zwischen Juni 2016 und Februar 2017 vor allem in Stockholm sowie auf der Insel Gotland zu.

Bea und Niklas Stjerne sind seit über 30 Jahren verhei­ratet, wobei ihre Ehe stark von traditio­nellen Rollen­bildern geprägt ist. Bea, die ihre eigenen beruf­lichen Ambi­tionen zugunsten der Familie (mit zwei inzwi­schen sech­zehn­jährigen Zwil­lings­töch­tern) zurück­ge­stellt hat, fühlt sich zunehmend über­fordert und von ihrem Mann im Stich gelassen. Niklas, als erfolg­reicher Arzt und Ernährer der Familie, scheint von den fami­liären Alltags­ver­pflich­tun­gen befreit und lebt weit­gehend unab­hängig von den Problemen, die Bea plagen. Die Ge­schich­te beginnt mit einem scheinbar trivialen Vorfall – Niklas hat vergessen, die Fähren­buchung für ihren bevor­stehen­den Fami­lien­urlaub zu bezahlen, was Bea in einen Wutanfall versetzt. Dieser Moment ist der Anfang eines viel tiefer liegenden Konflikts, der mit der Zeit die gesamte Beziehung infrage stellt.

Bea ist enttäuscht und verletzt. Seit Jahren hat sie alles allein organi­siert, während Niklas sich auf seine Karriere konzen­triert hat. Die Kluft zwischen den beiden wächst, und als Niklas nach dem Streit die Wohnung verlässt, wird schnell klar, dass er nicht nur die Beziehung, sondern auch die Familie hinter sich lässt. Bea versucht ver­zwei­felt, eine Erklärung für die plötz­liche Trennung zu finden, Niklas aber bleibt unzu­gäng­lich und verwei­gert jede Aus­sprache.

Der zweite Teil des Romans wechselt die Per­spek­tive und schildert die Ge­schich­te aus Niklas’ Sicht. Es wird deutlich, dass auch er mit seinem Leben unzu­frieden ist, sich in seiner Karriere gefangen fühlt und das Gefühl hat, nie der zu sein, der er wirklich sein möchte. Ein beruf­licher Vorfall, der ihm mora­lisch zu schaffen macht, führt ihn zu einem Job­wechsel – eine Verän­derung, die Bea zunächst erfreut, da Niklas endlich einen besser bezahlten und prestige­träch­tigen Posten ergat­tert hat. Doch die wachsende Verant­wor­tung, die er nun tragen muss, setzt ihm psy­chisch zu, und es wird klar, dass er die Ehe nie wirklich aus Liebe, sondern aus gesell­schaft­lichem Druck geführt hat.

Durch eine zufällige Begegnung mit Maria, einer Nachbarin, die ebenfalls in einer ge­schei­terten Ehe steckt, fühlt sich Niklas endlich ver­standen und beginnt, sich von den Fesseln der Ver­gangen­heit zu befreien. Maria wird für ihn zu einer Art Rettung, zu einem Raum, in dem er loslassen und sich neu orien­tieren kann.

Im ersten Teil des Romans gelingt es der Autorin, Bea als eine sehr sym­pa­thische und gleich­zeitig tragische Figur zu zeichnen. Sie ist eine Frau, die in der Vor­stel­lung lebt, Ehe und Familie seien die Grund­lage ihres Lebens, doch sie ist blind für die Risse, die sich längst in ihrer Beziehung zu Niklas gebildet haben. Ihre Ver­zweif­lung und ihre Kämpfe, die Beziehung zu retten, sind tief berührend. Die Realität bleibt uner­bitt­lich, und letztlich muss Bea die Trennung akzep­tieren. Die wirt­schaft­lichen Folgen der Scheidung zwingen sie, in eine kleine Wohnung zu ziehen; ihre Töchter wenden sich zuneh­mend ihrem Vater zu.

Die Darstellung von Beas Einsamkeit und der schmerz­haften Neu­orien­tierung nach der Trennung ist der emotional stärkste Teil des Romans. Bea gewinnt zwar eine gewisse Unab­hängig­keit zurück – sie macht den Führer­schein, findet neue Freun­dinnen – doch die Einsam­keit bleibt ihre ständige Beglei­terin.

Niklas’ Perspektive im zweiten Teil des Romans ergänzt die Erzählung auf interes­sante Weise, bleibt jedoch weniger emotional packend. Hier wird der innere Konflikt eines Mannes be­leuch­tet, der sich mit seinen eigenen Unzu­läng­lich­keiten und der wach­senden Ent­frem­dung von seiner Frau aus­ein­ander­setzen muss. Die Autorin zeigt, wie sich in der Beziehung über Jahre hinweg un­aus­ge­spro­che­ne Erwar­tungen, unver­arbei­tete emotio­nale Wunden und tief veran­kerte Miss­ver­ständ­nisse ange­sam­melt und zu einer wach­sen­den Distanz zwischen den beiden geführt haben. Niklas’ Zer­rissen­heit und seine Un­fähig­keit, sich über seine psychi­schen Belas­tungen auszu­sprechen, ver­deut­lichen die Risse, die durch diese Konflikte und un­gleiche Be­ziehungs­dyna­miken ent­standen sind.

Im dritten Teil des Romans eskaliert die Situation während der Weih­nachts­feier der Groß­familie, doch dieser drama­tische Vorfall erscheint eher über­flüssig und trägt nicht wirklich zur Weiter­ent­wick­lung der Ge­schichte bei. Es fühlt sich an, als wolle Herngren noch einen beson­deren Höhe­punkt ein­bauen, um den Roman abzu­runden, doch er wirkt künst­lich und lenkt vom eigent­lichen Thema ab.

»Scheidung« ist ein unterhaltsamer, gut lesbarer Roman, der einen tiefen Einblick in die Kom­plexi­tät von lang­jähri­gen Part­ner­schaf­ten und die emotio­nalen Stress­fak­toren einer Trennung gibt. Obwohl der Roman in vielerlei Hinsicht noch relevant ist, wirken einige seiner Bezie­hungs­pro­bleme heute weniger bedeu­tend, da jüngere Paare mit anderen Heraus­forde­run­gen kon­fron­tiert sind. Das Buch bleibt ein ein­drucks­volles Porträt einer Ehe­krise und einer Frau, die nach der Tren­nung wieder einen Weg zu sich selbst finden muss.


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