Scheidung
von Moa Herngren
Ein schwedisches Ehepaar hat sich über die Jahre mit unausgesprochenen Konflikten und unerfüllten Erwartungen auseinandergelebt. Der Roman schildert die emotionalen Folgen der Trennung und die Herausforderungen, vor denen beide bei der Neuorientierung in ihrem Leben stehen.
Verborgene Risse: das langsame Auseinanderbrechen einer Ehe
Ein Blick auf den Titel des Romans von Moa Herngren könnte bei manchen Lesern eher Widerstand als Interesse wecken. Wer selbst eine Scheidung durchlebt hat, wird vermutlich keine Lust haben, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, und diejenigen, die in einer glücklichen Partnerschaft leben, könnten sich fragen, warum sie sich mit deren Zerbrechen befassen sollten. Wie auch immer man zu dem Thema steht: Die schwedische Autorin zeichnet in ihrem Werk einfühlsam und differenziert das tiefgehende Porträt einer Ehekrise.
Der Roman, im Original unter dem Titel »Skilsmässan« erschienen, wurde von Katharina Martl ins Deutsche übersetzt und von Kein & Aber veröffentlicht. Er erzählt die Geschichte einer langjährigen Ehe, deren Ende – wie der Titel bereits verrät – unausweichlich ist. Die Ereignisse werden aus zwei Perspektiven dargestellt. Die Handlung trägt sich zwischen Juni 2016 und Februar 2017 vor allem in Stockholm sowie auf der Insel Gotland zu.
Bea und Niklas Stjerne sind seit über 30 Jahren verheiratet, wobei ihre Ehe stark von traditionellen Rollenbildern geprägt ist. Bea, die ihre eigenen beruflichen Ambitionen zugunsten der Familie (mit zwei inzwischen sechzehnjährigen Zwillingstöchtern) zurückgestellt hat, fühlt sich zunehmend überfordert und von ihrem Mann im Stich gelassen. Niklas, als erfolgreicher Arzt und Ernährer der Familie, scheint von den familiären Alltagsverpflichtungen befreit und lebt weitgehend unabhängig von den Problemen, die Bea plagen. Die Geschichte beginnt mit einem scheinbar trivialen Vorfall – Niklas hat vergessen, die Fährenbuchung für ihren bevorstehenden Familienurlaub zu bezahlen, was Bea in einen Wutanfall versetzt. Dieser Moment ist der Anfang eines viel tiefer liegenden Konflikts, der mit der Zeit die gesamte Beziehung infrage stellt.
Bea ist enttäuscht und verletzt. Seit Jahren hat sie alles allein organisiert, während Niklas sich auf seine Karriere konzentriert hat. Die Kluft zwischen den beiden wächst, und als Niklas nach dem Streit die Wohnung verlässt, wird schnell klar, dass er nicht nur die Beziehung, sondern auch die Familie hinter sich lässt. Bea versucht verzweifelt, eine Erklärung für die plötzliche Trennung zu finden, Niklas aber bleibt unzugänglich und verweigert jede Aussprache.
Der zweite Teil des Romans wechselt die Perspektive und schildert die Geschichte aus Niklas’ Sicht. Es wird deutlich, dass auch er mit seinem Leben unzufrieden ist, sich in seiner Karriere gefangen fühlt und das Gefühl hat, nie der zu sein, der er wirklich sein möchte. Ein beruflicher Vorfall, der ihm moralisch zu schaffen macht, führt ihn zu einem Jobwechsel – eine Veränderung, die Bea zunächst erfreut, da Niklas endlich einen besser bezahlten und prestigeträchtigen Posten ergattert hat. Doch die wachsende Verantwortung, die er nun tragen muss, setzt ihm psychisch zu, und es wird klar, dass er die Ehe nie wirklich aus Liebe, sondern aus gesellschaftlichem Druck geführt hat.
Durch eine zufällige Begegnung mit Maria, einer Nachbarin, die ebenfalls in einer gescheiterten Ehe steckt, fühlt sich Niklas endlich verstanden und beginnt, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Maria wird für ihn zu einer Art Rettung, zu einem Raum, in dem er loslassen und sich neu orientieren kann.
Im ersten Teil des Romans gelingt es der Autorin, Bea als eine sehr sympathische und gleichzeitig tragische Figur zu zeichnen. Sie ist eine Frau, die in der Vorstellung lebt, Ehe und Familie seien die Grundlage ihres Lebens, doch sie ist blind für die Risse, die sich längst in ihrer Beziehung zu Niklas gebildet haben. Ihre Verzweiflung und ihre Kämpfe, die Beziehung zu retten, sind tief berührend. Die Realität bleibt unerbittlich, und letztlich muss Bea die Trennung akzeptieren. Die wirtschaftlichen Folgen der Scheidung zwingen sie, in eine kleine Wohnung zu ziehen; ihre Töchter wenden sich zunehmend ihrem Vater zu.
Die Darstellung von Beas Einsamkeit und der schmerzhaften Neuorientierung nach der Trennung ist der emotional stärkste Teil des Romans. Bea gewinnt zwar eine gewisse Unabhängigkeit zurück – sie macht den Führerschein, findet neue Freundinnen – doch die Einsamkeit bleibt ihre ständige Begleiterin.
Niklas’ Perspektive im zweiten Teil des Romans ergänzt die Erzählung auf interessante Weise, bleibt jedoch weniger emotional packend. Hier wird der innere Konflikt eines Mannes beleuchtet, der sich mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten und der wachsenden Entfremdung von seiner Frau auseinandersetzen muss. Die Autorin zeigt, wie sich in der Beziehung über Jahre hinweg unausgesprochene Erwartungen, unverarbeitete emotionale Wunden und tief verankerte Missverständnisse angesammelt und zu einer wachsenden Distanz zwischen den beiden geführt haben. Niklas’ Zerrissenheit und seine Unfähigkeit, sich über seine psychischen Belastungen auszusprechen, verdeutlichen die Risse, die durch diese Konflikte und ungleiche Beziehungsdynamiken entstanden sind.
Im dritten Teil des Romans eskaliert die Situation während der Weihnachtsfeier der Großfamilie, doch dieser dramatische Vorfall erscheint eher überflüssig und trägt nicht wirklich zur Weiterentwicklung der Geschichte bei. Es fühlt sich an, als wolle Herngren noch einen besonderen Höhepunkt einbauen, um den Roman abzurunden, doch er wirkt künstlich und lenkt vom eigentlichen Thema ab.
»Scheidung« ist ein unterhaltsamer, gut lesbarer Roman, der einen tiefen Einblick in die Komplexität von langjährigen Partnerschaften und die emotionalen Stressfaktoren einer Trennung gibt. Obwohl der Roman in vielerlei Hinsicht noch relevant ist, wirken einige seiner Beziehungsprobleme heute weniger bedeutend, da jüngere Paare mit anderen Herausforderungen konfrontiert sind. Das Buch bleibt ein eindrucksvolles Porträt einer Ehekrise und einer Frau, die nach der Trennung wieder einen Weg zu sich selbst finden muss.