Ein weltweiter Computervirus: Absturz ins Mittelalter
Axel ist kein guter Schüler, aber Computerexperte. Klausuren stehen an. Er entwickelt einen Virus, der sich im Schulnetzwerk breit machen und es lahmlegen soll. Leider unterläuft ihm aber ein Schreibfehlerchen (eine Null zuviel im Zeitzünderprogramm) , und so werden die Prüfungen ohne Zwischenfälle abgehalten.
Am Tag X fallen pünktlich um 7:00 Uhr weltweit alle Systeme aus.
Über dem ländlichen Südschwarzwald stürzen Flugzeuge ab. Die Einwohner eines kleinen Ortes entgehen knapp einer Katastrophe. Der Autor stellt die Menschen mit feiner, nuancenreicher Sprache überzeugend dar. Unterschiedlichste Charaktere, in allen Facetten glaubhaft gezeichnet, wachsen dem Leser sofort ans Herz. Das ist eine absolute Stärke dieses Romans.
Susanne und Frieder Fausts Ehe ist eine reine Zweckgemeinschaft. Susanne ist ein bisschen dümmlich; er dagegen gibt sich, da Verdiener, als berechtigtes Familienoberhaupt. An seinem erwachsenen, immer noch arbeitslosen Sohn beißt er sich allerdings die Zähne aus.
Ausgerechnet ein psychisch kranker Mann bleibt mit seinen Phobien im Aufzug stecken. In seinem Kopf leben drei Stimmen, die da ein Eigenleben zu führen scheinen.
Ein Blick in die Welt nach Moskau, Neapel, Frankreich, USA, zum Balkan und nach China zeigt, dass weder Regierungen noch Militärs die Situation in den Griff bekommen. In Frankreich explodiert trotz Notstromaggregat ein Kohlekraftwerk.
Dem Autor gelingt es tatsächlich, den Leser über 800 Seiten (!!) zu fesseln. Zum einen spinnt er einen kontinuierlichen Handlungsfaden – die Dorfgemeinschaft mit den bekannten Charakteren -, zum anderen stellt er in kurzen Episoden viele Schicksale dar, die uns erschüttern. Das Salz in der Suppe dieses Romans sind viele erzählte Kleinigkeiten: Nahrungsmittel und Medikamente sind bald aufgebraucht, aber dann mangelt es auch an Haftcreme für die dritten Zähne ...
Das Thema dieses Romans ist die interessante Frage, wie die Menschen des 21. Jahrhunderts damit fertig werden, wenn sie innerhalb einer Sekunde ins Mittelalter katapultiert werden und alle Annehmlichkeiten der Moderne verlieren. Sie müssen neu leben lernen. Dabei verändern sie ihr antrainiertes gewohntes Miteinander. Beeindruckend sind die Charaktere, die sich treu bleiben und Mitmenschlichkeit bis an die Grenze ihrer eigenen Kräfte aufbringen. In Dorfgemeinschaften rücken die Einzelnen näher zusammen. In der Anonymität der Großstädte herrschen dagegen Anarchie und Krieg: die Apokalypse.
Ein faszinierender, fesselnder, Atem raubender Roman. Keine Seite wirkt in die Länge gezogen. Die Geschehnisse sind realitätsnah mit passenden Dialogen und Ortsbeschreibungen gestaltet. Herausragend finde ich, wie Michael Tietz Verhaltensmuster von Menschen in extremen Notsituationen entwickelt: In absoluter Gesetzlosigkeit können Selbsterhaltungstrieb und das nun unkontrolliert durchsetzbare Recht des Stärkeren den Menschen zum Tier werden lassen. Die vielen Beispiele, in denen Menschen über sich hinauswachsen und unter eigenen Entbehrungen Hilfsbereitschaft aufbringen, machen Mut.