Rezension zu »Der dunkle Ritter: Lojacono ermittelt in Neapel« von Maurizio de Giovanni

Der dunkle Ritter: Lojacono ermittelt in Neapel

von


Kriminalroman · Teil der Serie »I Bastardi di Pizzofalcone« · Kindler · · Gebunden · 384 S. · ISBN 9783463403823
Sprache: de · Herkunft: it · Region: Neapel und Golf

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Kleine und große Helden

Rezension vom 12.03.2017 · noch unbewertet · noch unkommentiert

In Italien ist Maurizio de Giovannis Krimi-Reihe über das ungewöhnliche neapo­litani­sche Kommis­sariat Pizzo­falcone bereits auf sechs Bände ange­wachsen. Sie fanden großen Anklang bei den Lesern im In- und Ausland und wurden für das Fern­sehen verfilmt (im Frühjahr 2017 auf RAI erstmals ausge­strahlt). Ihr Erfolg beruht wohl nicht zuletzt darauf, dass im Mittel­punkt nicht nur ein Prota­gonist in seiner Aus­einander­setzung mit einem oder mehreren Wider­sachern steht, sondern ein ganzes Team, das parallel mehrere Fälle abar­beiten muss. Man kauft also, wenn man das so sehen will, gleich einen ganzen Strauß von Krimi­plots ein und wird abwechs­lungs­reich unter­halten wie in einem Magazin.

Überdies sind die »bastardi« von Pizzo­falcone alles andere als normale Polizis­ten. Vielmehr ist ihr Kom­mis­sariat eine Art Straf­kolonie für sechs »gefallene Gesetzes­hüter«, denen man eine letzte Chance zur Re­habilitie­rung einge­räumt hat. Jedes Mitglied in diesem verspreng­ten Häuflein trägt an Fehlern in seiner dunk­len Ver­gangen­heit, hat charak­terliche Schwächen, leidet unter beson­deren fami­liären Problemen, neigt zu knapp neben der Spur laufenden Verhal­tens­weisen. Die anderen Reviere in Neapel geben ihnen keine Chance und beob­achten das Experi­ment mit Häme und Miss­trauen.

Im soeben auf Deutsch erschienenen dritten Band hat die Mann­schaft bereits erste Bewäh­rungs­proben bestanden und sich auch unter­einander zu einem gut funktio­nieren­den Team zu­sammen­gerauft. Man frotzelt, nimmt den anderen auf den Arm, nennt sich beim Spitz­namen, akzep­tiert aber inzwi­schen die Eigen­arten der anderen, die sich auch als Vorzüge erweisen können.

Nachtrag im Mai 2021: Was es mit der Truppe der »Aus­gesto­ßenen« auf sich hat, erfahren Sie mit vielen Hinter­grund­informa­tionen in meiner Übersicht der Kriminalromane und Fernsehfilme von Maurizio de Giovanni.

Für Neueinsteiger der Reihe stellt der Autor sein Team anfangs kurz vor. Doch dann hält sich das private Be­ziehungs­trara mit seinen viel­fälti­gen Problem­kreisen wohl­tuend im Hinter­grund – zuguns­ten der krimi­nalisti­schen Ermitt­lungs­arbeit in drei Fällen.

Während eines Schulausflugs ist ein Zehnjähriger entführt worden. Nicht irgend­einer, sondern Edoardo, einziger Enkel eines stink­reichen Geschäfts­mannes und einziges Familien­mitglied, das er seiner Zunei­gung für würdig befindet. Eine gigantische Löse­geld­forde­rung folgt auf dem Fuß, aber für »Dodo« ist der Groß­vater bereit, sein letztes Hemd herzu­geben. Früh ahnt der routi­nierte Krimi­leser, wer das Geld am nötigs­ten braucht …

Während die Kollegen Aragona und Romano aus der zweiten Reihe diesen drama­tischen Fall über­nehmen, sind Top-Er­mittler Loja­cono und Kollegin Alex Di Nardo zu einem seltsamen Wohnungs­einbruch gerufen worden. Da ist jemand in eine unge­sicherte Wohnung hinein­spaziert, derweil deren Besitzer auf Ischia weilten. Die Umstände sind be­fremd­lich: die Alarm­anlage ausge­stellt, die Tür nicht aufge­brochen, in der Wohnung geord­netes Chaos. Von den einla­denden Wert­sachen – Silber, Schmuck, Gemälde – wurde nichts beschä­digt oder gestohlen, nur der offen stehende Tresor leer­geräumt. Alles halb so schlimm, scheint es, denn es sei ja »nichts von Belang« abhanden gekommen, wie der siebzig­jährige Eigen­tümer Salva­tore Parascan­dole mit dem »Gesichts­ausdruck einer Bulldogge« versichert.

Den »Presidente« Giorgio Pisanelli treibt indessen seine Obsession um. Seine geliebte Frau Carmen ist nach einem schweren Krebs­leiden von ihm gegangen, indem sie einen Cocktail aus Schmerz- und Schlaf­tablet­ten zu sich nahm. Doch trotz ihrer physi­schen Ab­wesen­heit sind sich die beiden Ehe­gatten noch immer nah. Giorgio spricht mit der Ver­storbe­nen, auch über die vielen anderen Selbst­morde im Viertel, denn der Polizist hegt Zweifel, dass sie alle aus freien Stücken begangen wurden. Er ist überzeugt, ein »Mori­bun­den-Mörder« gehe um, der einsamen, kranken und depres­siven Menschen einen ver­meint­lich guten Dienst erweisen möchte. Sein nächstes Opfer könnte eine arme Witwe sein, die allein in einem tristen Keller­loch haust. Um dem unbe­kannten Todes­engel aus seiner Fantasie zuvor­zukom­men, beschat­tet Giorgio die alte Dame auf Schritt und Tritt.

In der guten Absicht, seinen Roman literarisch über die durch­schnitt­liche Krimikost hinauszu­heben, hat sich der Autor einiges einfallen lassen. Er bereitet die verschie­denen Handlungs­fäden aus unter­schied­lichen Blick­winkeln auf, was noch mehr Ab­wechs­lung und zusätz­liche Ver­rätse­lung bringt, aber den Über­blick nicht gerade erleichtert. Neben der Sicht­weise der Polizisten erleben wir die der Krimi­nellen, und be­sonders ein­dringlich wirkt die angst­volle Innen­perspek­tive des jungen »Dodo«, der allein in einem dunklen Zimmer gefangen ist und sich fest an die kleine Plastik­figur seines Helden Batman klammert. Als poeti­sches Leit­motiv installiert der Autor düstere Gedanken über die Zeit, die üblicher­weise als Wonne­monat gilt: »Hütet euch vor dem Mai! … Denn der Mai in dieser Stadt weiß, wie er euch täuschen kann … Er um­schlingt euch mit seinen Tentakeln, und schon denkt ihr, alles sei in bester Ordnung, alles sei wie immer. Von wegen.« Nach meinem Geschmack ist all dies des Guten zuviel, denn der Fokus verliert sich, der Plot zer­fleddert, die Lektüre kann an­strengend werden.

Auch bei uns findet Maurizio de Giovannis Krimireihe ihre treuen Anhänger, nicht zuletzt, weil die Wie­der­erken­nung des zusammen­gewürfel­ten, markanten Teams mit lauter eigen­artigen Charak­teren, die, jeder auf seine Weise, das Herz am rechten Fleck haben, Spaß macht. Warten wir auf die nächsten Fälle für die »bastardi« von Pizzo­falcone. Was die Spannung angeht, ist freilich noch immer genügend Luft nach oben.


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