Allmen und Butler Carlos: das neue Kult-Duo
Erst im Frühjahr hat der Schweizer Bestseller-Autor Martin Suter mit seinem ersten Band "Allmen und die Libellen" den Startschuss zu einer dreiteiligen Krimireihe abgefeuert, und nun haben wir die Fortsetzung "Allmen und der Diamant" in Händen. Das ungleiche Paar Allmen und sein Diener Carlos haben vor zwei Jahren die Firma "Allmen International Inquiries" gegründet, ein Unternehmen, das weltweit agiert und schwerpunktmäßig Kunstwerke und Antiquitäten wiederbeschafft. Der Internetauftritt ist großspurig: "The Art of Tracing Art" ...
Nach lediglich zwei kleinen Aufträgen kann man noch nicht behaupten, dass der Rubel rollt. Aber die Anfrage eines Engländers namens Montgomery könnte zum Durchbruch verhelfen. Da Allmen diesen Mann unmöglich in seiner Hinterhofklitsche empfangen kann, stellt ihm sein Freund Tommy Grant, Junior der etablierten Anwaltskanzlei Grant Associates in Knightbridge, für diesen Zweck ein repräsentatives Büro zur Verfügung. Dort erscheint jener Montgomery zum vereinbarten Termin in Businessanzug und abgewetztem Executive Case, doch dem formvollendeten Erscheinungsbild widerspricht sein ganz und gar nicht upper-class-mäßiges Englisch. Kurz, bündig und sachlich erteilt Montgomery Allmen den Auftrag, einen rosa Diamanten im Wert von 45 Millionen Dollar wiederzubeschaffen und die Drahtzieher des Coups zu finden. Die Jagd beginnt!
Schnell konzentriert sich alles auf den Russen Artjom Sokolow, der zufällig in Allmens Nachbarschaft ein Haus für ein Jahr angemietet hatte, aber gar nicht erst bezog, weil er untertauchen musste. Allmen heftet sich an des Russen Fersen und spürt ihn im Nobelhotel "Grand Duc" im Ostseebad Heiligendamm auf. Nachdem die beiden sich bekannt gemacht und Bruderschaft getrunken haben, lässt Sokolow anklingen, dass er erst lernen müsse, mit Reichtum zu leben. Das scheint also tatsächlich der gesuchte Mann zu sein – und als man den später tot im Spabereich findet, hat der bislang etwas schlicht gestrickte Krimi seinen ersten Toten. Danach entfaltet Suter sein ganzes Potenzial: Die Handlung nimmt eine völlig unerwartete Wendung, der Roman erhält eine topaktuelle Brisanz und endet auf dem Parkett der Finanzmärkte ...
Die Krimihandlung ist als solche nicht sehr aufregend; der Lesereiz liegt eindeutig bei den Protagonisten, die für mich schon Kultcharakter haben.
Der hochwohlgeborene Johann Friedrich von Allmen hat seinen edlen Alltag nicht verändert. Warum sollte er auch? Adel verpflichtet, und er kann gar nicht anders leben – dafür muss man Verständnis haben. Nachdem Allmen, wie wir im ersten Band erfahren, das von seinem Vater hart erarbeitete Erbe in kürzester Zeit durchgebracht hat, lebt er – trotz Schulden – stilgerecht und kultiviert. Dem Eindruck nach, den er erweckt, hat er immer Geld: Er lässt sich von Herrn Arnold am liebsten im Cadillac Fleetwood chauffieren, er besucht regelmäßig gegen zehn sein Café Viennois, um den Tagesrhythmus mit einer Siesta fortzusetzen und mit einem Opernbesuch am Abend abzuschließen. Gern hinterlässt er großzügige Trinkgelder, und die Frage "Können wir uns das leisten?" ist ihm noch nie in den Sinn gekommen – bis Carlos ihn informiert, dass er eine Putzfrau angeheuert habe ...
Die niederen Arbeiten übernimmt sein Butler Carlos, ein Illegaler aus Guatemala. Devot bringt er Allmen jeden Morgen den Tee ans Bett, übernimmt die Gartenarbeiten und Hausmeistertätigkeiten für die Treuhandfirma, die das gesamte Erbe Allmens aufgekauft und den beiden das alte Gärtnerhaus mit lebenslangem Bleiberecht überlassen hat. Dabei könnte Carlos ganz anders auftrumpfen, denn er ist sparsam, legt sein Geld geschickt an und greift sogar seinem Arbeitgeber Allmen immer wieder mit Darlehen unter die Arme. Mittlerweile gehört ihm sogar die Mehrheit am gemeinsam gegründeten Unternehmen "Allmen International Inquiries", da er nach und nach immer mehr von Allmens Aktien erworben hat.
Während Allmen den feinen Pinkel gibt, der sich beim Einkauf im Supermarkt peinlich berührt gibt und als für solch triviale Aktivitäten unfähig erweist, zieht der stets bescheidene Carlos im Hintergrund die Fäden. Ohne sein IT-Know-How hätten sie diesen Fall nicht zu lösen vermocht.
Martin Suter hat seine eigene Sparte gefunden: Ein Gentleman-Roman mit einem Hochstapler in feinstem Maßanzug, für den Luxus eine Lebensnotwendigkeit ist. Es war halt schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben. Mit einem Bourbon für die Herren, einem Five-o'clock-tea für die Damen lässt sich dieser Roman an einem lausigen Sommernachmittag im August 2011 entspannt und angenehm lesen. Und vermutlich würde auch Allmen keine Skrupel haben, die Diogenes-Ausgabe mit seinen gepflegten Händen aufzuschlagen, ist sie doch in edles hellgraues Leinen gebunden und mit einem cremefarbenen Lesebändchen versehen ...