Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben
von Mark Benecke und Kat Menschik
Unterhaltsam und amüsant zu lesende Essays voller Wissenswertem und Überraschendem über bekannte und unbekannte Tiere, kongenial und attraktiv illustriert.
Tierisches Panoptikum
Was unterscheidet eigentlich den Menschen vom Tier? Oder anders gefragt: Was unterscheidet eigentlich das Tier vom Menschen? Gar nicht so viel, wie man gemeinhin annimmt. Zu diesem Schluss kommt man nach der Lektüre des wunderbaren Büchleins, das ein diplomierter Biologe verfasst und eine begnadete Künstlerin illustriert hat. Es stellt sich selbstbewusst in die Tradition berühmter Tierenzyklopädien wie »Brehms Tierleben« (ab 1864 immer wieder aktualisiert, erweitert und neu aufgelegt) und »Grzimeks Tierleben« (ab 1967), die einst neben »Meyers Konversations-Lexikon« viele gutbürgerliche Bücherwände zierten.
Wiewohl der Autor schon mit dem altväterlich formulierten und orthographierten Titel dem Vorläufer Alfred Brehm seine Reverenz erweist, hat er doch gänzlich anderes im Sinn als dessen ambitionierte Systematisierung des Tierbestandes. Als renommierter Kriminalbiologe weiß Mark Benecke wissenschaftliches Arbeiten natürlich zu schätzen und selbst zu leisten, aber nicht zuletzt seine Medienpräsenz belegt, dass der umfänglich Tätowierte auch eine Entertainer-Begabung hat. In diesem Büchlein gelingt ihm ein attraktives Beispiel wissenschaftlich fundierter Unterhaltung. Wer die siebzehn kurzen Essays im lockeren Plauderton liest, erfährt auf genüssliche Weise viel Wissenswertes, Erstaunliches und Amüsantes über eine kleine Auswahl teils populärer, teils unpopulärer, aber sich durchweg als interessant erweisender Spezies von Barschen und Bienen, Enten und Elchen, Käfern und Katzen, Sittichen und Silberfischchen, Störchen und Staren. Durch die freundlich ansprechende und humorvolle Präsentation ihrer oftmals faszinierenden Eigenschaften gelingt es dem Autor, dass wir gewohnte Sichtweisen über Bord werfen und die tierischen Mitbewohner unseres Planeten mit neuen Augen wahrnehmen. Wer hätte gedacht, dass, wenn man sie mit unvoreingenommener Neugier betrachtet, auch Glühwürmchen für voll genommen werden können, auch Schaben Respekt verdienen und Pudel mehr sind als Dekoobjekte?
Zu all diesen Effekten trägt die liebevolle bibliophile Gestaltung des Büchleins durch die freie Illustratorin Kat Menschik bei. Sich ebenfalls an die traditionellen Darstellungsweisen früherer Naturforscher anlehnend, hat sie die beschriebenen Tiere in verschiedenen Ansichten porträtiert, teils einzeln und ganzseitig, teils in verspielten Kombinationen. Anders als bei Darwin oder Brehm zielen die Abbildungen aber nicht auf akribische Detailwiedergabe, sondern auf charakterisierende Eindrücke. Die knallbunten Bilder auf schwarzem Hintergrund ergänzen Mark Beneckes Texte kongenial und strahlen gleichzeitig ganz eigenständige Reize aus.
Auf der sprachlichen Seite stimulieren bereits die Kapitelüberschriften per charakterisierendem Adjektiv die Neugier auf das Tier, um das es gehen wird: »Nekrophile Enten«, »Betrunkene Elche«, »Rotbeinige Schinkenkäfer«. Naheliegenderweise widmet der Autor unserem Lieblingshaustier den gebührenden Raum. Wie bei einem »gewöhnlichen Menschen« erkennt Benecke auch beim Hund verderbte und liebenswerte Charaktereigenschaften, was vielleicht unsere gegenseitige Verbundenheit begründet. Schade nur, dass die Kommunikation mangels Sprache auf der tierischen Seite restringiert und fehleranfällig bleiben muss.
So erfahren wir in »Beschämte Hunde«, dass der unterwürfige Augenaufschlag unseres treuen Wegbegleiters nichts als menschliche Projektion sei. Während Verhaltensforscher Konrad Lorenz noch glaubte, dass des Menschen bester Freund zu Empathie fähig sei, haben spätere Tierpsychologen belegt, dass es nur der Mensch sei, der in den »niedergeschlagenen Blick« ein Schuld- oder Schamgefühl hineindeutet. Und nur der Mensch wird in den Kulleraugen eines Mopses »Putziges«, »Niedliches« oder gar »Witziges« entdecken können. Wiewohl durch Loriot zu unsterblicher Berühmtheit gelangt und heutzutage ein beliebtes Ausführobjekt für modebewusste junge Leute mit Spaß an kauzigem Aussehen, ist der Mops nichts als ein bedauernswertes Produkt von Qualzucht schlechthin. Weil ihm die Nase fast komplett weggezüchtet wurde, kann der Arme kaum atmen, und überdies hielt schon Alfred Brehm den »Altejungfernhund« für »dumm, langsam, phlegmatisch«.
Ohnehin zieht der Vierbeiner den Kürzeren in dieser Partnerschaft. Auch der Pudel war einmal ein veritabler Jagdhund, ehe der Mensch ihn zum Schoß- und Familientier und – schlimmer noch – als Designobjekt auserkor. Das Styling des Lebewesens war nicht nur der Mode unterworfen, sondern sogar dem Wandel politischer Ideologien. So erteilten die Nazis dem Pudelzüchter Hans Thum ein Zuchtverbot wegen seiner Erfindung des »Karakul-Schnitts« und anderer »Thumschen Geschmacklosigkeiten« und bespuckten Herr und Hund gleichermaßen. Die Geschichte hätte für Thum im KZ enden können, nahm dann aber, wie wir lesen dürfen, einen geradezu märchenhaften Verlauf.
Neben anerkannt tüchtigen Haus- und Nutztieren haben auch Exoten unsere Wertschätzung erfahren, wie der Autor am Beispiel des Kopffüßlers Paul erläutert. Der Krake orakelte zur Fußballweltmeisterschaft 2010 mehrfach die späteren Spielergebnisse der deutschen Nationalmannschaft und erntete dafür Ver- und Bewunderung. Dass diese Spezies über respektable Intelligenz verfügt, lernte Benecke während eines lernpsychologischen Praktikums auf einer irischen Insel kennen und schätzen, aber Hellseherei von ihnen zu erwarten überfordert sie.
Die vielleicht interessantesten Einblicke erhalten wir, wenn es um die unscheinbarsten und unbeliebtesten kleinen Biester geht, wie zum Beispiel die Fliegenlarven, die aus dem »Casu marzu« hüpfen und damit (begleitet von bestialischem Gestank) den richtigen Reifungsgrad dieser sardischen Käsespezialität (»verdorbener Käse«) indizieren.
Um Indikationen geht es auch im medizinischen Spezialgebiet des Autors, in das er uns winzige Einblicke gewährt. Als Forensiker analysiert er den Befall von Leichen mit Insekten. Unzählige krabbelige, unansehnliche Lebewesen tummeln sich auf und im toten Körper, und ihre Identitäten und Populationen liefern dem Experten wichtige Erkenntnisse über Todes- und Verbrechensumstände. Was uns schon beim Lesen blass bis grün werden lässt, löst bei ihm Begeisterung aus, und in jedem Satz schwingen Entdeckerfreude und Faszination mit, denn immer wieder findet er einzigartige, oft unbekannte Tierchen, die vielen Tierbuchautoren keiner Nennung wert sind.
Neben Alfred Brehm und Bernhard Grzimek fand Mark Benecke übrigens noch vier weitere würdige Vorläufer für seine Expeditionen ins Reich bemerkenswerter Tiere: die »Donaldisten« paTrick und Oliver Martin, Klaus Harms und Peter Jacobsen, die Gründer von »D.O.N.A.L.D.« (1977). Diese Organisation ist eine Hommage an den Comiczeichner Carl Barks, der in den Fünfzigerjahren für Walt Disney unzählige Geschichten um die eigenwillige Ente Donald Duck und eine Fülle weiterer anthropomorpher Tiere gezeichnet und damit aus seiner Fantasie einen ganzen Kosmos erschaffen hatte. Streng wissenschaftlich untersuchten die vier Forscher die bizarren Geschöpfe aus dem Paralleluniversum von Entenhausen, sortierten sie »nach biologischen Über- und Untergruppen« und publizierten, was sie über »Camelus Entenhausensis microscopicus« (»Zwerg-Dromedar«), »Cracula papperlapappa« (»Indischer Plaudervogel«) und Konsorten ermittelt hatten. Ihnen widmet Mark Benecke das erste Kapitel, »Barks Thierleben«.
Es würde mich wundern, wenn das Gespann Benecke/Menschik/Galiani das hier so hübsch begonnene Konzept nicht fortsetzen würde. Tiere gibt’s noch genug, und sowohl Brehm als auch Grzimek haben mit jeweils dreizehn Bänden ihrer »Tierleben« die Latte hochgelegt.