Rezension zu »Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben« von Mark Benecke und Kat Menschik

Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben

von


Unterhaltsam und amüsant zu lesende Essays voller Wissenswertem und Überraschendem über bekannte und unbekannte Tiere, kongenial und attraktiv illustriert.
Sachbuch · Galiani · · 160 S. · ISBN 9783869712017
Sprache: de · Herkunft: de

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Tierisches Panoptikum

Rezension vom 07.01.2021 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Was unterscheidet eigentlich den Menschen vom Tier? Oder anders gefragt: Was unter­scheidet eigent­lich das Tier vom Menschen? Gar nicht so viel, wie man gemeinhin annimmt. Zu diesem Schluss kommt man nach der Lektüre des wunder­baren Büchleins, das ein diplo­mierter Biologe verfasst und eine begnadete Künst­lerin illus­triert hat. Es stellt sich selbst­bewusst in die Tradition berühmter Tier­enzyklo­pädien wie »Brehms Tierleben« (ab 1864 immer wieder aktuali­siert, erweitert und neu aufgelegt) und »Grzimeks Tierleben« (ab 1967), die einst neben »Meyers Konver­sations-Lexikon« viele gut­bürger­liche Bücher­wände zierten.

Wiewohl der Autor schon mit dem altväterlich formu­lierten und ortho­graphier­ten Titel dem Vorläufer Alfred Brehm seine Reverenz erweist, hat er doch gänzlich anderes im Sinn als dessen ambitio­nierte Syste­matisie­rung des Tierbe­standes. Als renom­mierter Kriminal­biologe weiß Mark Benecke wissen­schaft­liches Arbeiten natürlich zu schätzen und selbst zu leisten, aber nicht zuletzt seine Medien­präsenz belegt, dass der umfäng­lich Täto­wierte auch eine Enter­tainer-Begabung hat. In diesem Büchlein gelingt ihm ein attrak­tives Beispiel wissen­schaft­lich fundier­ter Unter­haltung. Wer die siebzehn kurzen Essays im lockeren Plauder­ton liest, erfährt auf genüss­liche Weise viel Wissens­wertes, Erstaun­liches und Amüsantes über eine kleine Auswahl teils populärer, teils unpopu­lärer, aber sich durchweg als interes­sant erwei­sender Spezies von Barschen und Bienen, Enten und Elchen, Käfern und Katzen, Sittichen und Silber­fischchen, Störchen und Staren. Durch die freund­lich anspre­chende und humor­volle Präsen­tation ihrer oftmals faszinie­renden Eigen­schaften gelingt es dem Autor, dass wir gewohnte Sicht­weisen über Bord werfen und die tieri­schen Mitbe­wohner unseres Planeten mit neuen Augen wahr­nehmen. Wer hätte gedacht, dass, wenn man sie mit unvor­eingenom­mener Neugier betrach­tet, auch Glüh­würmchen für voll genommen werden können, auch Schaben Respekt verdienen und Pudel mehr sind als Deko­objekte?

Zu all diesen Effekten trägt die liebevolle bibliophile Gestal­tung des Büchleins durch die freie Illustra­torin Kat Menschik bei. Sich ebenfalls an die traditio­nellen Dar­stellungs­weisen früherer Natur­forscher anlehnend, hat sie die beschrie­benen Tiere in verschie­denen Ansichten porträ­tiert, teils einzeln und ganz­seitig, teils in verspiel­ten Kombina­tionen. Anders als bei Darwin oder Brehm zielen die Abbil­dungen aber nicht auf akribi­sche Detail­wieder­gabe, sondern auf charakteri­sierende Eindrücke. Die knall­bunten Bilder auf schwarzem Hinter­grund ergänzen Mark Beneckes Texte kongenial und strahlen gleich­zeitig ganz eigen­ständige Reize aus.

Auf der sprachlichen Seite stimulieren bereits die Kapitel­über­schriften per charak­terisie­rendem Adjektiv die Neugier auf das Tier, um das es gehen wird: »Nekro­phile Enten«, »Betrun­kene Elche«, »Rotbei­nige Schinken­käfer«. Nahe­liegender­weise widmet der Autor unserem Lieblings­haustier den gebüh­renden Raum. Wie bei einem »gewöhn­lichen Menschen« erkennt Benecke auch beim Hund verderbte und liebens­werte Charakter­eigen­schaften, was viel­leicht unsere gegen­seitige Verbunden­heit begründet. Schade nur, dass die Kommuni­kation mangels Sprache auf der tieri­schen Seite restrin­giert und fehler­anfällig bleiben muss.

So erfahren wir in »Beschämte Hunde«, dass der unter­würfige Augen­aufschlag unseres treuen Wegbe­gleiters nichts als mensch­liche Projek­tion sei. Während Verhaltens­forscher Konrad Lorenz noch glaubte, dass des Menschen bester Freund zu Empathie fähig sei, haben spätere Tier­psycho­logen belegt, dass es nur der Mensch sei, der in den »nieder­geschla­genen Blick« ein Schuld- oder Scham­gefühl hinein­deutet. Und nur der Mensch wird in den Kuller­augen eines Mopses »Putziges«, »Nied­liches« oder gar »Witziges« ent­decken können. Wiewohl durch Loriot zu unsterb­licher Berühmt­heit gelangt und heutzu­tage ein beliebtes Ausführ­objekt für mode­bewusste junge Leute mit Spaß an kauzigem Aussehen, ist der Mops nichts als ein bedauerns­wertes Produkt von Qualzucht schlecht­hin. Weil ihm die Nase fast komplett wegge­züchtet wurde, kann der Arme kaum atmen, und überdies hielt schon Alfred Brehm den »Alte­jungfern­hund« für »dumm, langsam, phlegma­tisch«.

Ohnehin zieht der Vierbeiner den Kürzeren in dieser Partner­schaft. Auch der Pudel war einmal ein verita­bler Jagdhund, ehe der Mensch ihn zum Schoß- und Familien­tier und – schlimmer noch – als Design­objekt auserkor. Das Styling des Lebe­wesens war nicht nur der Mode unter­worfen, sondern sogar dem Wandel politi­scher Ideolo­gien. So erteilten die Nazis dem Pudel­züchter Hans Thum ein Zucht­verbot wegen seiner Erfindung des »Karakul-Schnitts« und anderer »Thumschen Geschmack­losig­keiten« und bespuck­ten Herr und Hund gleicher­maßen. Die Geschichte hätte für Thum im KZ enden können, nahm dann aber, wie wir lesen dürfen, einen geradezu märchen­haften Verlauf.

Neben anerkannt tüchtigen Haus- und Nutztieren haben auch Exoten unsere Wert­schätzung erfahren, wie der Autor am Beispiel des Kopf­füßlers Paul erläutert. Der Krake orakelte zur Fußball­welt­meister­schaft 2010 mehrfach die späteren Spiel­ergeb­nisse der deutschen National­mann­schaft und erntete dafür Ver- und Bewunde­rung. Dass diese Spezies über respek­table Intelli­genz verfügt, lernte Benecke während eines lern­psychologi­schen Prakti­kums auf einer irischen Insel kennen und schätzen, aber Hell­seherei von ihnen zu erwarten über­fordert sie.

Die vielleicht interessantesten Einblicke erhalten wir, wenn es um die unschein­barsten und unbelieb­testen kleinen Biester geht, wie zum Beispiel die Fliegen­larven, die aus dem »Casu marzu« hüpfen und damit (begleitet von bestiali­schem Gestank) den richtigen Reifungs­grad dieser sardi­schen Käse­spezia­lität (»verdor­bener Käse«) indizie­ren.

Um Indikationen geht es auch im medizi­nischen Spezial­gebiet des Autors, in das er uns winzige Einblicke gewährt. Als Foren­siker analy­siert er den Befall von Leichen mit Insekten. Unzählige krabbe­lige, unan­sehn­liche Lebewesen tummeln sich auf und im toten Körper, und ihre Identi­täten und Popula­tionen liefern dem Experten wichtige Erkennt­nisse über Todes- und Verbrechens­umstände. Was uns schon beim Lesen blass bis grün werden lässt, löst bei ihm Begeis­terung aus, und in jedem Satz schwingen Entdecker­freude und Faszi­nation mit, denn immer wieder findet er einzig­artige, oft unbe­kannte Tierchen, die vielen Tierbuch­autoren keiner Nennung wert sind.

Neben Alfred Brehm und Bernhard Grzimek fand Mark Benecke übrigens noch vier weitere würdige Vorläufer für seine Expedi­tionen ins Reich be­merkens­werter Tiere: die »Donal­disten« paTrick und Oliver Martin, Klaus Harms und Peter Jacobsen, die Gründer von »D.O.N.A.L.D.« (1977). Diese Organi­sation ist eine Hommage an den Comic­zeichner Carl Barks, der in den Fünfziger­jahren für Walt Disney unzählige Geschich­ten um die eigen­willige Ente Donald Duck und eine Fülle weiterer anthropo­morpher Tiere gezeich­net und damit aus seiner Fantasie einen ganzen Kosmos erschaf­fen hatte. Streng wissen­schaftlich untersuch­ten die vier Forscher die bizarren Geschöpfe aus dem Parallel­universum von Enten­hausen, sortier­ten sie »nach biologi­schen Über- und Unter­gruppen« und publi­zierten, was sie über »Camelus Enten­hausensis micro­scopicus« (»Zwerg-Dromedar«), »Cracula papper­lapappa« (»Indischer Plauder­vogel«) und Konsorten ermittelt hatten. Ihnen widmet Mark Benecke das erste Kapitel, »Barks Thier­leben«.

Es würde mich wundern, wenn das Gespann Benecke/Menschik/Galiani das hier so hübsch begonnene Konzept nicht fort­setzen würde. Tiere gibt’s noch genug, und sowohl Brehm als auch Grzimek haben mit jeweils dreizehn Bänden ihrer »Tierleben« die Latte hoch­gelegt.


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