Rezension zu »Jack« von Marilynne Robinson

Jack

von


Die Geschichte einer schwarz-weißen Liebesbeziehung im Amerika der Fünfzigerjahre, die alle Klischees auf den Kopf stellt, nirgendwo Akzeptanz findet und einer gesellschaftlichen Zerreißprobe ausgesetzt ist.
Belletristik · Fischer · · 384 S. · ISBN 9783103971071
Sprache: de · Herkunft: us

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.
Gebundene Ausgabe E-Book

Aussichtslos

Rezension vom 26.07.2023 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Im Nirgendwo der Prärien des mittleren Westens der USA liegt der fiktio­nale Ort Gilead, Missouri, wo sich nichts zu bewegen scheint und doch erschüt­ternde Dramen abspielen, wie etwa die eigen­artige, tragische Liebes­bezie­hung zwischen der am­bitio­nierten Farbigen Della und dem Weißen Jack, der mit seinem zwie­spälti­gen Charakter sein Leben nicht in den Griff bekommt. Die beiden erschei­nen kaum kompa­tibel zuein­ander, und dennoch lieben sie sich wahr­haftig. Aber einen gemein­samen Lebens­entwurf selbst­be­stimmt und frei zu gestalten ist für sie undenkbar. Die strikte Rassen­tren­nung in ihrer Zeit – es sind die Fünf­ziger­jahre – und die strengen Regeln der domi­nanten christ­lichen Glaubens­gemein­schaf­ten der Gegend stellen ihnen un­über­wind­bare Hinder­nisse entgegen.

Beide sind in engagiert protestan­tischen Eltern­häusern groß­gewor­den. Della ist die Tochter eines ange­sehe­nen Metho­disten-Bischofs aus Memphis. Sie weiß, was sie ist und kann und strebt klare Ziele an. Jetzt arbeitet sie als Lehrerin an einer High­school.

Jacks Vater ist Presbyterianer-Predi­ger und eben­falls hoch geachtet, doch sein jüngster Sohn hat ihm noch nie Ehre gebracht. An Bega­bungen fehlt es ihm nicht. Er formu­liert brillant, ist gebildet, anspruchs­voll belesen und beschäf­tigt sich gern mit schwie­rigen existen­tiellen Grund­satz­proble­men. Aber als Student hatte er eine Minder­jährige ge­schwän­gert und im Stich gelassen, tingelte dann durchs Leben, klaute seine Bücher in Biblio­theken, schlug sich mit Alkohol und Klein­krimi­nalität durch, landete im Gefängnis, wo man ihn den »Professor« nannte. Dass die Eltern derweil das zurück­gelas­sene Kind in ihre Obhut genommen hatten, dankte er ihnen nicht, sondern ließ sich über zwanzig Jahre nicht mehr zu Hause blicken. Trotz seiner Über­heblich­keit, seiner Ecken und Kanten, Wider­sprüch­lich­keiten und Probleme ist er immer der Liebling seines Vaters geblieben.

Jack, eine Art verlorener Sohn, steht im Mittel­punkt des Plots dieses Romans. Kann er trotz aller Widrig­keiten eine Liebes­beziehung mit einer Frau wie Della unter­halten? Wird er eine Chance bekommen, sein ver­korks­tes Leben zu ordnen – und wird er sie nutzen können? Wer Marilynne Robinsons »Gilead«-Trilogie (»Gilead«, Pulitzer-Preis 2005 – »Zuhause«, 2008 – »Lila«, 2014) bereits gelesen hat, wird viele Ereig­nisse aus Jacks Ver­gangen­heit schon kennen. Denn »Jack«, im Original 2020 erschie­nen und jetzt von Uda Strätling übersetzt, ist ein vierter Band des Fami­lien­epos, der sich speziell dieser Figur widmet und ihre Ent­wick­lung intensiv, in Zeit­sprün­gen und Per­spektiv­wech­seln be­schreibt. Man kann das Buch aber auch ohne Kenntnis der Vorläufer problem­los lesen.

Eine fordernde Lektüre ist der Roman, den auch Ex-Präsident Barack Obama bewundert, allemal. Er sperrt sich gegen jegliche Chrono­logie, die Struktur ist kunstvoll, und die einzelnen Puzzle­steine fügen sich im zeit­lichen Hin und Her nur schwer zu einem Gesamt­bild. So wird beispiels­weise die Szene, in der sich die beiden Haupt­figuren in einem Lokal kennen­lernen, erst nach etwa ein­hundert­fünfzig Seiten erzählt, nachdem wir schon in einer ganzen Reihe von Episoden Einblicke in die be­fremd­lichen Konflikte zwischen den unge­wöhn­lichen Liebenden erhalten haben.

Die dialogreiche Anfangs­szene wirft uns unvor­berei­tet und ohne Einstiegs­hilfen in medias res. Wer ist »er«, wer »sie«, die sich da auf dem Heimweg einen eigen­artigen Wort­wechsel liefern – brüsk, unnach­giebig, schlag­fertig, mit intelli­genten Repliken und durchaus irgendwie einfühl­sam? Sie kennen sich wohl seit kurzem, aber wir erfahren vorerst nichts von ihren Eigen­schaf­ten und Hinter­gründen. Dafür kommen die erbärm­lichen Umstände der ganzen Begegnung ans Tages­licht. Jack hatte Della in einem schäbigen Etablisse­ment zum Essen einge­laden, dann tauchten Schläger auf, um Geld­schulden von Jack einzu­treiben, worauf­hin er sich durchs Küchen­fenster davon­machte und Della auf der Rechnung sitzen­blieb. Niemand, sagt sie, als er sie gegen ihren Willen nach Hause begleitet, habe sie je zuvor im Leben »in eine derart peinliche Lage gebracht«. Ihre For­mulie­rungen sind abweisend, sie will ihn ab­schüt­teln, aber ihre Argu­menta­tion lässt Spiel­räume (»Ihre Stimme bleibt selbst im Zorn milde«), und so kann er hart­näckig bleiben und muss die Hoffnung auf ein Wieder­sehen trotz der unum­wunde­nen Einge­ständ­nisse seines Versagens nicht ganz begraben.

So robust Jack in seiner Lebens­führung oft auftritt, so behutsam und fein­fühlig ist er gegen­über Della. Er wider­steht selbst der Versu­chung, sie zu berühren, aus Sorge, er könnte, wenn er den »Bogen über­spannt«, etwas »Zerbrech­liches« zerstören, so dass »diese seltsame Nacht verloren­ging, zu Scherben der Peinlich­keit, des Miss­trauens und Bedauerns zerfiel«.

Natürlich ist der Rassenkonflikt ein wichtiges Thema dieses Romans. Wie beim Romeo-und-Julia-Motiv schlägt die Beziehung zwischen Della und Jack eine Brücke zwischen zwei schwer versöhn­baren Gruppen. Weder die weiße noch die schwarze Gesell­schaft kann die schänd­liche Verbin­dung tole­rieren, zumal die kulti­vierte, wohl­anstän­dige Bildungs­bürge­rin und der Herum­treiber, Betrüger und Säufer obendrein so gar nicht den gehegten Stereo­typen ent­sprechen. Klingt nicht geradezu Mitleid in Dellas Satz »Mir ist noch nie ein Weißer unter­gekom­men, der so wenig davon hatte, weiß zu sein«?

Bedeutsamer scheinen aber die theologi­schen und philo­sophi­schen Fragen, die in vielen Gesprä­chen behandelt werden. Man disku­tiert über die Unter­schiede zwischen Metho­disten und Pres­byteri­anern, die Zu­sammen­gehörig­keit von Leib und Seele, die Möglich­keiten von Liebe, Vergebung und Erlösung, zieht neben der Bibel Miltons »Paradise Lost« und Shake­speares »Hamlet« zu Rate. Dem ungläu­bigen Jack kann man nur schwer beikommen. Kokett nennt er sich »Fürst der Fins­ternis« – und quält sich doch beständig mit Zweifeln, hadert mit seiner Schuld, hofft, dass ihm »Gnade« (das Schluss­wort) zuteil werde. Nicht nur Della, im Glauben gefestigt, spendet ihm Trost und Zuver­sicht, sondern auch eine schwarze Bap­tisten­gemein­de, die ihn in einer Art Abendmahl aufnimmt, deren Priester seine innerste Seelen­pein erkennt und ihm zur versöhn­lichen Heimkehr rät.

Die äußere Handlung verläuft tragisch. Della hält an ihrer Verbin­dung zwischen »zwei Geist­wesen. Unsicht­bar« fest und besiegelt mit Jack einen geheimen Bund der Ehe. Die illegi­time Liebe kann nicht ohne Folgen bleiben. Als Della harte Sank­tionen drohen, möchte Jack ihr diese durch eine nicht minder schmerz­liche Entschei­dung ersparen, wohl wissend, dass sie seinen seeli­schen Untergang bedeuten würde.


War dieser Artikel hilfreich für Sie?

Ja Nein

Hinweis zum Datenschutz:
Um Verfälschungen durch Mehrfach-Klicks und automatische Webcrawler zu verhindern, wird Ihr Klick nicht sofort berücksichtigt, sondern erst nach Freischaltung. Zu diesem Zweck speichern wir Ihre IP und Ihr Votum unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Ja« oder »Nein« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um sich bei Amazon über die Produkte zu informieren. Erst wenn Sie dort etwas kaufen, erhalte ich – ohne Mehrkosten für Sie! – eine kleine Provision. Danke für Ihre Unterstützung! Mehr dazu hier.

»Jack« von Marilynne Robinson
erhalten Sie im örtlichen Buchhandel oder bei Amazon als
Gebundene Ausgabe E-Book


Kommentare

Zu »Jack« von Marilynne Robinson wurde noch kein Kommentar verfasst.

Schreiben Sie hier den ersten Kommentar:
Ihre E-Mail wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Ihre Homepage wird hier nicht abgefragt. Bitte tragen Sie hier NICHTS ein.
Hinweis zum Datenschutz:
Um Missbrauch (Spam, Hetze etc.) zu verhindern, speichern wir Ihre IP und Ihre obigen Eingaben, sobald Sie sie absenden. Sie erhalten dann umgehend eine E-Mail mit einem Freischaltlink, mit dem Sie Ihren Kommentar veröffentlichen.
Die Speicherung Ihrer Daten geschieht unter Beachtung der Vorschriften der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Nähere Hinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Indem Sie auf »Senden« klicken, erklären Sie Ihr Einverständnis mit der Verarbeitung Ihrer Daten.


Go to Top