»Zeichnen ist die Ruhe deiner Gedanken«
Amsterdam im 17. Jahrhundert: Auf dem Marktplatz vorm imposanten Rathaus ist das Schaffott schon aufgestellt. Ein 18-jähriges Mädchen soll hingerichtet werden. Sie hat nach einem Streit um die noch immer nicht beglichene Miete ihre Hauswirtin mit dem Beil erschlagen. Ganz Amsterdam macht sich mit Kind und Kegel auf den Weg, um der grausamen Tötung zuzuschauen – das Gericht hat Erdrosselung beschlossen.
Nur ein Mensch läuft noch durch die Gassen: der Maler. Er spürt die Unruhe, spürt das Grauen, das bald stattfinden wird, meidet aber den Ort. Stattdessen besucht er seinen Apotheker, um Farben zu kaufen.
Elsje Christiaens heißt die junge Frau. Sie ist aus Jütland gekommen und beherrscht die holländische Sprache nicht. Wie so viele andere im Amsterdam jener Zeit will sie ihr Glück machen, was für sie bedeutet: einen ehrbaren Arbeitsplatz als Dienstmädchen finden. Warum ein so gutmütiges Wesen, das keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, zum Beil greift, bleibt letztlich unerklärlich.
Der männliche Protagonist wird durchgängig als "der Maler" bezeichnet – er bleibt namenlos. (Im Klappentext erfahren wir, dass es sich um Rembrandt handelt, aber die Autorin möchte die Ereignisse offenbar nicht zu eng individualisiert sehen.) Sein Sohn hat die Hinrichtung miterlebt und schildert seinem Vater, wie Elsje sich vor dem Tod heftig gegen ihre Wärter aufgelehnt hat. Sie schrie, sie tobte, sie bereute nicht. So etwas hat Amsterdam noch nicht erlebt.
In geschickt in die Handlung eingebundenen Rückblenden erfahren wir etwas aus den Lebensläufen der dänischen Elsje und des Malers. Diese zwei parallelen Handlungsstränge laufen auf Volewijck, einem gruseligen Moorgelände, zusammen, wo man Elsjes kleinen Leichnam am Schandpfahl aufhängt, umgeben von vielen anderen Leichen, hängend, sitzend und liegend.
Nie wäre der Maler dort hingefahren, aber das Mädchen zieht ihn magisch an. Er will ihre Erscheinung festhalten, so hübsch, so frisch, ein wenig leichenblass. Es entstehen ein paar Skizzen "nach dem Leben gemalt" (S. 267).
Ein wahrlich düsterer Roman: Dreck, Unrat, Krankheit, Tod, das Wetter immer grau in grau, der Maler voller Melancholie, in sich gekehrt, mit einem Leben voller Schicksalsschläge. Frau und Magd sind an der Pest gestorben. Obwohl anerkannter Meister seines Fachs, muss er doch einen Konkurs hinnehmen.
Margriet de Moor versetzt uns mit ihrer Sprachgestaltung – u.a. mit heute völlig verschwundenen Worten wie "bickeln", "Treckschute", "Schlaffrau", "Schultheiß" – in den Zeitgeist des 17. Jahrhunderts des holländisch-dänischen Raums zurück.
Die technischen Fertigkeiten des Malens jener Zeit hat die Autorin – u.a. im Kapitel "Sonnenlicht, Stubenlicht" – so nachempfunden, als habe sie den Blick des Malers verinnerlicht. Facettenreich verwebt sie Realität und Fiktion, das Leben eines Künstlers und das eines armen, naiven Mädchens. Das bemerkenswert faszinierende Ergebnis kann sich mit dem künstlerischen Schaffen eines Malers messen lassen.
Elsjes traurige Geschichte hat sich wirklich so zugetragen, und auch ihre Hinrichtung ist aktenkundig belegt. Rembrandt hat sie mit seinem Gemälde "Frau, an einem Galgen hängend" unsterblich gemacht. Noch heute können wir ihr Bildnis im Metropolitan Museum of Art in New York studieren.