Gute Nachrichten aus Palästina
Aus dem Gazastreifen erreichen uns selten gute Nachrichten, aber oft traurige. Etwa 1,7 Millionen EinÂwohner drängen sich auf dem schmalen Landstück, kleiÂner als Bremen, zwischen Israel im Osten, Ägypten im Süden und der MiÂttelÂmeerÂküste im Westen. Politisch gehört es zu den Palästinensischen AutoÂnoÂmieÂgebieten. Immer wieder ist es Ausgangspunkt für RakeÂtenÂanÂgriffe auf Israel, die blutige VergeltungsaktioÂnen zur Folge haben. Seit 2007 die islamistische Hamas an die Macht gewählt wurde, hat Israel eine BloÂckade über das Land verhängt. Die Menschen leiden seit Jahrzehnten unter Ãœberbevölkerung, ArbeitsÂlosigkeit, eingeschränkter Bewegungsfreiheit, ResÂsourÂcenÂknappÂheit, Exportverbot, Zerstörung, RadikaliÂsierung, Perspektivlosigkeit …
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und Weihnachtszeit finden Sie hier.
Wenn es sogar an Lebensmitteln und Wasser für die Menschen fehlt, wie soll man dann Tiere in einem zoologischen Garten ernähren? Und wozu überhaupt einen Zoo, wenn es den Menschen an den elemenÂtarsten Dingen mangelt?
Die zweite Frage beantwortete schon Jesus: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« (Matthäus 4,4) Mit der ersten musste sich der Zoobesitzer Mohammed Awaida in Gaza-Stadt tagtäglich befassen, denn seine Ausgaben waren chronisch höher als die Einnahmen. Ein Tier nach dem anderen ging ein, und während der Kriegswirren verlor er noch mehr Tiere. Um den Zoo – eine der raren Attraktionen für Kinder und ErwachÂsene in einem tristen Umfeld – aufrechtzuerhalten, brachten sich die Mitarbeiter bei, wie man die Kadaver einbalsamiert, und stellten die mehr oder weniger lebensecht präparierten Tiere danach wieder in ihren Käfig. Dies ist in Gaza heute gängige Praxis.
Im Jahr 2009 hatte Mahmoud Barghouti eine andere kreative Idee. Weil seine zwei Zebras im Krieg umÂgekommen waren, engagierte er einen Künstler, der zwei heimische Esel mit einer schwarz-weißen BemaÂlung versah. Die beiden »Zebras« mit ungewöhnlich langen Ohren und Schreilauten wurden zur Attraktion des Tierparks und erregten Aufsehen in internationalen Medien.
Der Schweizer Autor Marc Michel-Amadry stieß auf einen der Zeitungsartikel und ließ sich von dieser auÂßergewöhnlichen Aktion für seinen Roman »Deux zèbres sur la 30e Rue«inspirieren. Er würdigt damit die Entschlossenheit eines Mannes, der unschuldigen Kindern und Erwachsenen, die von Krieg und Not geplagt sind, einen Ort erhielt, an dem sie sich erfreuen, lachen und vergessen können.
Die zarte Geschichte, die Herbert Fell übersetzt hat, passt nicht nur wegen ihrer Botschaft und der wunderÂschönen, in Leinen gebundenen und mit vier Illustrationen von Carla Nagel bereicherten Ausgabe zur beÂsinnlichen Weihnachtszeit. Denn der Autor überhöht die kleine Episode auch. Sein Protagonist Mahmoud Barghouti, der de facto isolierte Palästinenser, überschreitet scheinbar unüberbrückbare Grenzen und trägt seine Botschaft des Optimismus, des Friedens, der Freundschaft und der Liebe hinaus in die Welt.
Dazu fügt Michel-Amadry eine weitere Handlung hinzu, die sich aus der Zebra-Aktion ergibt und am Ende – kurz nach den Weihnachtstagen – vier Menschen im klirrend kalten New York mit Mahmoud zusammenÂführt. Jedem dieser vier fehlt etwas in seinem bisherigen Leben, jeder will es anders ausrichten. Alle vier sind auf der Suche nach erfüllenderen Inhalten und einem Menschen, dem sie etwas geben können, der sie verÂsteht, der vertrauens- und liebevoll an ihrer Seite steht. Zwar spüren sie bereits, dass sie ihrem Glück nahe sind, aber jeder benötigt noch einen kleinen Schubs, sozusagen den Nasenstüber eines Zebras.
Schließlich bewegen sich die vier aufeinander und auf Mahmoud zu, jeder auf seiner eigenen »Flugbahn«, bis es an einem trivialen Hotdog-Stand an der Ecke 30. Straße/3rd Avenue zu einer unvermeidlichen »KolÂlision« mit unbeschreiblichen Folgen kommt. Wie die Protagonisten werden auch Sie »Ihren Augen nicht trauen. Die Ãœberraschung, die Sie erwartet, wird noch größer sein als gedacht.«
Marc Michel-Amadry erzählt eine herzerwärmende Geschichte, die stellenweise die Grenzen zu Kitsch und Rührseligkeit überschreitet. Aber seine Figuren sind sympathisch, die Handlung nicht unrealistisch, die Stimmung unbeschwert, optimistisch und ermutigend. Das ist, finde ich, eine ganze Menge, um für gut zwei Stunden abzuschalten. Danach ist manch banaler Alltagsärger ganz klein und aus manchem dummen Esel ein anmutiges Zebra geworden …