Rezension zu »Charly Broms Dilemma« von Lukas Linder

Charly Broms Dilemma

von


Ein geheimnisvoller Anruf weckt bei Charly Brom Erinnerungen an unselige Vorgänge in seiner Jugend. Beunruhigt lässt er Familie und Arbeit hinter sich und reist zurück in sein Heimatdorf. Dort taucht er in die eigenartige Welt seiner Mutter und Großmutter ein und kommt Geheimnissen auf die Spur, die sein gesamtes Selbstverständnis erschüttern.
Belletristik · Kein & Aber · · 286 S. · ISBN 9783036950419
Sprache: de · Herkunft: ch

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Wer bin ich, und wieso?

Rezension vom 01.11.2024 · noch unbewertet · noch unkommentiert

Charles Brom, der Ich-Erzähler des amüsanten Romans, dessen Titel er gibt, ist ein wunder­licher Mann. Anfangs ahnen wir das noch nicht. Er ist Schweizer, Mitte dreißig, Familien­vater und schreibt erfolg­reiche Kriminal­romane. Seine Ehe ist dagegen nicht so richtig erfül­lend. Sie gleicht eher dem »Zu­sammen­spiel zweier Mario­netten«, wobei die eine »nur zu einer einzi­gen Regung fähig [ist], nämlich Nicken«.

Letzthin fühlt er sich von Nina, seiner Ehefrau, geradezu aufs Abstell­gleis geschoben. Sie hält ihn für behand­lungs­bedürf­tig, seit er neuer­dings bis in die späten Nacht­stunden ein Loch im Garten buddelt. Sie weiß nicht, dass ihn schon seit zwei Jahr­zehnten ein dunkles Geheim­nis belastet und er sich damit in seinem eigenen Leben nicht recht aufge­hoben fühlt.

Kürzlich hat ihn ein Anruf aus seinem Heimat­dorf aufge­schreckt. »Ich weiß, was damals passiert ist«, sagte die Stimme am Telefon. Nun muss das für ihn bislang vor­rangige Familien­leben inklusive des belas­teten Ehe­verhält­nisses zurück­stehen, bis er »eine Sache aus der Ver­gangen­heit« geklärt hat.

Neubad heißt das Dorf, aus dem Charly stammt, und der Name könnte kaum höhni­scher spotten, wenn man ihn auf das bezieht, was sich unter dem Dach seines Eltern­hauses findet. Dort lebt in einem restlos vernach­lässig­ten gemein­samen Haushalt eine WG aus zwei inkom­patib­len Damen, die ein­ander, soweit das möglich ist, aus dem Wege gehen. Es sind des Prota­gonis­ten Mutter Renate und seine 89-jährige Groß­mutter Adèle, und nahezu das Einzige, was sie mit­einan­der teilen, sind mütter­liche Regungen für ihren Spross Charly. Des weiteren konser­vieren und verkör­pern sie beide den Muff der Ver­gangen­heit. Renate sammelt Trödel aller Art, hegt aber keinerlei Sorge für ihr Aussehen, insbe­sondere wenn die Depri-Phase ihren Alltag bestimmt. Erst mit dem Beginn einer neuen Beziehung ist sie aufge­blüht und will, voll des Taten­drangs, ihren Plunder demnächst auf einer Anti­qui­täten­messe feil­bieten.

Seit drei Jahrzehnten schon ist Renate verwitwet. Mit nur 42 Jahren fiel ihr Mann, Charlys Vater, aus einem Fenster im dritten Stock des Gebäu­des der Ver­siche­rungs­gesell­schaft, für die er arbeitete. Was de facto ein Fenster­sturz war, wird seit jeher als Unfall be­schönigt, der sich beim Füttern der Katzen ereig­net habe. Auch Groß­mutter glaubt sich seit Jahren mit einem Fuß im Grab – sie »redete vom Tod wie andere Leute vom Wetter«, und kein Tag vergeht, ohne dass sie eine unge­wöhn­liche körper­liche Verände­rung an sich bemerkt und sogleich zumin­dest als »Krebs« diagnos­tiziert. Ihr ganzer Stolz ist die »welt­größte Kaffee­sahne­deckel­samm­lung« sowie ihre in Öl gemalten Katzen­bilder. Ein Museum im Haus, das wäre ihr Traum. Doch davor steht Renates Verdikt: »Nur über meine Leiche.«

Während wir mit Charly immer neue irrwitzige, gar abwegige Tatsachen und Episoden aus dem Leben der beiden unge­wöhn­lichen, eigen­willigen Frauen erfahren, kommt nach und nach zu Tage, was ihn so sehr bedrückt. Es handelt sich zunächst einmal um die magische Anzie­hungs­kraft der Ober­arme einer erwach­senen Metzgers­frau auf den sech­zehn­jähri­gen Charly und als­dann um die Folgen seiner Schwär­merei. Was der Junge anfangs nur bei »verirrten Seelen ohne morali­schen Kompass« für möglich gehalten hatte, nahm damals kein gutes Ende.

Alles in allem kann man Lukas Linders Buch nur mit einigem Augen­zwin­kern als Krimi bezeich­nen. Für dieses Genre ist wohl auch der Plot nicht rational genug angelegt. Charlys Aufent­halt in Neubad trägt sich in der Jetzt­zeit zu; hier beleben plötz­liche Begeben­heiten sein Gedächtnis, lösen zunächst nur einen unbe­stimm­ten hellen Gedanken­blitz aus, der dann ihn (und uns) zurück in die Ver­gangen­heit beamt.

Vielmehr ist der Roman eine erzählte Komödie mit über­spitzt gezeich­neten Figuren, einem wen­dungs­reichen Hand­lungs­gang und viel Wort­witz. Dank des Ein­falls­reich­tums des Autors, seiner Kompe­tenz bei der Zeich­nung der Per­sonen und seines Humors, der eine Balance zwischen Kari­katur und Gro­teske wahrt, lassen wir uns von der Ent­wick­lung des Protago­nisten und seines Dilemmas gern amü­sieren. Nicht nur Charlys skurrile Ver­wandte mütter­licher­seits, sondern auch er selbst ist ordent­lich verpeilt. Einer­seits ist er ein Pedant, aber wirklich auf die Reihe kriegt er nichts. In der Zwick­mühle, ob er sein Geheim­nis preis­geben soll, schließt er Wetten mit dem Univer­sum ab, die bei­spiels­weise Ampel­schaltun­gen und Unter­hosen invol­vieren können.

Der Schweizer Schriftsteller Lukas Linder, geboren 1984, studierte in Basel Germa­nistik und Philo­sophie und schrieb dann nahezu zwanzig Dramen (davon meh­rere mit Preisen wie dem Kleist-Förder­preis, dem Pub­likums­preis des Heidel­berger Stücke­markts und dem Kasseler Förder­preis Komische Literatur ausge­zeichnet). Im Jahr 2018 erschien sein Debüt­roman »Der Letzte meiner Art«, 2020 folgte »Der Unvoll­endete« und 2024 »Charly Broms Dilemma« (alle bei Kein & Aber).


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