Qïng xiãngyòng – das ist Chinesisch und heißt »Guten Appetit«
Es heißt, der beste Koch sei der Hunger. An zweiter Stelle folgt Wang Li-Shui. In Hongkong geboren, lebte er wie hundertfünfzigtausend Chinesen, als Käfigmensch auf 2 Quadratmetern Grundfläche.
Seine Karriere begann als Chefkoch eines Triadenbosses. Über Belgrad reiste er illegal nach Wien. Sein eigenes Lokal wurde schnell geschlossen, wegen eines Hundeskandals. (Ich hatte ja schon immer ein ungutes Gefühl bei den süß-sauer umsoßten Fleischbröckchen im chinesischen Büffet für 12 Euro; wer weiß, wie viele dieser Rinder in Wirklichkeit doch straßenverkehrsgeopferte Hunde waren ...).
Wang wird Küchenchef im "Shanghai 1938", einem Lokal in der Erlebniswelt von Disney-China. Geldgeber sind die Milliardäre der Hongkong-Triade. CEO des Gesamtkomplexes ist Michael Yang. (Ich hatte ja schon immer geahnt, dass jedes chinesische Lokal eigentlich eine Geldwaschmaschine ist ...)
Seit einem Monat ist Koch Wang spurlos verschwunden ...
Der Ich-Erzähler des Romans ist Xaver Ypp. Seit zwanzig Jahren ist er Redakteur des Feinschmecker-Journals "Lukull", und mit seinen fünfzig Jahren hat er nun die Altersgleichmut; andere sagen schlicht, er sei ein "apathischer" Mensch. Er haust in einer Substandardwohnung (also mit WC im Hausgang) und hat keine Übersicht in seinem Paper-Messie-Zimmer, wo sich Reihen voller Zeitschriften und Bücher türmen. In diesem Loch wird man zwangläufig zum Depri, und bei Xaver verschärft sich das Risiko noch durch seine indirekte Schuld am Tod seiner Frau Cheng.
Neuen Wind in sein lethargisches Leben bringt der siebzehnjährige Quentin. Dr. Spa, der Herausgeber des "Lukull", hält ihn für den "Supertaster" der Zukunft. Xaver soll ihn auf den Geschmack bringen, weg von seinem Kinderprogramm mit Pommes, Spaghetti, Schnitzel usw. und hin zu den fleischlichen Genüssen.
Man trifft sich im "Shanghai 1938". Quentin hat seine Freundin Zoe mitgebracht. Als Vegetarierin ist sie hier genau richtig, und erst recht als Kämpferin der radikalen Gruppe "Sechs Beine", die alle Tiere befreien wollen, die in Michael Yangs Zoo gefangen gehalten werden. Und zwar schnellstens, denn bekanntlich isst der Chinese alles, was vier Beine hat (außer Tische) und alles, was zwei Beine hat (außer Verwandte).
Kurt Bracharz' "Der zweitbeste Koch" ist ein außergewöhnlicher Kriminalroman. Der Autor muss außer Brehms Tierleben auch die gesamte Wikipedia zur Hand gehabt haben, denn wie sonst kommt man auf all diese Tiere samt Innereien und Anhängseln? Die geschilderten Mahlzeiten sind ein Gruselkabinett. Ganz harmlos und eigentlich für uns alle noch zumutbar ist der niedliche Mitbewohner eines jeden Kinderzimmers, das Meerschweinchen. Aber bei den "drei Quiekern" möchte man doch ein wenig mit seinem Appetit hadern. Wieso "drei Quieker"? Weil diese lebenden Rattenjungen drei Mal quieken, wenn man sie ins heiße Öl taucht und lebend zerbeißt ...
Soviel zu den hors d'oeuvres. Meisterkoch Kurt Bracharz wird Sie jedoch noch bis zum Punkt der absoluten Verweigerung bringen.
Das Buch gehört ins Krimi-Genre. So muss als erstes geklärt werden, wo der verschwundene Koch Wang hingekommen ist. Natürlich liegt eine Antwort besonders nahe: gekocht und gegessen! Denn der Chinese goutiert den Zweibeiner. Aber verraten wird hier nix ...
Xaver Ypp hat einen Bruder Rudolf. Der ist ein so hoher Geheimnisträger, dass er nur mit täglich wechselnder Email-Adresse zu erreichen ist. Eines der Geheimnisse, die er trägt, betrifft das geplante Treffen der gefürchteten Triaden und Mafiabosse in Wien – eine Art kriminelles "Joint Venture". Es kommt zu einem Showdown, bei dem Triaden und alle weltweit aktiven Geheimdienste mit Hin-, Her- und Überläufern aufeinander treffen. Ein Israeli wird entführt, serbische Nazis werden dafür verantwortlich gemacht, um den Mossad auf eine falsche Spur zu lenken. So viele Aktionen auf einen großen Haufen geworfen, das schafft eine neue Unterart des Krimi-Genres: den Messie-Krimi. Sie können ja auch einmal darin wühlen und nach ... ja, nach was denn eigentlich? ... suchen.
Was das pfiffig ausgewählte und wunderschön gestaltete Cover zeigt, gibt es meines Wissens noch nicht im Aldi-Sortiment: Panda in Dosen. Die Wiener sollten ihre Lieblinge im Schönbrunner Zoo gut bewachen. Dort hat übrigens Pandamutter Yang Yang am 22.08.2010 ihr zweites Baby zur Welt gebracht – einen Appetitanreger (für einen Zoobesuch!) finden Sie im Internet.
Kurt Bracharz' "Der zweitbeste Koch" erhielt den Deutschen Krimipreis 2010. So einen schrägen Krimi habe ich bis dato noch nicht gelesen.