Der Weg ist das Ziel
Die Wissenschaft hat festgestellt, dass die Dänen so ziemlich die glücklichsten Menschen der Welt sind. Dieser Roman deckt auf, dass das keineswegs für alle Dänen gilt.
Asger zum Beispiel ist gar nicht gut drauf. Allerdings hat der Vierzigjährige sein Glück selbst verspielt, denn er hat seinen Job bei einer Werbeagentur gründlich verbockt. Bloß weil ihm die letzte Kampagne persönlich gegen den Strich ging, hat er es sich einfach gemacht und Fotos aus dem Internet heruntergeladen. Natürlich flog das auf, und schwupps war unser Ich-Erzähler seinen Arbeitsplatz los. Seither verbringt er seine Zeit als derart ungenießbare Couch-Potato, dass seine Frau Sara nebst Töchterchen Amalie Reißaus genommen und ihn damit auch seines Familienglücks beraubt haben.
Während Asgers Körper in kürzester Zeit ein dickes Plus ansammelt, schmückt sein Konto zur gleichen Zeit ein ebenso fettes Minus. Selbst Freund Stanley gewährt ihm nur noch Kredit, wenn er sich eine neue Arbeit sucht. Daher bewirbt er sich als unausgebildeter Pflegehelfer und soll sich diesbezüglich bei einem Waldemar vorstellen.
Waldemar wohnt in einer Gegend, in der man auch keine rundum glücklichen Menschen erwartet. »Wenn du nicht an die Hölle glaubst, setz dich in die Linie B und fahr nach Stentofte.« Dieser Kopenhagener Stadtteil ist ein ›sozialer Brennpunkt‹, dessen Trostlosigkeit auch die übergroße Skulptur »Sockel der Lebensfreude«, die als farbiger Leuchtturm sogar das Rathaus überragt, nicht wegstrahlen kann.
Dort also klopft Asger in einem Betonwohnbunker an eine Wohnungstür. Nachdem Waldemar durch den Spion gelauert, Riegel und Sicherheitskette zurückgezogen und die Tür geöffnet hat, erblickt Asger erstmals den verwachsenen kleinen Menschen mit vampirweißer, pickeliger Haut und dicken Brillengläsern. Bei einer Tasse echten Kaffees berichtet Waldemar ihm von seinen Gebrechen. Obwohl erst zweiundzwanzig Jahre alt, hatte dieses »wandelnde Lexikon seltener und unschöner Leiden ... so viele Krankheiten, dass ich wohl ohne Weiteres einen Mord begangen hätte, um vor derlei verschont zu bleiben«.
Asger übernimmt den Job – und damit beginnt eine Freundschaft, bei der beide Männer wieder einen Sinn im Leben finden.
»Kenn' ich schon irgendwoher«, sagen Sie? Dann erinnern Sie sich gewiss an die wahre Geschichte des querschnittsgelähmten Philippe Pozzo di Borgo und seines Pflegers Abdel Yasmin Sellou, einem Algerier. Unter dem Titel »Ziemlich beste Freunde« wurde sie ungeheuer populär – als Roman erzählt von Pozzo di Borgo (Original: 2001; deutsche Übersetzung: 2012), als Filmkomödie (2012), als Taschenbuch »Ziemlich beste Freunde: Die wahre Geschichte« (2013) und aus Sellous Sicht erzählt (»Einfach Freunde«, 2012; › Lesen Sie hier meine Rezension.). Hat sich der dänische Autor Kristian Bang Foss von dieser Erfolgsstory inspirieren lassen?
Nun ja, »Der Tod fährt Audi« ist anders und eigenständig. Wie schon der Titel signalisiert, ist hier der Tod allgegenwärtig; die Handlung dieses Roadmovie-Romans ist eher tragisch als komisch, und mit einem Happy End sollten wir nicht rechnen.
Trotz des leicht saloppen, umgangssprachlich gewürzten Sprachstils (»Kulturfuzzi«) bearbeitet Foss im ersten Teil der Handlung ein sehr schmerzvolles Thema, den täglichen Überlebenskampf sozial schlechter gestellter Menschen. Wie Asger die absurde Schlacht an der Tiefkühltruhe um die wenigen Billigsthähnchen aus dem Netto-Lockangebot der Woche ausmalt, bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Und fassungslos lesen wir, wie in einer Gegend, in der täglich Müllcontainer, Autos und ganze Gebäude abgefackelt werden, unzufriedene Mitbürger nicht einmal Skrupel haben, einen Rollstuhl zu demolieren. Hier herrscht ganz unverblümt und brutal das Recht des Stärkeren.
Einer wie Waldemar hat hier keine Chance, auch nur ein bisschen Glück zu finden; da hilft nur abhauen. Im Internet hat er von einem marokkanischen Heiler namens Torbi el Mekki gelesen; den will er aufsuchen. Asger hält ihn zwar für einen Scharlatan, ist aber doch bereit, Waldemars Wunsch nachzugeben. In einem gesponserten VW-Bus tingeln die beiden durch Europa, treffen auf skurrile Typen und durchleben manches Abenteuer. Irgendwo in Frankreich verfahren sie sich hoffnungslos und landen schließlich in einem einsamen Bergdorf. Auf einem Hof leben dort lauter spleenige, auch verkorkste Aussteiger, in deren Kommune die beiden für ein paar Tage unterkommen. Am Ende ihrer Odyssee hält Waldemar die Flasche mit dem Wunder-Wasser in Händen ...
Foss' Roman hat Stärken und kleine Schwächen. Der sozialkritische Realismus gehört zu den überzeugenden Eigenschaften des Buches; noch umfassendere Desillusionierung geht nicht. Nachdem der starke Anfang den Leser gleich gefesselt hat, lässt der Mittelteil ihn wieder lockerer. Die weite Fahrt durch ganz Europa gerät manchmal ziemlich langatmig, und die meisten Mitmenschen, deren Wege sie unterwegs kreuzen, geraten in der flapsigen Gestaltung des Erzählers zu blass, um bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Konsequent realistisch ist das fatalistische Ende des Romans, wenn wir erfahren, was Waldemar tatsächlich zu seiner langen Reise motiviert hat ...
»Døden kører Audi« wurde mit dem EU-Literaturpreis ausgezeichnet und in Dänemark als eines der originellsten Bücher der Saison gefeiert. Nina Hoyer hat es ins Deutsche übersetzt.