Beste Miene zum bösen Spiel
Viel zu lachen hat Jim Finnegan nicht in seinem Leben, aber wie er es erzählt, das ist zum Kringeln. Und deftig.
Das setting dieses Romans vom Erwachsenwerden – Dublin, Mitte der Achtziger Jahre – weckt gewisse thematische Erwartungen und erfüllt sie in vollem Umfang: Katholische Kirche, working-class-Milieu, rivalisierende Jungenbanden, Missbrauch, Alkohol, Popmusik, unterdrückte starke Frauen, Prügel, raue Sitten ...
Eigentlich könnte sich Jim doppelt glücklich schätzen: In seiner Familie ist er mit dreizehn Jahren der Jüngste und – neben fünf Schwestern und seiner Mam Devida – der Hahn im Korb. Zudem rücken jeden Morgen die Mütter der Nachbarschaft mit »servierfertigen Geschichten im Ärmel« in der Küche der Finnegans an. Mit »scharrenden Hufen« überbieten sie einander darin, den neuesten Tratsch in Umlauf zu bringen.
Vater Matts, Verkäufer für Bürobedarf, hält sich weitestgehend raus aus allem. Nur wenn die Töchter abends die vereinbarte Heimkehrzeit überziehen, rastet er aus. Dann greift er zu Bambusstock und derbem Vokabular. Ansonsten bereichert er das stets amüsante gemeinsame Familienessen ab und an mit einem Witz, tröstet sich mit dem goldenen Gelb seines Whiskeyglases und döst im Übrigen unbeteiligt vor sich hin.
Alle Fäden der Erziehung und des Haushalts liegen in Mams Hand. Damit ist sie voll ausgelastet. Guten Rat weiß sie immer, wenn er auch bisweilen nicht ankommt. »Wie du jetzt bist, war ich einmal. Wie ich jetzt bin, wirst du einmal«, hält sie ihren Töchtern vor Augen. Ihr wichtigster Ansprechpartner ist Gott. Jeden Morgen geht sie in die Kirche, wo Vater O'Culigeen die Messe liest. Der attraktive, sonnengebräunte Simon-Templar-Typ im schwarzen Outfit ist nicht nur Beichtvater ihrer Sünden, sondern höchste Instanz in allen Lebensfragen. »Er konnte einfach alles, konnte jedes Problem für dich lösen.«
Ach wenn doch ihr Sohn Jim Messdiener werden, womöglich gar unter Leitung dieses charismatischen Gottesmannes im Kirchenchor singen dürfte, träumt Mam ... doch Jim und Gott, das geht gar nicht zusammen. Kürzlich ließ Er zu, dass ein Lastwagen vor ihrer Haustür seinen kleinen Kater Jack platt fuhr. Dann traf ein Hockeyball die schöne Helen, seinen geheimen Schwarm, voll ins Gesicht. War sie zuvor »zu schön, um Freunde zu haben«, trägt sie danach den Beinamen »Scarface«. Später munkelt man, dass sie den »Verstand verloren hat und das Land verlassen musste«. Und Jims Alltag in der von Brüdern (»Möchtegernpriestern«) geleiteten Jungenschule machen die Raubeine vom GAC, dem »Gälischen Athletikclub«, zur Hölle. Wenn die chaotischen Sportstypen nicht trainieren, duschen oder abhängen, mischen sie das Leben der Mitschüler auf, die entweder »Mods« sind oder »Schwuchteln« wie Jim.
Doch Widerstand gegen Mams Wunsch ist zwecklos. Vater O'Culigeen nimmt den ihm zugeführten neuen Messdiener unter seine Fittiche, womit er statt in Gottes schützender Hand beim Teufel persönlich landet. Der schwarze Mann missbraucht den Jungen regelmäßig auf erniedrigendste Weise und schickt ihn nach der Pein mit der Drohung, ihn, wenn nötig, zu töten, von dannen.
Die familiäre Situation ändert sich, als sich herausstellt, dass der Grund für Dads Erschöpfung eine Krebserkrankung ist. Jetzt kommt Mams jüngere Schwester Grace angereist. Sie sorgt dafür, dass Jims Zwillingsschwestern einen Job annehmen und ausziehen, nimmt seine älteste Schwester Fiona mit zurück nach London, wo sie in ihrer Jobagentur arbeiten soll, und überträgt Jim die männliche Verantwortung für den ausgedünnten Haushalt.
Tante Grace ist eine moderne Geschäftsfrau aus einer anderen Welt. Schon als Teenager emigrierte sie nach London, wo sie sich allein durchzuschlagen und gegen die englische Verachtung alles Irischen zu behaupten lernte. Da ihr nichts erspart blieb, ist ihr nichts fremd; jetzt ist sie »hart wie Stahl«, »abgebrüht« und kann locker »über Sex und Scheidung und Homos« plaudern. An Vater O'Culigeen freilich scheitert selbst sie. Zwar ahnt sie während einer fernsehreifen Messe-Show (»performative Lesung«) über das Gleichnis vom verlorenen Sohn, was zwischen dem »rattigen Priester« und ihrem Neffen läuft, doch als sie ihn zusammen mit Jim zur Rede stellen will, überrumpelt er sie mit einer weiteren brillanten Szene, als deren Abschluss er seinen Finger so zielsicher in ihre schwächste Stelle bohrt – eine offene Wunde, an der sie noch immer leidet –, dass es den beiden alle weiteren Worte verschlägt und sie unverrichteter Dinge schweigend nach Hause fahren.
Immerhin, prophezeit Tante Grace, werde Jim keine Zeit mehr haben, »jemals wieder als Messdiener zu arbeiten«. Denn nun erwarten ihn Männersachen, zum Beispiel die Liebe.
Saidhbh Donohue ist schon siebzehn, bildschön (»wenn sie schöner wäre, wäre sie hässlich«) und Mozzos Mädchen. Mozzo trägt Stiefel und Iron-Maiden-T-Shirts und macht mit Typen, die wie er »irgendwie-o« heißen, die Gegend unsicher. Sie stimmen sich mit Kraftausdrücken, Schattenboxen und -treten ein, ehe sie »Schwuchteln klatschen« und über alle Stränge schlagen. Kein Wunder, dass der »freche Lausejunge« von Mam mit dem »Mozzo-Verbot« belegt ist, und auch Saidhbh hat irgendwann genug von dem Underdog.
Jetzt ist sie mit Jim zusammen, und der kann sein Glück nicht fassen. Mit ihr erlebt er seinen ersten und sehr intensiven Sex, und, wie nicht anders zu erwarten, ist Saidhbh bald schwanger. Abtreiben oder eine unsichere Zukunft mit Kind? Niemand darf von dem Dilemma erfahren, in dem die beiden Minderjährigen stecken. Vielleicht weiß Tante Grace in London Rat ...
Kevin Mahers Roman »The Fields« ist ein intensiver Roman über eine Jugend unter verschärften Bedingungen. Ich-Erzähler Jim ist ein naiver, lieber Junge, der aus seinen kindlichen Spielen mit Star-Wars-Figürchen, Fahrradfahren und Popmusik mitten ins harte Leben geworfen wird. In unverblümter Umgangssprache – teils umwerfend komisch und kreativ, teils vulgär – breitet er schonungslos sein Familien-, Privat- und Sozialleben aus und lässt eine Zeit aufleben, in der Kommunikation ausschließlich direkt interpersonell ablief und die IRA noch revolutionär bombte. Die ernste Opferthematik bleibt ausgespart, nicht nur, weil Klagen nicht Jims Sache ist, sondern auch, weil Mitte der Achtziger Jahre noch Tabus galten, Missbrauch in der Kirche unvorstellbar schien, Unangenehmes unter den Teppich gekehrt wurde. Wer Opfer wurde, schwieg lieber, aus Scham oder aus Angst, wie Jim auch.
So locker, wie der am Ende noch keine fünfzehn Jahre alte Jim seine durchaus traumatauglichen Erlebnisse wegsteckt, will der Roman gelesen werden, so gravierend die Probleme auch sind, auf die er sein grelles Licht wirft. Der spezielle irische Humor, beißend, makaber und drastisch, erreicht im überspitzten letzten Teil des Romans neue Ebenen. Da verliert der Roman denn doch zu viel an Bodenhaftung und gleitet in die Sphären des Klamauks ab. Nach einer Fehlgeburt gerät Saidhbh ganz aus der Spur, landet nach einem missglückten Suizidversuch in der Psychiatrie. Jim leidet schrecklich, will seiner Verantwortung gerecht werden, ihre Liebe retten und Saidhbh ihre Gesundheit zurückbringen, doch wie? Er absolviert den Turbokurs einer Astralwissenschaftler-Gemeinschaft, um Heiler zu werden. Überzeugt ist er zwar keineswegs von all dem »Eso-Peso-Kram«, aber nachdem er alles über »Chakras« und »kosmische Honigliebe« gelernt hat, »mit dem Dritten Auge« sehen und mit seinen Händen »aurische Felder« erspüren kann, testet er seine magischen Kräfte an einer kränklich wirkenden großen roten Henne, die daraufhin springlebendig zum Körnereimer rennt. Der »Rote Riese« ist gerettet, und »Saidhbh ist die Nächste« ...
Bewundernswert ist die Leistung von Dietlind Falk, deren grandiose Übersetzung die Steilvorlage von Kevin Mahers köstlichem Sprachwitz kongenial ins Deutsche verlängert: »hinne machen«, »in die Tonne kloppen«, »Spargeltarzan«, »pesen«, »Scherzkeks«, »vom Acker machen« – die Reihe gelungener Pässe ließe sich 480 Seiten lang fortsetzen.