Rezension zu »Sternstunde« von Karin Kalisa

Sternstunde

von


Der Stern von Bethlehem nichts als ein eiskalter Brocken aus Weltraumstaub und Gas? Die achtjährige Kim – fast selber ein Sternen- und Christkind – ist bestürzt, als sie das erfährt. Jetzt muss sie ihre kindliche Vorstellung vom Stern überdenken. Ein kluger Wissenschaftler hilft ihr.
Weihnachtliches · Teil der Serie »Weihnachtliches« · Droemer · · 120 S. · ISBN 9783426281901
Sprache: de · Herkunft: de

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Kein Stern mehr für Stella?

Rezension vom 10.11.2018 · 3 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Die Goldschmidts sind keine Durchschnittsfamilie. Vater Michael ist viel unterwegs, um als Kirchen­restau­rator aus verblassten oder verschmutz­ten Decken­gemäl­den frisches Leben zu zaubern. Mutter Marylou kann als Porzellan­malerin im über hundert Jahre alten Haus der Familie arbeiten. Ihre Tochter nannten sie nach Marylous irischer Großmutter Kimberly, kurz »Kim«. Dass das Mädchen just an einem Heiligabend zur Welt kam, erfreute die Eltern derart, dass sie ihr den »himmlisch-heiligen« Zweitnamen Stella gaben. Schon ihr großer Bruder war an einem besonderen Tag geboren, dem 6. Januar, und das sollte sich in seinem Namen nieder­schlagen. Doch welchen der Heiligen Drei Königs­namen sollte er tragen? Die Eltern würfelten, und das Los fiel auf Balthasar – woraus bald »Sari« wurde.

Die achtjährige Kim ist ein vernünftiges, einsich­tiges und pflicht­bewuss­tes Kind und eine aufregende Iden­tifika­tions­figur. Ihre Welt ist keineswegs, wie man befürchten könnte, heil und süßlich. Das dünne, kurzhaarige Mädchen, das sich für Sterne begeistert, die Kleidung des Bruders und seinen abge­schrapp­ten Schulranzen aufträgt, ist nicht der Typ, um den sich die Gleich­altrigen scharen. Die folgen lieber dem Mainstream und lassen Kim alleine stehen oder mobben sie sogar. Aber einer von ihnen erweist sich als ein ganz anderer, als sein Verhalten nahelegt – am Ende gar als Freund. Zwar hat Kim eine intakte Familie um sich, aber auch da herrscht nicht immer eitel Sonnen­schein. Größten Verdruss brachte ihr aus­gerech­net ihr Hobby, die Sterne. Doch Bilder davon aus den kostbaren Kunst- und Fotobänden des Vaters heraus­zuschnei­den, das geht ja nun gar nicht.

Die Handlung, wie sich Kims kindlich-schlichte Weltsicht hin zu einer rationalen, erwachsenen öffnet, nimmt an einem advent­lichen Spät­nach­mittag ihren Lauf. Sari ist bei Freunden, der Vater steckt irgendwo im Stau fest, und die Mutter hat’s eilig, denn sie muss zum Elternabend. Wenigstens kann sie noch schnell den Mohnstollen in den Ofen schieben und der Tochter auftragen, den Schalter auf Null zu drehen, »wenn an der Backnadel hier kein Mohn­körn­chen mehr hängen­bleibt«.

Jetzt ist Kim allein zu Haus. In sich versunken sitzt sie auf dem Küchen­fuß­boden, starrt in die »Höhle« des Backofens, wo das Teiggebilde langsam zu richtiger Form und Farbe reift, während im Hintergrund Musik, Verkehrs­meldun­gen, Nachrichten aus dem Radio dudeln. In ihrem Kopf schweben träge Wölkchen, so ver­schwom­men, »dass man sie noch nicht mal Gedanken nennen konnte«.

Bis das Wort »Weihnachtsstern« sie aus der Lethargie reißt. Der Sprecher von »Wissen­schaft am Nachmittag« spricht im Radio von ihm. Dass die drei Könige vor zweitausend Jahren Gelehrte waren, die den Himmel erforscht hatten und einem Stern nachgingen, der nach ihren Berech­nungen gar kein Stern sein konnte, ist für Kim nichts Neues. Schließlich ist das ihr Stern – dessen Name sie trägt und der schon so lange »durch ihr Leben funkelte«. Die Wissen­schaft gehe heute davon aus, dass es ein Komet gewesen sei, ein Himmels­körper »aus gefrorenem Gas und Staub«, der im Jahr 2061 wieder­kehren werde. Während sich das Redak­tions­team mit guten Wünschen für Advent und Weihnachten verab­schie­det, steht Kim erschüttert in der dämmrigen Küche vor dem hell erleuch­teten Backofen und versteht die Welt nicht mehr.

Dies ist die Ausgangssituation nach wenigen Seiten. Bald lernt Kim den Astro­physi­ker Arthur Sanftleben kennen und schätzen. Wenn sie den alten Herrn besucht, darf sie durch sein Teleskop schauen und staunen über die rätselhafte Welt in unvor­stell­barer Ferne. Fachkundig und geduldig erläutert er seiner auf­merk­samen jungen Zuhörerin alles über den Abendhimmel und die Sternen­bilder, über Zu­sammen­setzung, Entstehung und Lebenszeit der Sterne, über die Entdeckung der Kometen Hale-Bopp und Hyakutake. Kims drängende Frage nach dem Stern von Bethlehem erfordert eine besonders kompli­zierte Antwort, bei der es um ein Zu­sammen­spiel der Planeten Jupiter und Saturn geht.

Die freie Autorin Karin Kalisa ist zwar keine Astrophysikerin, aber eine weit herum­gekom­mene Wissen­schaft­lerin (asiatische Sprachen, Philosophie, Ethnologie), die den Stoff kompetent und angemessen zu vermitteln weiß. Vor allem nimmt sie ihre jungen Leser ernst, wenn sie die für Kinder schwierige, ziemlich abstrakte Materie auf liebevolle, ver­ständ­liche Art aufbereitet. Mit Kim und ihrer harmoni­schen, unaufge­regten Familie hat sie für ihre Geschichte einen friedlichen Ruhepol erschaffen.

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Der Untertitel bezeichnet dieses Buch als »Wintererzählung«, wodurch es wohl von der Masse der Advents- oder Weih­nachts­geschich­ten, von pseudo-religiöser Jesulein-Romantik ebenso wie von der Kling-Glöckchen-Wunderwelt abgesetzt werden soll. So weit, so gut. Nicht ganz klar ist, welche Funktion die Religion einnimmt. Trotz des zentralen »Stern von Bethlehem«-Themas und der Anzeichen, dass die Gold­schmidts eine gläubige Familie sind, bleibt die christliche Bedeutung von Weihnachten aus­geklam­mert, als wollte die Autorin jede Frömmelei vermeiden und nur eine Art säkulare Jahres­end­himmels­körper-Geschichte erstellen. All dies ist natürlich keine Kritik, sondern nur eine Orien­tierungs­hilfe.

Karin Kalisas »Sternstunde« ist eine ungewöhnliche, kitschfreie, weih­nacht­lich bestäubte Erzählung aus einer Nische unserer Zeit, in der eine moderne Familie bewusster, nach­denk­licher, ver­ständnis­voller und aufge­schlos­sener lebt als viele andere. Das von Stephanie Pfeiffer zauberhaft illustrierte Büchlein besticht durch Schönheit und Niveau seiner Sprache, seine Einfühl­samkeit und einen anspruchs­vollen Inhalt – ein wunder­schönes Geschenk für kluge Kinder ab Kimberlys Alter.


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