Kölns unterschätzte Pracht
Dieses Buch ist ein Segen. Schon seit einigen Jahren rücken die romanischen Kirchen aus dem Schatten des übermächtigen gotischen Anziehungspunktes aller Köln-Touristen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Berichte in den Medien und private Initiativen wie der Förderverein Romanische Kirchen Köln e.V. (der auch dieses Buch unterstützt hat) stellen vor, welche Schätze hier erhalten sind, und wecken die Neugier von immer mehr Besuchern der Stadt, nicht nur zum Dom zu pilgern.
Der soeben im Greven-Verlag erschienene Band über die »großen romanischen Kirchen in Köln« macht richtig Appetit, die Bauwerke in der Realität zu studieren und auf sich wirken zu lassen. Er liefert umfassendes Wissen, um ihre Besonderheiten zu erkennen, ihren Wert sachkundig zu würdigen und ihre Schönheit zu genießen. Am liebsten würde man das Buch mitnehmen, um sich beim Rundgang vor Ort von ihm leiten zu lassen – wäre es dazu nicht zu schwer und zu sperrig. Denn es ist seines edlen Gegenstandes wahrhaft würdig angefertigt: großzügig ausgelegt, auf schwerem Glanzpapier gedruckt, mit festem Umschlag versehen und in edles Leinen gebunden.
Sein Inhalt ist zweckmäßig strukturiert: Zunächst führt eine zwanzigseitige Einleitung in die beeindruckende »Vielfalt der Romanik« ein, dann wird den zwölf Kirchen in alphabetischer Folge je ein Kapitel gewidmet. Jedes Porträt umfasst zehn bis vierzehn Seiten, ein Drittel Text, zwei Drittel Fotos. Ein praktisches kleines fact sheet im violetten Kästchen fasst vorab zusammen, was man unbedingt wissen sollte: Bauzeit, Besonderheiten, Funktion, Grundriss.
Die Texte von Jürgen Kaiser halten eine gelungene Balance zwischen fachkundiger, präziser Darstellung zu Architektur und Geschichte einerseits und ›einfach interessanten‹ Informationen für den neugierigen Laien andererseits. Der Autor erläutert etwa die unterschiedlichen Lösungen, die die Baumeister z.B. für die übergänge Apsis/Querhausarme, Seitenschiffe/Chor, Türme/Vierung/Schiffe usw. realisiert haben – vielfach innovativ und einzigartig in der europäischen Romanik. Akademische Erörterungen erspart er uns, und sein Schreibstil erstarrt nicht vor Ehrfurcht. Stattdessen gibt er Einblicke, wie die Menschen (Bürger, Baumeister, Pilger, Stiftsdamen, Mönche, Kleriker, Könige ...) in und mit diesen Bauwerken gelebt haben, und er schließt Episoden und Legenden um die Gründer, Stifter, Märtyrer und Reliquien ein. Auch wer kein Kunstgeschichtler ist, wird diese Darstellungen mit Vergnügen lesen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Gebäude immer wieder umgestaltet, mehr oder weniger zerstört und wieder aufgebaut. Kaiser stellt diese Wandlungen in großen Zügen dar, so dass wir begreifen, dass das, was wir heute sehen, weder ›das Original‹ aus dem Mittelalter noch ›die einzig richtige‹ Erscheinungsform ist, sondern das Produkt einer langen Entwicklung. Alles, was wir nach den Stadtveränderungen des 19. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg heute noch bzw. wieder vorfinden, muss als wunderbares Geschenk betrachtet werden. Zwar sind die ehemals farbige Außengestaltung (vgl. Limburger Dom), die meisten Zusatzbauten (Kreuzgänge, Klostergebäude) und viele Ausstattungselemente für immer verloren, doch jede der romanischen Kirchen Kölns konnte noch diese oder jene Kostbarkeit bewahren: Bodenmosaike, Fensterverglasungen, Fresken, Holztüren, Reliquienschreine, Altarbilder, Statuen ...
Die Vielfalt der Erscheinungsformen im Inneren – teils roher Stein, teils puristischer weißer Putz, teils üppige farbige Dekoration; alte oder moderne Fenster – spiegelt die Meinungsvielfalt während der diversen Restaurierungsphasen. Jürgen Kaiser hält mit seinem Unbehagen an manch »unschöner Lösung« nicht hinterm Berg: »plumpe Gestaltung ... mehr als unangemessen«. Heftiges Bedauern aber empfindet er angesichts stadtplanerischer Sünden, der »selbst gemachten Kölner Katastrophen«. Waren bereits im 19. Jahrhundert ganze Viertel einschließlich ihrer alten Kirchenbauten abgerissen worden, so opferte man beim Wiederaufbau nach dem Krieg, dem Vorbild der amerikanischen »autogerechten Stadt« nacheifernd, die spärlichen Reste des mittelalterlichen Erscheinungsbildes. Breite Straßenschneisen und eng heranrückende Bebauung (massige Geschäftshäuser, hohe Büroblocks) beraubten die architektonischen Pretiosen des umgebenden Freiraums, in dem sie einst ihre Aura entfalten konnten. Bis heute wurde manche »Chance ... aus unverständlichen Gründen vergeben«; das neue Rautenstrauch-Joest-Museum etwa beeinträchtigt »die Außenerscheinung der Cäcilienkirche ... lässt den Sakralbau dahinter fast verschwinden.«
Trotz allem: Wie wir diese Bauwerke heute vorfinden – sorgfältiger restauriert denn je, gesäubert vom Ruß der Kamine und Millionen Kerzen, befreit vom Straßenschmutz –, können sie früher kaum schöner und beeindruckender gewesen sein.
Wer nicht nach Köln fahren will oder kann, erhält in diesem Buch trotzdem überwältigende visuelle Erlebnisse. Dafür sorgen die meisterlichen Fotos von Florian Monheim. Sein Stil ist ›sachlich‹: Ohne jegliche Effekthascherei respektiert er Senkrechte, Waagrechte und Symmetrie, wie wir sie bei einer Besichtigung suchen würden. Mystische Schummrigkeit gibt es nirgendwo, vielmehr sind auch die Totalen hell ausgeleuchtet.
Die meist großformatigen Bilder (einige doppelseitig) vermitteln prächtige Eindrücke. Monheim wählt atemberaubende Perspektiven, die die zum Teil ungewöhnlich großen Dimensionen der Kölner Kirchen zur Geltung kommen lassen. Wir können Strukturen, überraschende Kontraste, Übergänge oder das Spiel des Lichts auf den Wänden entdecken. Dann wieder lenken kühne Ausschnitte unsere Aufmerksamkeit auf verblüffende Einzelheiten: Hände, Segensgesten, Gesichter, Schlusssteine, Kapitelle, Fresken, Statuen. Die plastischen Fotos erlauben Annäherungen, die beim Original gar nicht möglich bzw. erlaubt wären.
Leider sind die relativ ausführlichen Bildbegleittexte in winziger Schriftgröße gesetzt; sie verdienen mehr. Als weitere Anregung für spätere Überarbeitungen würde ich ein kleines Glossar, evtl. mit Strichzeichnungen, vorschlagen, um Nicht-Experten das Googeln weniger geläufiger Fachtermini (Spolien, Blendtriforium, Antependium, Achtpassfenster) zu ersparen. Im übrigen möchte ich Ihnen die hübsche Internetseite des Fördervereins Romanische Kirchen Köln e.V. empfehlen [www.romanische-kirchen-koeln.de]; sie nennt Öffnungszeiten und Adressen aller Kirchen und bietet u.a. auch eine knappe Einführung in die Romanik.
Fazit: Ein wahrhaft reiches und bereicherndes Buch, das seinem Leser viele Stunden besinnlichen Staunens und ästhetischen Schwelgens bereitet.