Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind
von Jonas Jonasson
Leute, höret die Geschichte
Ganz unverfänglich, wie wir das von ihm kennen, fabuliert Plaudertasche Jonas Jonasson auch in seinem dritten Langtitel-Roman drauflos. Die Handlung ist absurd wie immer, aber das Milieu ist prekärer, die Aktionen sind weniger harmlos. Mit Johan Anders und seinen Freunden geht es jetzt um Mord, Gemetzel, Betrug und Diebstahl, um Saufgelage, Explosionen und eine Feuersbrunst, um Gottvater und Sohn, um Tod und Teufel, um Himmel und Hölle. Aber immer schön amüsant im Ton. In seiner Danksagung weist Jonasson noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass man das Ganze bloß nicht ernst nehmen möge. Und überhaupt auch sich selbst und das Leben nicht, sondern miteinander nett sein, viel öfter lachen und weinen. Irgendwie kann der Autor also gar nichts dafür, was seine Figuren alles anstellen. Es geschieht halt so und hat mit dem echten Leben nichts gemein.
Kann so ein Verharmlosungsspagat gelingen?
Versuchen wir's mal mit einem Blick auf die Fakten. Johan Anders ist sein Werdegang schon in die Wiege gelegt. Beide Eltern Alkoholiker, der Vater gewalttätig, eine schreckliche Kindheit. Mit zwölf Jahren beschließt der Knabe, die desolate Familientradition fortzuführen. Alkohol und Tabletten geben seinem Alltag Farbe, chemische Keulen lassen ihn über sich hinaus wachsen. Das gilt jedoch nur hinsichtlich der Gewalttätigkeit; die Leistungsfähigkeit seines Gehirns nimmt nachhaltig ab. Kein Wunder, dass er die genauen Umstände seiner Taten vor Gericht nicht mehr darstellen kann. Aber es war alles »keine Absicht« – die Axt im Rücken eines Dealers, die Schrotkugeln im Gesicht eines neuen Möchtegern-Platzhirsches, die durchschnittene Kehle eines Kerls, der sich erdreistet hatte, Johan schlechte Laune zu unterstellen. Mit zwanzig sitzt Johan Anders zum ersten Mal ein.
Ein paar Jahre später ist der Mann mal wieder in Freiheit und nicht ohne gute Vorsätze. Auf der Suche nach einer Bleibe erinnert er sich dumpf an Erlebnisse besonderer Art im Etablissement »Club Amore«. Doch auch das ehemalige Liebesnest hat sich zum Besseren purifiziert und firmiert nun als (drittklassige) »Pension Sjöudden«. Dort lernt Johan den zutiefst frustrierten Empfangschef Per Persson kennen, den seine elenden Verwandten um ein Millionenerbe betrogen, und eröffnet ihm im Gegenzug vertrauensvoll seine eigene Vita (»sag ruhig Mörder-Anders zu mir«).
Nach ein paar ruhigen Monaten, »ohne dass Mörder-Anders den Rezeptionisten oder sonst wen in unmittelbarer Nähe ermordet hätte«, kommt mit dem Einzug der Dritten im Bunde Leben in die Bude. Auch Johanna Kjellander ist in tiefste Abgründe gestürzt. Ihr verhasster Vater hatte sie gezwungen, das in ihrer Familie seit Generationen von Sohn zu Sohn vererbte Amt als Gemeindepfarrer zu übernehmen, aber sie blieb ein schlechter Ersatz. Statt Gottes Wort posaunte die Gottlose schließlich ihre ganze Wut auf den krebskranken Vater von der Kanzel herab (»Willkommensgrüße in die Hölle«), bis das Maß voll und die aktive Ungläubige ihr schweres Amt und die regelmäßigen Einnahmen los war. Jetzt schlägt sich die durchaus geschäftstüchtige Hungerleiderin im Park durchs Leben und liiert sich mit Per Persson.
Mit einer nicht ganz neuen, aber naheliegenden Geschäftsidee schließt sich das Trio infernale zusammen, um säumigen Zahlern Dampf zu machen und Stockholms Unterwelt das Fürchten zu lehren. Ihre »Firma der Körperverletzungsbranche« nimmt Aufträge für alle Arten von Gewaltausübung zwischen Schlägerei und Mord entgegen. Ein Teil der Einnahmen geht nach Robin-Hood-Art an Bedürftige, den Rest legen sie auf die eigene hohe Kante.
Doch leider befällt Mörder-Anders, die ausführende Instanz, schon bald eine tiefe Sinnkrise. Die Standardversion seiner Tätigkeit – Bein- und Armbruch – befriedigt ihn nicht. Es fällt ihm zudem furchtbar schwer, »rechts und links« zuverlässig zu unterscheiden. Die eingenommenen Gelder interessieren ihn nicht. Wie einfach könnte er seine Seelenqualen beenden, wenn er wieder zu seinem bewährten Rettungsanker, einer Pulle Alkohol, griffe, den »nächsten Vollpfosten erschlagen« würde und sein weiteres Dasein in geordneten Bahnen, sprich: im Knast verbringen dürfte.
Im Stil einer Mörderballade vom Guten und schaurig Bösen trägt uns Jonas Jonasson in lauter überschaubar kurzen Appetithäppchen (insgesamt 72 Kapitel) vor, warum eine Jukebox Mörder-Anders das Leben rettet und ihn aus seinem seelischen Loch zieht, wie die ketzerische Ex-Predigerin Johanna ihm erklärt, wie das »alles so läuft, mit Gott und Jesus und der Bibel und so«, wie er sich zum hanebüchenen Messias wandelt und ein neues Unternehmen Gestalt annimmt: die »Anders-Kirche«. In deren »Messen« werden großherzige Menschen voller Liebe, Glaube und Hoffnung mit kostenlosem Rotwein abgefüllt, um ihre Spendierfreudigkeit zu befördern, und sie finden ungeahnten Zulauf.
Allerdings ufern die Sitten allzu sehr aus. Nach chaotischen Streitereien und Prügelszenen ordnet der örtliche Gemeinderat die Schließung der »Kirche« an. Glücklicherweise erkennt die Ordnungsmacht keine Verbindungen zwischen der »Anders-Kirche« und einer Explosion im Wald, bei der kürzlich zwei kriminelle Elemente in ihre Einzelteile zerlegt worden waren.
Dem Trio gehen die Geschäftsideen so schnell nicht aus. Für ihr drittes Unternehmen »Weihnachtsmann« tingelt Mörder-Anders entsprechend kostümiert durch die Lande, verteilt Wichtelgeschenke, verkündet dazu seine frohe Botschaft (»Der richtige Weihnachtsmann verbreitet Freude das ganze Jahr«) und wird dafür bei Facebook kräftig geliked. Am wichtigsten sind freilich, wie man sich denken kann, all die Bezahlungsarten, die am Ende des Posts aufgelistet sind, damit jeder, der sein Herz öffnen möchte, tun kann, was er soll. Und wenn die drei Chaoten nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute und sind glücklich, reich und dreist.
Schreien nicht eine ganze Reihe dieser Plot-Elemente nach Satire? Knüpft der Autor nicht deutlich an uralte literarische Tricks und Traditionen an? Der lakonische Stil, die schlichten Gut-Böse-Schemata, die unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten, die die Handlung steuern, die clowneske Art, in der die drei Protagonisten ihr absurdes Unwesen in einer tristen Realität treiben, all dies entlarvt Jonas Jonassons vorgebliche Naivität (schon beim »Hundertjährigen« und der »Analphabetin« hatte er ja jeglichen Hintersinn abgeleugnet) nur als weiteren Kunstgriff.
Doch auch wenn »Mördar-Anders och hans vänner (samt en och annan ovän)« (Wibke Kuhn hat das ins Deutsche übersetzt) mehr ist als sinnfreies Fantasieren zum Zwecke bloßen Unterhaltens, erreicht Opus Drei der schwedischen Schriftsteller-Überraschung nicht die Frische seiner Vorgänger. Gar zu dummdödelig sind die drei Protagonisten, zu schlapp viele Witze und Kalauer (»der Weihnachtsmann hatte nicht alle Rentiere im Stall«), zu lauwarm die Spannung. Auf die Gefahr hin, die Genre-Diskussion unfair aufzuweichen: Ronja Räubertocher punktet mit blühenderer Imagination und mit größerer Dynamik, der Räuber Hotzenplotz mit mehr menschlicher Wärme und Käpt’n Blaubär mit bissigerem Satirewitz. Der katapultartige Aufstieg an die Spitze der Spiegel-Bestsellerliste war vorhersehbar; ob »Mörder Anders« sich dort so lange behaupten kann wie die beiden Vorläufer wird sich zeigen.