Federball
von John le Carré
Die Geheimdienststory um einen zwielichtigen Oligarchen, einen enttarnten Spion und einen im Vorruhestand ist das Eine. Die scharfzüngig-bissigen Kommentare zur gegenwärtigen politischen Lage in Britannien und der Welt ist das Andere!
Flagge zeigen
Anders als Federball, das luftig-leichte Gartenspiel für fröhliche Familien, ist Badminton ein ernst zu nehmender, anspruchsvoller Sport, der Taktik und Geschick erfordert. »Badminton ist List, Geduld, Tempo und eine unmögliche Aufholjagd. Man wartet in Lauerstellung auf seine Gelegenheit zum Angriff.« Dies sagt Nat, der Ich-Erzähler, und er weiß, dass seine Einschätzung auch für Ed gilt, seinen schärfsten Konkurrenten.
Nat – eigentlich Anatoly, zu Nathaniel anglisiert – wird von sportlichem Ehrgeiz getrieben. Er leitet nicht nur den »Athleticus Club in Battersea«, sondern führt auch dessen Rangliste an. Sein Widerpart und Herausforderer ist Ed, ein schlaksiger Typ mit Brille, stattliche 1,90 Meter groß und mit seinen 27 Lenzen genau zwanzig Jahre jünger als der »Meister«, den er zu einem Match fordert. Nachdem Ed bereits ein paar weniger relevante Spieleraus dem Feld schlagen konnte, traut er sich jetzt eine ordentliche Kampfpartie gegen den unbesiegten Platzhirsch zu, und der willigt ein.
Dass die beiden eine Gemeinsamkeit haben, ahnt der Leser, im Gegensatz zu Nat, bereits bei ihrer ersten Begegnung im Verein. Gleich im 2. Kapitel legt Nat detailliert seine Biografie offen: Er stammt aus britisch-weißrussischem Elternhaus in Paris, ist mit einer Anwältin verheiratet und erfreut sich mit ihr einer Tochter im zweiten Semester, deren selbstgerechte Antihaltung sie zum wandelnden »Albtraum« macht. Jetzt ist es an der Zeit, ihr zu enthüllen, dass er ein Vierteljahrhundert lang als Spion im Ausland gearbeitet hat. Erst im Verlauf der Handlung erfährt er seinerseits, dass auch Ed Geheimdienstler ist (»Rechercheur … tägliche Nachrichten … Inland, Ausland, Fake News«).
Dass Nat jetzt nach London zurückgekehrt ist, liegt nicht etwa daran, dass ihn die »Behörde« (der britische Geheimdienst) in einen komfortablen Ruhestand verabschiedet hätte. Vielmehr wurde er mit der Führung eines Teams ausrangierter ehemaliger Top-Agenten aus Zeiten des Kalten Krieges betraut, also an einen »Nebenschauplatz« abgeschoben, eine Art »Friedhof« und dementsprechend mickrig bezahlt.
Zwischen den alten Männern, die der »Dienst« als Büroangestellte auf der untersten Geheimhaltungsstufe am Leben hält, schimmert nur ein Lichtblick: die talentierte, im Russischen gewandte und vor allem junge Florence. Mancher hält sie für unreif, mancher schreibt ihr »cojones wie ein Elefantenbulle« zu – Fakt ist, dass sie aus eigenem Antrieb ein Projekt initiiert hat, um den schändlichen Lebenswandel eines ukrainischen Oligarchen mit guten Verbindungen nach Moskau publik zu machen. Die Chancen, dass die Operative Abteilung ihrem umfangreichen und kostspieligen Plan, das Anwesen zu verwanzen, folgt, tendieren freilich gegen Null.
Derweil kompensiert Nat die Ödnis seines beruflichen Ruhekissens weitab aller Machtzentren, indem er sich ein paar private Freiheiten nimmt, etwa um sich der Pflege seines sportlichen Ansehens und seiner familiären Bande zu widmen. Insbesondere seine eheliche Beziehung wurde in der Vergangenheit durch manch dienstlich motivierten Seitensprung arg strapaziert.
Beim Lesen dieses Spionagethrillers, der seine Handlung vorzugsweise in gepflegten geistreichen Dialogen voller Ironie nach britischer Tradition entwickelt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Raffinesse des Plots oder die Maximierung der Amplitude des Spannungsmessers dem betagten Autor eher nebensächlich scheinen. Vielmehr bekennt der achtundachtzigjährige Ex-Agent selbst, seine wahre Motivation sei die eigene Unzufriedenheit über die Politik im eigenen Land. Denn dem bekanntermaßen überzeugten Europäer ist die Diskussion um den Brexit, die sich nun schon seit drei Jahren dahinquält und nicht nur Großbritannien lähmt, ein »rotes Tuch«. Doch auch ein Prominenter wie er steht der Entwicklung und den drohenden wirtschaftlich-sozialen Folgen machtlos gegenüber. Dessen ungeachtet beteiligte er sich an seinem 88. Geburtstag mit vielen Gleichgesinnten an einem Protestmarsch und beantragte im selben Monat die irische Staatsbürgerschaft, um nach dem Austritt Großbritanniens EU-Bürger bleiben zu können.
Die scharfe Analyse der Politik seines Landes, des transatlantischen großen Bruders und der weltpolitischen Lage scheint also das Hauptanliegen hinter diesem vergnüglichen Roman, und dass die Kritik kernig formuliert ist, sorgt für provokante Spitzen. Mit dem jungen, dynamischen Herausforderer Ed hat sich le Carré offensichtlich ein Sprachrohr geschaffen, eine Figur, die ohne jede Scham zum Ausdruck bringen kann, was sich für einen wahren Gentleman wie den Autor nicht in aller Öffentlichkeit zu sagen geziemt, aber nichtsdestoweniger geradewegs aus seinem Inneren hervorquellen wird:
»Halten Sie Trump, so wie ich, für eine Bedrohung der gesamten zivilisierten Welt, für einen Aufwiegler, der der systematischen ungebremsten Nazifizierung der Vereinigten Staaten vorsitzt.«
»GB rollt den roten Teppich aus für einen gewissen amerikanischen Präsidenten, der gekommen ist, um die schwer erkämpften Beziehungen zu Europa zu verhöhnen und die Premierministerin zu erniedrigen, die ihn eingeladen hat.«
Putin, einst ein »fünftklassiger Spion«, sei nun »zum Autokraten geworden«. »Dank Putin und seiner Bande unerlöster Stalinisten bewegte sich Russland nicht auf eine strahlende Zukunft zu, sondern zurück in die eigene dunkle, wahnhafte Vergangenheit.«
»(Trump) ist Putins Latrinenputzer. Er tut alles für den kleinen Putin, was der kleine Putin nicht selbst tun kann, und pisst dabei auf die europäische Einheit, pisst auf die Menschenrechte, pisst auf die NATO. […] Und ihr Briten, was macht ihr? Ihr lutscht seinen Schwanz und ladet ihn zum Tee bei der Queen ein.«
»Agent Running in the Field« ist trotz fast völlig fehlender Action und mäßiger Spannung ein Lesegenuss. Peter Torbergs gekonnte Übersetzung bringt John le Carrés beißenden Spott und seine bittere Ironie ebenso präzise und stimmig aufs Papier wie den brillanten Esprit und die elegante Verve seines Stils. Die Geheimdienststory um einen zwielichtigen Oligarchen und den als Spion enttarnten Ed, der am Schluss für unerwartete Überraschung sorgt, bietet jede Menge Volten und Absurditäten, wirkt aber auch ein wenig aus der Zeit gefallen. Denn Spionage nach uralten Gepflogenheiten, wie le Carré sie noch immer ausmalt – Agenten, ihre Quellen und Führungspersonen, Schläfer, Lanzenträger und Doppelagenten, Täuschung des Feindes durch ständig wechselnde Codenamen, dessen Beschattung durch raffinierte Wanzen aller Orten und seine Schädigung durch geheime Operationen –, ist doch im Cyber- und Digitalzeitalter kaum mehr als Nostalgie. Früher war britische Spionage »Special Relationship mit den Vereinigten Staaten. Wir haben friedlich an der hinteren Zitze der amerikanischen Macht genuckelt. Hatten unseren Spaß. Und heute? Stehen wir in der Schlange hinter den Krauts und den Froschfressern.« Das also ist übrig vom glorreichen Great Britain, das sich im Alleingang greater fühlt als im Bunde mit Europa.