Unser bestes Leben heute leben
Sie sind noch nicht einmal achtzehn und doch schon an Krebs erkrankt. Aber die Frage, warum das Schicksal ausgerechnet sie verraten hat, haben Hazel, Augustus und Isaac sich nie gestellt. Sie betrachten Krebskinder als »die Nebenwirkung der unermüdlichen Mutation, die die Vielfalt des Lebens auf der Erde ermöglicht.«
Kennengelernt haben sich die drei in einer Selbsthilfegruppe. Nur um ihre Eltern glücklich zu machen (»es gibt nur eins auf der der Welt, das ätzender ist, als mit sechzehn an Krebs zu sterben, und das ist, ein Kind zu haben, das an Krebs stirbt«), lässt sich Hazel, die Ich-Erzählerin, widerwillig von Mom zur Episkopalkirche fahren. Der Gruppenleiter, der 18-jährige Patrick, erzählt zur vermeintlich perfekten Einstimmung und um einem Neuling den Einstieg zu erleichtern, ständig seine eigene Leidensgeschichte. Mit drei Jahren hat man ihm die Eier abgenommen, aber noch lebt er. Er will wohl allen weismachen, das sei Glück; dabei hängt das »Damoklesschwert« natürlich weiterhin über ihm.
Nun sitzen sie im Kreis unter dem Kirchenkreuz, geborgen mitten in »Jesus’ superheiligem Herzen«, eine Gruppe Vertrauter, eine Konkurrenzgruppe. Jeder führt seinen eigenen Kampf, jeder hat eine andere Überlebenschance. Bei einer Prognose von zwanzig Prozent heißt das: »Ich muss vier von den armen Schweinen hier überleben«. Zum Abschluss stimmen sie in das gemeinsame »dämliche Mantra – UNSER BESTES LEBEN HEUTE LEBEN« ein.
John Greens Jugendroman »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« erzählt vom Alltag der drei krebskranken Jugendlichen, der weit weg von jeder Normalität ist und Tag für Tag erobert sein will. Er ist gekennzeichnet von Schmerzen, Krankenhausaufenthalten, Operationen, seelischen Verletzungen sowie ganz großen Gefühlen. Dem Krebs sei Dank, sonst wären sie nie Freunde geworden. Hazel kriegt kaum noch Luft, sie zieht ein Sauerstoffwägelchen hinter sich her. Augustus hat das rechte Bein amputiert, geht deshalb etwas hölzern und fährt sehr abrupt Auto. Isaac wird bald vollständig blind sein, wenn ihm auch das zweite Auge entfernt wird. Aber noch spielt er mit Begeisterung Videospiele.
Was sich für uns wie ein Schauder erregendes Gruselkabinett liest – eine Thematik, die wir restlos ausblenden, solange wir gesund sind -, hat Green auf bewundernswert einfühlsame, aber auch direkte Weise literarisch umgesetzt, ohne je plakativ zu werden oder den Kranken zu entwürdigen. Dabei schont er den Leser nicht: Wenn es hart zur Sache geht, schießen die Tränen schon mal in die Augen, doch dann bricht Green die Stimmung gleich wieder um. Es sind die coolen Sprüche, es ist der teilweise makabre Umgang der drei mit ihrer persönlichen Situation, es sind die Situationen, die uns bald wieder schmunzeln lassen.
Hazel habe Depressionen, sei kein normaler Teenager, meint ihre Mom. Seit drei Jahren geht sie nicht mehr zur Schule. Sie ist sehr intelligent, interessiert sich für Literatur und besucht ab und zu Vorlesungen am College. Wenn sie sich mit ihrer Freundin Kaitlyn verabredet, so ist das immer ein Krampf. Hazel täuscht Normalität vor, spürt aber deutlich, dass ihr Gegenüber voller Hemmungen ist, und da kann sie nicht einfach sie selbst sein. Da bleibt Hazel doch lieber allein.
Hazel hält sich für eine tickende Zeitbombe. Wenn sie explodiert, wenn sie stirbt, wird sie, so fürchtet sie, ihre Eltern, die alles für sie geben, mit in die Tiefe reißen. Sie will niemandem mehr zu nahe sein. Nun hat sie sich in Augustus verliebt. Vom ersten Moment an hat es zwischen den beiden direkt gefunkt, als sie einander in »buchstäblich Jesus’ Herz« begegneten. Behutsam nähern sich die beiden unterschiedlichen Wesen einander an. Sie ist die Intellektuelle, die Philosophische, die Nachdenkliche; er ist der Sportlertyp, schlaksig, gutaussehend. Sie erleben eine letzte Zeit gemeinsamen Glücks, wunderschöne Tage, die sich Hazel und Gus gegenseitig schenken, voller Kleinigkeiten, Zärtlichkeiten, Aufmerksamkeiten und großen immateriellen Geschenken. Ihre tiefe vertrauens- und aufopferungsvolle, fürsorgliche Liebe ist endlich wieder ein positives, erstrebenswertes Beispiel, wie die Jugendlichen es in unserer oberflächlichen, konsum- und sexorientierten Zeit selten finden.
Es gibt kein Happy End. Warum muss ausgerechnet dieses Glück, das sich jeder Leser als never-ending story wünscht, so schmerzvoll enden?
Hazel, Augustus und ihre Love Story haben die weiblichen Teenagerherzen Amerikas im Sturm erobert. Kaum erschienen (im Januar 2012 bei Dutton Juvenile), stand »The Fault in Our Stars« wochenlang auf den amerikanischen Bestsellerlisten, und die Medien überschütteten den Autor mit Lobeshymnen. Wetten, dass daraus in Kürze die moderne Version eines melodramatischen Film-Klassikers aus dem Jahr 1970 gedreht wird? Love Story (nach Erich Segals gleichnamigem Bestseller, mit Ali MacGraw und Ryan O'Neal in den Hauptrollen) wurde der finanziell erfolgreichste Film des Jahres. »Das Schicksal ist ein mieser Verräter – der Film« hätte ähnliche Gene und spräche ein jüngeres Publikum an ...
Ob der Zauber – bzw. Hype – auch auf Deutschland überschwappt? Lesenswert ist dieses Buch allemal, und es wird jedem jungen Leser nachhaltig in Erinnerung bleiben, konfrontiert es ihn doch vielleicht zum ersten Mal mit der Endlichkeit des Lebens, mit der Frage, ob wirklich jeder seines Glückes Schmied ist, mit der Problematik des Umgangs mit Kranken, Erkrankenden ... Monica, der Isaac »für immer« versprochen hatte, lief ihm kurz vor seinem OP-Termin davon; sie konnte nicht mehr ertragen, was er ertragen muss.
John Greens »Das Schicksal ist ein mieser Verräter«, den Sophie Zeitz übersetzt hat, ist 2012 im Hanser Verlag erschienen und wird für Leser ab 13 Jahren empfohlen; das setzt aber schon eine gehörige Portion Reife voraus.