Rezension zu »Unterholz« von Jörg Maurer

Unterholz

von


Alpenkrimi · Scherz · · Gebunden · 432 S. · ISBN 9783651000421
Sprache: de · Herkunft: de

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Ein Fleißkärtchen für lustige Miniaturen

Rezension vom 22.02.2013 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Was haben Richard Wagner, Francisco de Goya, Rainer Maria Rilke und Udo Lindenberg gemeinsam? Sie werden im Unterholz eines deutschen Alpenkrimis ertappt! 58 Kapitel hat Jörg Maurers neuer Alpenkrimi, und jedem einzelnen hat der Autor eine wunderbare kleine geistig-sprachliche Spielerei zum Begriff "Unterholz" vorangestellt - knapp kommentierte Definitionen, Zitate, Kontexte. Da erfahren wir etwa, dass "kesken puu" der Platz unter dem tiefsten Holzbrett in der finnischen Sauna ist (Kap. 4), dass russische Schachspieler, wenn sie "im Unterholz" sind, weniger Figuren haben als der Gegner (12), und was für Weisheiten chinesische Bauern reimen: "Sprießt im Unterholz der Reis, wird der Sommer lang und heiß" (16). Und auch die eingangs genannten Persön­lich­keiten haben - wie etliche weitere - zu diesem Begriff etwas geschrieben, gesungen, gemalt ...

Damit hat Maurer aber schon eine ganze Menge seines Pulvers verschossen. Was in den Kapiteln folgt, ist eine ziemlich unaufregende Krimihandlung, die ziemlich neben der Realitätsspur läuft, einer ziemlich lückenhaften Kausalität folgt und ziemlich klischeehafte Charaktere beschäftigt. Nun ist das hier völlig in Ordnung, denn Maurer-Leser erwarten keinen Thriller, sondern eine Gaudi. Aber dazu später.

Ruhig und kaum einsehbar liegt die Wolzmüller-Alm auf 1600m Höhe im Werdenfelser Land, gekrönt von Karwendel, Wetterstein und Zugspitze. Vor 30 Jahren verrichtete da noch der Wolzmüller Andreas sein mühseliges Tagewerk als "leibhaftiger Almbauer". Doch dann kam der Kunstmaler Frank Möbius her, um einen Sommer lang eine Schulbibel zu illustrieren. Kost und Logis bekam er frei, sollte dafür aber dem Sohn das Malen beibringen. Der grob­schläch­tige Wolzmüller Michl war schon 20 Jahre alt, stinkfaul und hatte null Bock auf gar nichts. Wiewohl mit zwei linken Händen geboren, übertrumpfte der Junge allerdings bald seinen Lehrherrn. Der erkannte das hervor­brechende Naturtalent und wollte es nicht ungenutzt in der Einöde verkümmern lassen. Dank guter Beziehungen zur Kunstszene erschloss er daraus eine "todsichere Einkunfts­quelle " - für den Künstler und für sich selbst. Steil ging's finanziell aufwärts auf der Alm - und steil ging's dann auch wieder abwärts. Nach einer gigantischen Szeneparty schied der alte Andreas dahin, und auch der Möbius ist mittlerweile nicht mehr unter uns. Wieso, weshalb, warum? Darüber belässt der Autor einen feinen Schleier der Ungewissheit; wir Leser dürfen spekulieren. Der Michl wohnt jetzt jedenfalls drunten im Tal, in Grainau, und ab und zu sieht man ihn samt Zimmer­manns­bleistift überm Ohr durchs Unterholz geistern.

Die Wolzmüller-Alm hat inzwischen der Ganshagel gepachtet, und er betreibt sie mit einem brandneuen Konzept des innovativen Tourismus, das auch der Bürgermeister aufgeschlossen unterstützt. "Manager-Seminare" heißt das zukunfts­weisende Zauberwort, das ihm die Hüttn mit Besuchern aus aller Welt füllt. Wer da kommt, wer da geht und was sie treiben, das interessiert den Ganshagel nicht: Als seinen Job betrachtet er, diskret für alle Annehm­lich­keiten zu sorgen und mit bayrischen Schmankerln ("Saure Knödel") urige Atmosphäre zu schaffen.

Bald erschließt sich ihm ganz drastisch, wen er sich da ins Haus geholt hat. Beim abendlichen Kontrollgang fällt ihm eine Frau auf, die entspannt an einer Zirbelkiefer lehnt. Unter ihrem breitkrempigen Hut erwartet ihn blanker Horror: Ein Gesicht ist nicht mehr da, dafür noch jede Menge der kleinen Tierchen, die in wenigen Stunden ganze Arbeit geleistet haben. "Knöcherlputzer" nennt sie der Volksmund treffend, "rothalsige Silphe" der Zoologe, und eigentlich sind sie im hiesigen Raum unbekannt.

Kaum hat die Nachricht die Runde gemacht, da haben die Seminaristen schon ihr Päckchen geschnürt und sind über alle Berge getürmt. Der Ganshagel hat von den Äußerungen der Flüchtenden nur wenig aufschnappen können: "L'abesse. Die Äbtissin!" - "Es muss einer von uns gewesen sein", raunte es; jemand trug eine Waffe. Im Medienraum stand noch "OPTOGRAPHIE" am Whiteboard, ehe Ganshagel, dem druckvollen Anraten eines Russen folgend, das Teil zusammen mit allen anderen Spuren noch in der nämlichen Nacht beseitigt.

Lauter Kriminelle - unter ihnen L'abesse, die beste, die gefürchtetste - hatten ihr Stelldichein unter seinem Dach, wollten Erfahrungen austauschen und sich fortbilden. Wenn das publik wird, kann der Ganshagel seinen Laden dicht machen. Doch bald hat sich auch das erledigt. Den Ganshagel kann der Schmarrn nicht mehr erschüttern.

Und nun wird's Zeit für die örtliche Einsatztruppe rund um Kommissar Hubertus Jennerwein. Wie üblich sind mit von der Partie: Polizei­ober­meister Johann Ostler, der Gott und die Welt im Ort kennt; Ludwig Stengele, das Non-plus-ultra aller Kriminologen; Nicole Schwattke, vorübergehend aus dem Ruhrpott ausgeliehen; Franz Hölleisen und last but not least die Psychologin Maria Schmalfuß. Doch leider nutzt Maurer die eigene Steilvorlage der viel­ver­sprechen­den Ausgangs­situation, die das Krimi-Genre so herrlich veräppelt, nicht. Stattdessen wird unterholzig recherchiert; seitenweise kommt das Team nicht voran; erst nach gut 300 Seiten tut sich was. Der Handlungs­verlauf wird nicht zur gefürchteten Lawine, und schon bald ist Ende im Gelände.

Jörg Maurer ist ein mit Preisen hoch­dekorierter Kabarettist aus Garmisch-Partenkirchen, und in der Tat kann ich mir bestens vorstellen, wie er bei einer Lesung oder Bühnen­vor­stellung die Charakterchen, ihre sprachlichen Eigenheiten, ihre Mimik und Gestik hübsch überspitzt lebendig werden lässt. Die eher episodische als stringent ablaufende Struktur des Alpen­krimis erleichtert so eine szenische Dar­bietungs­form. Dann würde das Publikum sicher auch über die running gags wiehern - dem Wolzmüller Michl seine Däppischkeit, wo er doch eigentlich ein Schlauer ist, oder das wandernde Mediziner-Pärchen und seinen sächselnden Vortrag über einen Borreliose-Patienten. Beim Lesen aber zünden solche Knaller nur bedingt, wenn sie nicht gleich "kesken puu" bleiben ...

Fazit: Maurers fünfter Alpenkrimi (von dem bereits drei Auflagen über den Ladentisch gegangen sind) unterhält in der bewährten, hundert­tausend­fach geschätzten Weise, indem er bayrisches Lokalkolorit inklusive der mehr oder minder kauzig präsentierten Ureinwohner auf die Schippe nimmt und gleichzeitig in Ehren hält. Viele, viele Details sind mit Liebe und Gespür beobachtetet und beschrieben. In den Formulierungen blitzen oft geistreiche Wendungen und intelligente Anspielungen auf. Und doch bleibt alles oberflächlich, aufgezählt statt verzahnt, bisweilen klischeehaft oder abgegriffen, wie etwa die Seitenhiebe auf den Kunstbetrieb. Deswegen zieht sich's am Ende ganz schön beim Lesen. Ob das Hörbuch hier die genussvollere Variante als der Druck ist?


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