Die Ratte
Oslos Drogenszene beherrscht ein einziger "Ataman" – ein Gespenst, das bisher noch niemand gesehen hat. Zwei russische Killer machen für ihn die Drecksarbeit; sie organisieren und kontrollieren sein einträgliches und todbringendes Geschäft.
Drei junge Leute – Gusto, seine Stiefschwester Irene und Oleg – sind als kleine Dealer mit dabei. Sie vertickern die neue synthetische Droge Violin. Nun liegt Gusto in seiner versifften Wohnung im Sterben: Seine letzte Spritze hängt ihm noch in der Armbeuge, aus der Schussverletzung in seiner Brust rinnt Blut, und eine dicke Ratte knabbert an seinen Schuhen. Die riesige Leiche versperrt ihr das Eingangsloch zu ihrem Nest hinter der Wand. Um wieder zu ihren Jungen zu gelangen, beißt sie sich bis in Gustos Körper hinein (und hätte dem Roman auch gut den Titel "Die Ratte" verleihen können). Oleg hat man verhaftet. Zwar schweigt er zum Tatmotiv, aber wahrscheinlich hat er wegen des bisschen Stoffs seinen Freund Gusto aus dem Leben gepustet. Irene ist schon seit Monaten verschwunden.
Harry Hole, der seit drei Jahren in seinem selbstgewählten Exil in Hongkong lebt, kehrt nach Oslo zurück. Sein weißer Leinenanzug kann nicht ablenken von einer hässlichen Narbe, die sein Gesicht entstellt. Er will seiner ehemaligen Lebensgefährtin Rakel zur Seite stehen und Oleg, ihren Sohn, aus dem Gefängnis holen. Mit ihm hatte er viele gemeinsame Stunden verbracht, hatte einst wie ein Vater für ihn sorgen wollen, denn er hält ihn für einen guten Jungen. Als Hole ihn nun im Gefängnis besucht, findet er ihn nur noch als Schatten seiner selbst vor: einen abgemagerten, von Drogen zerfressenen Süchtigen, der jede Zusammenarbeit mit ihm ablehnt. Kurze Zeit später wird ein anderer Junkie verhaftet, und Oleg kommt frei. Harry Hole sieht somit seinen Auftrag als beendet an und bucht seinen Rückflug nach Hongkong. Doch dann packt ihn sein Ermittlergeist; sein Spürsinn reißt ihn aus dem Sitz, als er schon im Flugzeug Platz genommen hat, und er verlässt die Maschine, um all die noch offenen Fragen zu klären.
Jetzt recherchiert er im Drogenmilieu, tastet sich in korrupte Polizei- und Politikerkreise vor, die das Monopolgeschäft des großen "Atamans" dulden, und entdeckt das Labor, in dem Violin hergestellt wird. Mit eigenen Augen sieht er, wie brutal seine Gegner foltern und töten können, und riskiert mit diesem Wissen sein Leben. Doch Harry Hole lässt sich davon nicht abschrecken. Er kämpft bis zum letzten Atemzug.
Jo Nesbø, einer der besten skandinavischen Thriller-Autoren, fährt in diesem wohl letzten Harry-Hole-Fall zur Höchstform auf. In einem separaten Handlungsstrang (kursiv gedruckt) gestaltet er die wohl armseligste, schockierendste Geschichte eines Junkies, der nichts als eine Marionette in den Händen des Drogenbosses und seiner Killer sein durfte. Obwohl Harry Hole im Gegensatz dazu als aktiver, starker, cleverer Spürhund profiliert ist, nimmt er dennoch nicht wahr, wie nah ihm der "Ataman" ist – so dass er ihn förmlich riechen kann.
"Die Larve" ist ein durchweg spannender Top-Thriller, bis man auf den letzten hundert Seiten fast zu atmen vergisst. Die Angaben zu "Quellen, Hilfen und Danksagungen" (S. 563) belegen zudem, dass Nesbø bestens recherchiert hat. All das reale Grauen, all die Wahrheiten, die in diesem fiktionalen Roman verarbeitet sind, hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack.