Rezension zu »Blood on Snow: Der Auftrag« von Jo Nesbø

Blood on Snow: Der Auftrag

von


Thriller · Ullstein · · Taschenbuch · 192 S. · ISBN 9783550080777
Sprache: de · Herkunft: no

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Auftragskiller, zart besaitet

Rezension vom 21.11.2015 · 1 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Good-bye, Harry Hole! Mit sei­nem neuen Thril­ler hat der nor­wegi­sche Best­seller­autor Jo Nesbø einen ra­di­kalen Schnitt voll­zogen. Den legen­dären Serien­helden Harry Hole, einen Poli­zis­ten der kaput­ten Sorte, dem er Welt­ruhm und Wohl­stand ver­dankt, hat er in den Ruhe­stand verab­schie­det. An seine Stelle tritt einer, für den der Aus­ge­mus­terte wahr­schein­lich nur Ver­ach­tung auf­ge­bracht hätte. Der Neue steht auf der ande­ren Seite des Geset­zes – Olav Jo­han­sen ist ein Mörder und, schlim­mer noch, ein Weich­ei. Zumin­dest auf den ers­ten Blick.

»Blood on Snow: Der Auf­trag«, von Gün­ther Frauen­lob über­setzt, spielt im Jahr 1977 kurz vor Weih­nach­ten im da­mals noch ge­ruh­samen Oslo. Der Drogen­han­del auf der »Russ­land­route« hat sich gerade etabliert, aber das or­gani­sierte Ver­brechen steckt noch in den Kin­der­schu­hen. Beson­ders durch­set­zungs­stark und klug hat Daniel Hoff­mann agiert, der seit einem Stu­dien­auf­ent­halt in Ox­ford einen Faible für die feine eng­li­sche Art pflegt und mit »Sir« an­ge­redet zu werden wünscht. Jetzt rückt ihm einer auf die Pelle, den man nur »der Fischer« nennt. Im Ge­gen­satz zu den an­deren »Schar­la­ta­nen« und »Ama­teu­ren«, die sich im Frauen­handel und auf dem He­roin­markt tum­meln, ist »der Fischer« kein Idiot, sondern ein ernst­zu­neh­men­der Kon­kur­rent.

Gut, dass Hoff­mann sich auf die Dienste eines zuver­lässi­gen freien Mit­arbei­ters stützen kann. Olav Jo­han­sen schafft ihm alle läs­ti­gen Pro­bleme vom Halse. Ohne viel Feder­lesens führt er seine Auf­träge aus, kas­siert sei­nen Lohn und basta. Seine Be­rufs­be­zeich­nung ist »Expe­dient«, vulgo Auf­trags­killer, und »expe­diert« wer­den zumeist Leute des Fi­schers.

Dabei ist die Geschäfts­lage optimal. Wie Ich-Er­zähler Olav resü­miert, drücken all die vielen Junkies so viel Geld ab, dass sich sowohl Hoff­mann als auch der Fi­scher eines hin­reichen­den Aus­kom­mens er­freuen könn­ten. Ihre tod­bringen­den Hahnen­kämpfe hält Olav schlicht für un­sinnig und über­flüs­sig. Es sind halt zwei Män­ner, die beide absolut nicht »mein Talent [haben], sich unter­zuord­nen«, »einfach mal ein Auge zu­zu­drü­cken«.

Olav Jo­han­sen gibt sich als Krimi­neller der pa­ra­doxen Art, als sanfter Ka­pital­ver­brecher. Wenn er nicht mordet, führt er ein stilles, zu­rück­gezo­genes, ein­sames Privat­leben. Ob­wohl Le­gas­theni­ker, müht er sich ge­dul­dig im Brie­fe­schrei­ben (»ich schreibe lang­samer, als ein Sta­lak­tit wächst«). Vor allem liest er gerne, ein­fühl­sam und mit Ver­stand. Sein Lieb­lings­buch, »Die Elen­den« von Victor Hugo, rührt sein emp­find­sames Herz schon seit seiner Kind­heit, und seit­her ha­dert er mit dem Schick­sal des Prota­gonis­ten Jean Valjean. Jah­re­lange Haft, bloß weil er ein Stück Brot für die hun­gern­den Kinder sei­ner Schwes­ter ge­stoh­len hatte? Und danach nur noch der Wunsch, »Verge­bung für seine Sünden« zu er­lan­gen und ein »guter Mensch« zu sein? Das nimmt Olav dem Autor nicht ab – und schreibt die Ge­schich­te so um, dass Jean Val­jean als ›guter Mörder‹ da­steht. Damit stylt Olav quasi sich selbst.

Wie soll so ein »schwaches, sen­sib­les Seel­chen« wie Olav sein Brot ver­die­nen? Was hat er nicht alles aus­pro­biert. Nach Raub­über­fällen setzte ihm das schlechte Ge­wissen zu, weil er bei den Opfern ent­setz­liche psychi­sche Folgen aus­ge­löst hat. Als Flucht­wagen­fahrer dis­quali­fi­ziert ihn sein auf­fällig un­auf­fälli­ger Fahr­stil, der ihn und zwei andere erst kürz­lich in den Knast beför­derte. Drogen dea­len, Geld ein­trei­ben? Nicht das Rich­tige für einen, der es »kaum schafft, bis zehn zu zählen«. Und für ein En­gage­ment im Prosti­tutions­metier ist sein Herz zu weich, ver­liert er zu leicht den Kopf. Im­mer­hin bildet die Liste sei­nen gar nicht so zimper­li­chen Lebens­lauf ab.

Ganz prag­ma­tisch hat Olav gegen­ein­an­der ab­ge­wogen, was er kann und was nicht. Schluss­end­lich ist er nur als »Ex­pe­di­ent« zu ge­brau­chen, wobei er sich damit tröstet, dass er nur Männer tötet, »die es ir­gend­wie ver­dient haben«.

Als Daniel Hoffmann sich jetzt wieder bei ihm meldet, braucht Olav aller­dings Be­denk­zeit, und er hat gute Gründe zu zögern: »Ich sollte seine Frau ex­pe­die­ren.«

Mich hat »Der Auf­trag« hin­ge­gen rund­weg begeis­tert. Ein über­schau­barer Krimi von knapp zwei­hun­dert Sei­ten, auch op­tisch apart auf­ge­macht. Ganz im Ge­gen­satz zu den kom­ple­xen, auf zig Ebe­nen und Schau­plät­zen spie­len­den Harry-Hole-Krimis ist die Hand­lung hier leicht nach­voll­zieh­bar und wohl­tuend strin­gent auf­berei­tet wie in ›klassi­schen‹ Vor­bil­dern aus den Sieb­zi­ger­jahren. Ein Retro-Krimi ist das frei­lich kei­nes­wegs. Er bietet viel­mehr die bewähr­ten Nesbø-In­gre­dien­zien und ge­nü­gend Stoff, um den Leser um­fas­send zu be­ein­drucken und immer wie­der aufs Neue zu über­raschen, denn Olav gerät heftig zwischen die Fronten der riva­lisie­ren­den Gangster­banden und hinter­lässt jede Menge »Ex­pe­dier­te«.

Zweifellos ver­bucht aber der er­staun­liche Charakter des Prota­go­nis­ten die meisten Über­ra­schungs­punkte zu­guns­ten des ›neuen Nesbø‹. Olav Jo­han­sen ist ein intelli­genter und amü­santer Tief­stap­ler mit fei­nem Humor und Selbst­iro­nie. Sein Erzähl­stil ist ein­gängig, kurz und bündig, präzise, sach­lich und emo­tions­los, wartet aber auch mit poeti­schen Anflügen auf, wenn Lite­ratur oder Liebe seine zarten Saiten zum Klingen bringen. Aber es dau­ert nicht lange, bis wir das Schau­spiel dieses talen­tier­ten Selbst­dar­stellers durch­schauen. In Wirk­lich­keit kann einen ab­ge­brüh­ten Voll­profi wie ihn rein gar nichts aus der Ruhe brin­gen.

Mit diesem klu­gen Kopf hat Jo Nesbø eine schil­lern­de Figur ge­schaf­fen, die viel Po­ten­zial für weitere Fol­gen bietet. Doch ge­mach – die Zukunft ge­hört nicht Olav Jo­han­sen. Ende Februar 2016 er­scheint »Blood On Snow. Das Versteck« Jo Nesbø: »Blood On Snow. Das Versteck« bei Amazon – ohne Olav, wohl aber wieder mit dem Fischer. Der hetzt einen neuen Gegen­spie­ler namens Jon – nicht durch Oslo, son­dern in den ab­seiti­gen Weiten des hohen Nor­dens, wo die Mit­ter­nachts­son­ne einen in den Wahn­sinn trei­ben kann ... Jo Nesbø hält sich für die Zu­kunft viele Türen offen.


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