Wunderschön: Morde in der Bretagne
Wenn ein Autor Jean-Luc Bannalec heißt, ahnt man schon: ein waschechter Bretone, schaumgeboren! Hier kommt also Breizh aus erster Hand – alle Details authentisch, die Atmosphäre dicht. Als Tamina Kallert im letzten Jahr die Bretagne bereiste (»Wunderschön«, ausgestrahlt im November 2012), packte sie Bannalecs Krimi-Erstling »Bretonische Verhältnisse« (März 2012) mit den besten Empfehlungen in ihren roten Rucksack. Im April 2013 – kurz vor der sommerlichen Reisewelle – erschien ein Nachfolgeband, der ebenfalls ein Bestseller werden könnte, verspricht er doch erneut eine starke Prise vom herben Charme jener meerumtosten Region, die mit Austern, Blumen, Cidre, Dolmen, Epicerien, Fischgerichten … Yachten und Zöllnerpfaden unwiderstehlich lockt.
Doch gemach – Jean-Luc Bannalec ist noch weniger Bretone als Donna Leon Venezianerin. Hinter dem clever gewählten, umsatzfördernden Pseudonym versteckt sich ein anonymer Deutscher, der wenigstens zeitweise im südlichen Finistère lebt – und da siedelt er auch die Geschichten um seinen Kommissar Dupin an.
Doch gemach – Kommissar Dupin ist kaum mehr Bretone als Jean-Luc Bannalec. Ursprünglich ermittelte er im heimischen Paris, wurde dann ins Commissariat de Police der »blauen Stadt« Concarneau zwangsversetzt und tut sich etwas schwer mit den Gegebenheiten dieser uralten, mythenreichen Region und ihren traditionsbewussten, verschlossenen Menschen.
Als an einer der Inseln des Glénan-Archipels nach einem tosenden Sturm drei Leichen angespült werden, hat Dupin (50) seinen zweiten Fall zu knacken. Obwohl keine Vermisstmeldungen vorliegen, ist ihre Identifizierung ein Kinderspiel, denn die Toten waren Promis: Lucas Lefort, Admiral’s-Cup-Gewinner und Besitzer einer Segelschule, und seine beiden Freunde Yannig Konan und Grégoire Pajot. Beliebt sind sie nicht gewesen, denn es handelte sich um arrogant auftretende und skrupellos agierende Reiche mit besten Beziehungen in Politik und Wirtschaft. Leforts neuestes Projekt war, die Glénan-Inseln touristisch auszuschlachten, und während die drei Freunde bereits einen Haufen Geld investiert hatten, formierte sich der Widerstand der Einheimischen, die ihre natürliche Idylle nicht zerstören lassen wollten.
Die gerichtsmedizinische Untersuchung fördert in Leforts und Konans Blut Beruhigungsmittel zutage. Hat man ihnen etwas in ihre Getränke oder in ihr Essen gemischt, als sie am Vorabend im Insider-Lokal »Quatre vents« speisten? Waren die erfahrenen Skipper deshalb manövrierunfähig, als sie danach auf stürmischer See segelten? Ins Modell eines fingierten Unglücksfalls will allerdings gar nicht passen, dass Pajot, der Dritte an und über Bord, keinerlei Medizin enthielt …
Alles kein Problem für den genialen Aufklärer Dupin; nach gerade einmal zwei Tagen wird er den Fall gelöst haben. Schlimm sind hingegen die persönlichen Begleiterscheinungen, die dem Kommissar Leben und Arbeiten in der Provinz vergällen. Um überhaupt erst einmal in Fahrt zu kommen, muss er seinem Körper am Morgen drei café zuführen (denen im weiteren Tagesverlauf etliche folgen sollten); wenn ihn aber sein Vorgesetzter (der widerwärtige Präfekt) schon vor Einnahme des Initialquantums abkommandiert, ist der ganze Tag ruiniert. Und dann soll es auch noch auf eine Insel gehen – dabei hat er eine Phobie; ihm graust’s auf jedem Schiff, vor allem auf einem Schnellboot, wie er es jetzt benutzen soll. Und dann ist man auf den Inseln so hilflos, weil das Handy ständig kein Netz findet …
Wenngleich verständlicherweise grantig, interviewt Dupin eine Kollektion von Inselbewohnern, lässt sich den frischen Wind durch seine Gehirnwindungen wehen und findet so manch Interessantes heraus.
Die drei Männer wollten ein Transportschiff anmieten. Waren sie auf geheimer Schatzsuche? Denn vor den felsigen Inseln liegen Schiffswracks, sogar Überreste römischer Galeeren.
Ein Meeresbiologe erläutert Dupin die einzigartige Algenfauna des reinen Meerwassers. Hatten die drei Unternehmer vielleicht innovative Konzepte im Portfolio – blaue Biotechnologie? abbaubare Kunststoffe? neuartige Medikamente? wirksame Kosmetik? Gab es fragwürdige Abmachungen mit Konzernen, Patentschutzverletzungen? An möglichen Motiven, die drei Kerle umzubringen, mangelt es jedenfalls nicht …
Allein hätte Dupin nicht so schnell dingfeste Resultate liefern können; ein hilfreiches Team steht ihm zur Seite. Das sind: Nolwenn (genannt »la tigresse«), die pragmatische, patente Sekretärin, die immer eine flotte Sprichwortweisheit auf den Lippen trägt (»Wenn du beten lernen willst, so fahr aufs Meer.«); Inspektor Kadeq, etwas übereifrig, bisweilen nervig; schließlich Inspektor Riwal, der Analytiker mit bevorstehender Verehelichung.
Bei allem Respekt für die beiden Kollegen – eine gemeinsame Übernachtung ist denn doch zuviel für Dupin, auch wenn sie durch die unsichere Wetterlage erzwungen ist und in einem improvisierten Notquartier auf der Insel statthat. Trost bringt dem Gourmet an diesem ungeplanten Abend die »Cotriade« auf der Speisekarte, denn diesen Eintopf aus Fischen, Krustentieren, Muscheln, Kartoffeln, Kräutern und bretonischem Fleur de Sel hat er bislang noch nie genossen. Dazu serviert man ihm alte Hexengeschichten wie die von »Groac’hs gieriger Hand«, die bei Sturm an die Türen pocht, um die Seelen auf die »Barke der Toten« zu locken und zur Île de Sein zu entführen.
So entwickelt sich also dieser bretonische Krimi. Eine Mischung aus viel regionaler Atmosphäre, appetitanregenden Mahlzeiten und kauzigen Typen rund um einen Krimiplot, der eher die Gehirnzellen anregt als die Nerven anspannt – das ist das Erfolgsrezept der internationalen Bestsellerautoren Donna Leon, Andrea Camilleri und Martin Walker. Wie schneidet Jean-Luc Bannelecs Opus 2 im Vergleich mit ihnen ab? Nicht schlecht, aber es bleibt ein deutlicher Abstand. Die Sprache ist gut, die Beschreibungen sind detailliert und anschaulich, die Dialoge natürlich, nicht gestelzt. Sein Tableau der rauen Bretagne – türkis und karibikblau bis graugrün und graublau gemalt – bedient unsere Vorstellungen, macht einen realistischen Eindruck und ist stimmungsvoll. Jedoch haben seine Figuren nicht annähernd so viel Charme, Esprit, Verve und Tiefe wie ihre fiktionalen Kollegen.
Am enttäuschendsten finde ich die Umsetzung des vielversprechenden Krimikonzepts. Was hätte man aus all den attraktiven Ansätzen und potenzialreichen Ideen stricken können! Doch leider finden zu viele Handlungsfäden keine Fortführung, Motive verpuffen wirkungslos. Der Leser wird schon unterwegs nicht wirklich gefesselt, und die Auflösung des Falls ist banal, bleibt weit hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurück.
Fazit: Packen Sie die »Bretonische Brandung« ruhig in Ihren wunderschönen roten Rucksack. Sie ist trotz kleiner Mankos allemal ein feiner Appetizer für das Reiseziel Bretagne und eine hübsch leichte Urlaubslektüre für Strand, Terrasse oder Balkon.