Kühn hat Ärger
von Jan Weiler
Martin Kühns Leben ist ein Scherbenhaufen. Gesundheit, Befriedigung in Ehe und Beruf, Finanzen und Immobilie – alles lachhaft kaputt. Aber unterkriegen lässt sich der Kommissar nicht. Ach ja – es gibt auch zwei Tote.
Eine Krimi-Farce
Was ist das Leben schon anderes als eine Abfolge mühseliger Wechseljahre? Und kaum ein Autor hat wie Jan Weiler die Gabe, das, was die Betroffenen und ihre Lieben tapfer durchstehen, so witzig zu präsentieren, dass Schicksalsgenossen gleichzeitig kichern und weinen über das, was sie doch selbst durchleiden, früher erlebt oder noch vor sich haben.
Warm gelaufen hat sich Jan Weiler mit den »Pubertieren«. Jetzt nimmt er sich des gemeinen Wechseljährlers (sozusagen des »Klimaktiers«) an. Als Repräsentant der Spezies dient ihm (bereits zum zweiten Mal) Martin Kühn, 45, Beamter im gehobenen Dienst, verheiratet, zwei Kinder, Besitzer eines Eigenheims in Münchens Suburbia. Diesem bedauernswerten Mann (sein zweiter Vorname könnte Hiob sein), hat Weiler so gut wie alles auf den Leib gedichtet, was eine Midlife Crisis so unattraktiv macht wie zuvor die Flegeljahre. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Der Körper, unelastisch geworden, will nicht mehr so, wie der Kopf es wünscht; der eheliche Sex ist erstarrt; Ehefrau Susanne flieht zu neuen Interessen (Männern womöglich?); Gespräche miteinander wären heikel, also hält man sich lieber verschlossen.
Und dann die Sorgen im beruflichen und materiellen Bereich: Keine Aufstiegschancen, arrogante Vorgesetzte, ein dürftiges Gehalt, das zum Sparen zwingt, damit die Hypothekenbank bedient werden kann. Ehrlich erworben ist das Mittelschicht-»Modulhäuschen« am Stadtrand, doch im Rückblick leider ein fieser Betrug (vergifteter Boden, feuchte Keller, teure, aber aussichtslose Rechtsstreitereien).
Martin Kühn, einst eine »weitgehend wartungsfreie Lebensmaschine«, hat reichlich Blessuren davongetragen, einen Burnout durchschritten, eine Reha absolviert und kehrt gerade zurück in seine Familie und in den beruflichen Alltag. Insofern könnte er ebenso gut ein gestresster Gesamtschullehrer oder eine andere verantwortungsbeladene und doch vernachlässigte Stütze der Gesellschaft sein, die irgendwie durchhält. Aber sein Schöpfer versucht sich auf Kosten des Protagonisten an einem neuen Genre, dem Kriminalroman. Die Charakterfigur Martin Kühn ist freilich weit entfernt von einem toughen Ermittler, der sich mit Schwerstverbrechern herumschlägt und in der bajuwarischen Unterwelt aufräumt.
Genauso weit entfernt ist der Leser von einem spannenden, wendungsreichen Kriminalfall. Auf den meisten Seiten verteilt Weiler genüssliche Rundumschläge gegen alles und jedes, was in unserer Gesellschaft gegen Martin Kühns Strich läuft. Zwischen den Problemen Münchner Pendler und den Ungerechtigkeiten unseres Steuersystems findet auch jeder Leser ein paar Felder, die er mühsam beackert, die ihm Kraft und Schlaf rauben, die ihn zur Verzweiflung treiben. Da geraten die zwei Fälle, die Kommissar Kühn dienstlich obliegen, geradezu zur Nebensache: Ein Mädchen stirbt an einem vergifteten Joghurt, den ein Erpresser in einem Supermarkt platziert hat. Und ein junger Migrant stirbt, als man ihn an einer Straßenbahnhaltestelle brutal zusammenschlägt.
Die Ermittlungen katapultieren den angeschlagenen Polizisten in eine Welt, die Lichtjahre entfernt von seinem kleinen Planeten existiert: die des Geldadels, der Bohème und der Schickeria. Dort siedelt Weiler einen märchenhaften Plot an, effektvoll zugespitzt und boshaft übersteigert wie alle anderen nicht-kriminellen Handlungsstränge des Buches. Elfie van Hauten, 50, hat schon alles, was man im Leben erreichen kann, von »Platzreife und Bridge-Meisterschaft« bis zu Mammon und sogar Zeit. Jetzt will sie Gutes tun, engagiert sich für die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ihr »Meisterstück« ist die Wandlung des jungen Libanesen Amir Bilal vom notorischen Kleinkriminellen zum ehrgeizigen Abiturienten. Zur Belohnung darf der Superboy in das Grünwalder Designerhaus (mit Bonsaiparkett und Koi-Teich) einziehen, wo auch Töchterchen Julia wohnt.
Wie zu erwarten, liefern Getriebe und Gewese der von der kleinkarierten Alltagsrealität abgehobenen Eliten sowie die Auftritte inkompatibler Underdogs wie Amir und Kühn im freischwebenden Ambiente einem notorischen Spötter wie Jan Weiler reichlich Stoff. In seinen Schilderungen trägt er Spott und Häme so dick auf, dass wir uns köstlich amüsieren – und auf den Krimi pfeifen. Das tut wohl auch der Autor, denn am Ende serviert er uns eine wenig originelle Auflösung.
Mein Fazit ist tief gespalten. Das Etikett »Kriminalroman« führt in die Irre und enttäuscht Fans des Genres. Jan Weilers Talent für treffsichere Satire, fantasievolle Zuspitzung und süffisante Darstellung steht dagegen außer Frage. Dabei liefert er seinen tapferen Kommissar keineswegs der Lächerlichkeit aus. Man empfindet Mitleid und Respekt für einen, der trotz aller Prügel einen geraden Weg zu gehen versucht. Andererseits kennt der Autor kein Maß. Die überbordende Vielfalt der Themen ermüdet ebenso wie der Dauerbeschuss mit Ironie und Polemik, deren Wirkung schnell verpufft.
Als nächste Spezies in einem Übergangsstadium schlage ich Herrn Weiler für seine schriftstellerische Porträtierung übrigens den Rentner vor. Das »Rentier« tritt in Herden auf, verfügt über teilweise erhebliche Ressourcen aller Art und bietet schier unbegrenztes Potenzial für Belustigung, Tragik, Sozialkritik und Amouröses. Doch Vorsicht beim Genre: Kriminell ist es selten.