Rezension zu »Kühn hat Ärger« von Jan Weiler

Kühn hat Ärger

von


Martin Kühns Leben ist ein Scherbenhaufen. Gesundheit, Befriedigung in Ehe und Beruf, Finanzen und Immobilie – alles lachhaft kaputt. Aber unterkriegen lässt sich der Kommissar nicht. Ach ja – es gibt auch zwei Tote.
Kriminalroman · Piper · · 394 S. · ISBN 9783492057578
Sprache: de · Herkunft: de

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Eine Krimi-Farce

Rezension vom 22.06.2018 · 2 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Was ist das Leben schon anderes als eine Abfolge mühseliger Wechseljahre? Und kaum ein Autor hat wie Jan Weiler die Gabe, das, was die Betrof­fenen und ihre Lieben tapfer durch­stehen, so witzig zu präsen­tieren, dass Schicksals­genos­sen gleich­zeitig kichern und weinen über das, was sie doch selbst durch­leiden, früher erlebt oder noch vor sich haben.

Warm gelaufen hat sich Jan Weiler mit den »Pubertieren«. Jetzt nimmt er sich des gemeinen Wechsel­jährlers (sozu­sagen des »Klimak­tiers«) an. Als Re­präsen­tant der Spezies dient ihm (bereits zum zweiten Mal) Martin Kühn, 45, Beamter im gehobe­nen Dienst, verheiratet, zwei Kinder, Besitzer eines Eigen­heims in Münchens Suburbia. Diesem bedauerns­werten Mann (sein zweiter Vorname könnte Hiob sein), hat Weiler so gut wie alles auf den Leib gedichtet, was eine Midlife Crisis so unattraktiv macht wie zuvor die Flegel­jahre. Ohne Anspruch auf Voll­ständig­keit: Der Körper, unelas­tisch geworden, will nicht mehr so, wie der Kopf es wünscht; der eheliche Sex ist erstarrt; Ehefrau Susanne flieht zu neuen Interes­sen (Männern womög­lich?); Gespräche mitein­ander wären heikel, also hält man sich lieber verschlossen.

Und dann die Sorgen im beruflichen und materiellen Bereich: Keine Aufstiegs­chancen, arrogante Vorgesetzte, ein dürftiges Gehalt, das zum Sparen zwingt, damit die Hypo­theken­bank bedient werden kann. Ehrlich erworben ist das Mittel­schicht-»Modul­häus­chen« am Stadtrand, doch im Rück­blick leider ein fieser Betrug (vergifte­ter Boden, feuchte Keller, teure, aber aus­sichts­lose Rechts­streite­reien).

Martin Kühn, einst eine »weitgehend wartungsfreie Lebensmaschine«, hat reichlich Blessuren davon­getra­gen, einen Burnout durch­schritten, eine Reha absol­viert und kehrt gerade zurück in seine Familie und in den beruf­lichen Alltag. Insofern könnte er ebenso gut ein gestress­ter Gesamt­schul­lehrer oder eine andere verant­wortungs­bela­dene und doch ver­nach­lässigte Stütze der Gesell­schaft sein, die irgend­wie durchhält. Aber sein Schöpfer versucht sich auf Kosten des Pro­tagonis­ten an einem neuen Genre, dem Kriminal­roman. Die Cha­rakter­figur Martin Kühn ist freilich weit entfernt von einem toughen Ermittler, der sich mit Schwerst­verbre­chern herum­schlägt und in der baju­wari­schen Unter­welt aufräumt.

Genauso weit entfernt ist der Leser von einem spannenden, wendungs­reichen Kriminal­fall. Auf den meisten Seiten verteilt Weiler genüss­liche Rundum­schläge gegen alles und jedes, was in unserer Gesell­schaft gegen Martin Kühns Strich läuft. Zwischen den Prob­lemen Münchner Pendler und den Unge­rechtig­keiten unseres Steuer­systems findet auch jeder Leser ein paar Felder, die er mühsam beackert, die ihm Kraft und Schlaf rauben, die ihn zur Ver­zweif­lung treiben. Da geraten die zwei Fälle, die Kommissar Kühn dienstlich obliegen, geradezu zur Neben­sache: Ein Mädchen stirbt an einem vergifte­ten Joghurt, den ein Erpresser in einem Super­markt platziert hat. Und ein junger Migrant stirbt, als man ihn an einer Straßen­bahn­halte­stelle brutal zu­sammen­schlägt.

Die Ermittlungen katapultieren den ange­schlage­nen Polizisten in eine Welt, die Lichtjahre entfernt von seinem kleinen Planeten existiert: die des Geldadels, der Bohème und der Schickeria. Dort siedelt Weiler einen märchen­haften Plot an, effekt­voll zuge­spitzt und boshaft über­steigert wie alle anderen nicht-krimi­nellen Hand­lungs­stränge des Buches. Elfie van Hauten, 50, hat schon alles, was man im Leben erreichen kann, von »Platzreife und Bridge-Meister­schaft« bis zu Mammon und sogar Zeit. Jetzt will sie Gutes tun, engagiert sich für die Integra­tion von Kindern und Jugend­lichen mit Migra­tions­hinter­grund. Ihr »Meister­stück« ist die Wand­lung des jungen Libanesen Amir Bilal vom notori­schen Klein­krimi­nellen zum ehr­geizi­gen Abituri­enten. Zur Belohnung darf der Superboy in das Grünwalder Designer­haus (mit Bonsai­parkett und Koi-Teich) einziehen, wo auch Töchter­chen Julia wohnt.

Wie zu erwarten, liefern Getriebe und Gewese der von der kleinkarierten Alltags­reali­tät abgeho­benen Eliten sowie die Auftritte inkompa­tibler Underdogs wie Amir und Kühn im frei­schweben­den Ambiente einem notori­schen Spötter wie Jan Weiler reichlich Stoff. In seinen Schil­derun­gen trägt er Spott und Häme so dick auf, dass wir uns köstlich amü­sieren – und auf den Krimi pfeifen. Das tut wohl auch der Autor, denn am Ende serviert er uns eine wenig origi­nelle Auflö­sung.

Mein Fazit ist tief gespalten. Das Etikett »Kriminal­roman« führt in die Irre und ent­täuscht Fans des Genres. Jan Weilers Talent für treff­sichere Satire, fantasie­volle Zuspitzung und süffi­sante Dar­stel­lung steht dagegen außer Frage. Dabei liefert er seinen tapferen Kommissar keines­wegs der Lächer­lich­keit aus. Man empfindet Mitleid und Respekt für einen, der trotz aller Prügel einen geraden Weg zu gehen versucht. Anderer­seits kennt der Autor kein Maß. Die über­bor­dende Vielfalt der Themen ermüdet ebenso wie der Dauer­beschuss mit Ironie und Polemik, deren Wirkung schnell verpufft.

Als nächste Spezies in einem Über­gangs­stadium schlage ich Herrn Weiler für seine schrift­stelleri­sche Porträ­tierung übrigens den Rentner vor. Das »Rentier« tritt in Herden auf, verfügt über teil­weise erheb­liche Res­sour­cen aller Art und bietet schier unbe­grenz­tes Potenzial für Be­lusti­gung, Tragik, Sozial­kritik und Amouröses. Doch Vorsicht beim Genre: Kriminell ist es selten.


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