Ewig ist nur der Wandel
»A Diamond Is Forever« – diese Weisheit, so will es scheinen, gilt schon ewig. Denn was könnte die Sehnsucht nach dauerhafter Liebe besser symbolisieren als so ein Kohlenstoff-Kristall – uralt, steinhart, von glasklarer Schönheit, äußerst selten und äußerst teuer?
Aber das Mineral ist auch schnöde Ware und wird vermarktet wie Kunstblumen und Vollmilchschokolade. Der Satz »A Diamond Is Forever« mag ja zu Tränen rühren, wenn er der Angebeteten zugehaucht wird, aber er ist nur ein Werbeslogan, der den zurückgegangenen Umsatz wieder ankurbeln sollte.
De Beers ist der größte Rohdiamanten-Händler der Welt. Seit 1866 gräbt man in der eigenen Mine im südafrikanischen Kimberley nach den raren Steinen. Die Ausweitung der Schürfrechte und verbesserte Techniken erhöhten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Angebot und ließen die Preise verfallen. Neue Märkte mussten erschlossen werden: Diamanten für jeden, nicht nur die Reichen und Mächtigen. Auch amerikanische Hausfrauen, »die Gattin des Gemüsehändlers«, »die Freundin des Automechanikers« sollen sie begehren und sich wenigstens einen glitzernden Kleinkaräter schenken lassen. Zu diesem Zweck beauftragt der Monopolist De Beers 1947 die renommierte Werbeagentur N.W. Ayer & Son, Philadelphia, eine Kampagne zu entwickeln. Beim Anblick eines Diamantrings am Finger von Film- und Fernsehstars, Politikerfrauen und königlichen Hoheiten soll jedes einfache Herz höher schlagen und leidenschaftlich seufzen: »Hätt ich doch, was die da hat ...«
Mr. Cecils, Leiter der Ayer-Kreativabteilung, ist ungehalten, als ihm seine Werbetexterin Frances Gerety den Satz vorlegt, der ihr nachts eingefallen war. Der Sprachpurist findet, »A Diamond Is Forever« trete die Grammatik mit Füßen (zu »is« gehört ein Adjektiv, kein Adverb – waren das noch Sorgen ...). Dass er zu einem der bekanntesten Slogans aller Zeiten werden und eine jahrelange erfolgreiche Kampagne anführen würde, ahnt niemand.
Die Biografie von Mary Frances Gerety (1916-1999) bildet einen der fünf Handlungsstränge von J. Courtney Sullivans neuem Roman »The Engagements« (den Henriette Heise übersetzt hat). Wir begleiten sie durch ihre zähen Arbeitsjahre bei N.W. Ayer & Son, zu deren Auftraggebern auch AT&T und die US Army zählen. Wesentlich geringer geschätzt und entlohnt als ihre männlichen Kollegen, betreut Frances Gerety den Großkunden De Beers. Für ein Privatleben bleibt ihr kaum Zeit; sie ist einzig und allein mit ihrer Arbeit verheiratet. Die besteht darin, den Diamantring als zeitgemäßes Produkt zu erschaffen. Während die Haltbarkeit der Liebe abnimmt, der Wert von Verlobungs- und Eheschwüren verfällt und die Scheidungsrate steigt, wird das zum Beziehungshöhepunkt angesteckte Symboljuwel zum Prestigeobjekt und Statussymbol umgewidmet, bei dem wenigstens der materielle Wert ewigen Bestand hat.
Die vier anderen, alternierend erzählten Handlungsstränge illustrieren sozusagen die Marktpraxis. Es sind Beziehungs-, Liebes-, Verlobungs- und Ehegeschichten aus den vergangenen Jahrzehnten, in denen Diamanten ihre typischen Rollen spielen und dadurch untereinander und mit Frances Geretys Story verknüpft sind.
1972 erwarten Evelyn und Gerald, die auf viele glückliche Ehejahre zurückschauen können, ihren vierzigjährigen Sohn Teddy, der kurz vor der Scheidung steht. Evelyn will alles daran setzen, Teddy von der Trennung abzubringen, denn Julie ist der Traum jeder Schwiegermutter. Im Rückblick erfahren wir von Evelyns großer erster Liebe, dem Harvard-Studenten Nathaniel. Auch dessen Zimmergenosse Gerald liebt Evelyn, doch sie entscheidet sich für den Ersteren, der aus einfachen Verhältnissen stammt und sein Studium selbst verdienen muss. Ihre romantische Beziehung endet jäh durch einen Autounfall ...
1987 wird die Weihnachtszeit des Rettungssanitäters James und seiner Familie von Sorgen überschattet. Seine geliebte Frau Sheila wurde im Supermarkt überfallen und ihres einfachen Diamant-Verlobungsrings beraubt. Wie kann James ihre Erwartungen erfüllen und ihren Verlust ersetzen? Das Haus benötigt dringend Reparaturen, die Talente der beiden Kinder sollen gefördert werden, doch in der Kasse herrscht immer nur Flaute ...
2003 sinnt Delphine, 41, auf Rache. Aus Liebe hatte sie ihren Ehemann Henri und ihre Lieblingsstadt Paris verlassen und war zu dem wesentlich jüngeren P.J. nach Manhattan gezogen. Inzwischen hat sich der weltberühmte Geiger als ungehobelter, eingebildeter Schnösel entpuppt. Und jetzt hat sie ihn auch noch auf frischer Tat ertappt, wie er sich mit einer Nebenbuhlerin in den Daunen austobte. Das wird sie ihm heimzahlen. Er wird sein Appartement nicht mehr wiedererkennen ... Allerdings ist da noch die Sache mit dem noblen Diamantring, den schon P.J.s Mutter trug ...
2012 werden Jeff und Toby in Massachussetts heiraten. Hundert Gäste sind geladen, die Verwandtschaft ist mit Kind und Kegel angereist, darunter Jeffs Cousine Kate mit Partner Dan und dreijährigem Töchterchen Ava. Kate hasst das ganze kommerzielle Hochzeits-Brimborium. Mit dem Geld, das für diesen Firlefanz zum Fenster hinausgeworfen wird, könnte man so viel Gutes in der ganzen Welt tun. Welchen Wert allein die Ringe haben mögen, die Jeff bei einem Juwelier in Auftrag gegeben hat – womöglich stecken darin gar »Blutdiamanten«. Aber Kate will ihrem Cousin nicht die Homo-Hochzeit ruinieren; also macht sie gute Miene zum bösen Spiel, und Ava wird als Brautmädchen herausgeputzt ...
Wie ein zierlicher Springbrunnen plätschern J. Courtney Sullivans »Verlobungen« beruhigend vor sich hin, ein breit angelegter amerikanischer Unterhaltungs- und Gesellschaftsroman auf fünf Zeitschienen. Spannungsspitzen bleiben aus. Während so periphere Details wie die Bekleidung der weiblichen Sportler bei der Winterolympiade 1980 in Lake Placid ausgebreitet werden und aktuelles Zeitgeschehen (Präsidentschaftswahlen, Börsencrash, der Terroranschlag auf die Twin Towers ...) einfließt, werden brisante Themen wie das der »Blutdiamanten« allenfalls angetippt. Die gesellschaftlichen Umbrüche im Laufe der Jahrzehnte werden an kleinen Details sichtbar: ohne Brautunterricht keine Heirat; nur Männer können die Scheidung einreichen; schwarz-weiße Mischehen werden erst 1967 zugelassen; gleichgeschlechtliche Eheschließungen sind heute nur in wenigen amerikanischen Bundesstaaten möglich.
Besonders aufschlussreich sind kurze Auszüge aus Ayer-Dokumenten, die Einblick in die Faktenbasis und die Strategie des Werbeunternehmens geben, wie beispielsweise interne Memos und Jahresberichte für De Beers. Da werden finanzielle Margen ausgelotet: »Zwei Monatsgehälter ist eine Richtlinie, die zugleich Einkommensunterschiede beachtet und den Mann dazu anregt, mehr auszugeben«, hieß es 1990.
Die leitende Protagonistin Frances Gerety verkörpert die emanzipierte Frau ihrer Zeit. »Sie wollte sie selbst bleiben ... für niemanden das Hasilein sein.« Mit einer Heirat ging das damals nicht zusammen, ebenso wenig wie Frau und Berufswelt. Während ihre männlichen Kollegen Anerkennung einheimsen, zu De Beers nach Südafrika eingeladen werden und wertvolle Präsente erhalten, hat Frances einen schweren Stand. Erst 1988, als man in London »Fifty Years of Ayer & De Beers« feiert, wird der 72-jährigen Ruheständlerin späte Ehre zuteil.