Seine pragmatische Lordschaft laden zum Jagen
Mögen Sie die schottischen Highlands, ihren herben Charme und ihre knorrigen Bewohner? Oder hegen Sie zumindest Sympathien für das betuliche Wesen und den hintergründigen Humor britischer TV-Krimiserien vom Schlag eines Inspector Barnaby? Dann wird Ihnen der Debütroman von Isabel Bogdan gefallen. Sie ist Expertin für literarisch verfeinerte britische Lebensart, hat sie doch preiswürdige Leistungen als Übersetzerin aus dem Englischen abgeliefert, beispielsweise Jane Gardams »Ein untadeliger Mann« (› Rezension).
Für ihre erste Eigenkreation hat Isabel Bogdan eine ganze Reihe geläufiger Zutaten zu einer Melange verquirlt, die nett und anstrengungsfrei unterhält. Sie führt uns nach Schottland (»oben in dem kleinen Tal am Fuße der Highlands« – mehr Geodaten braucht es nicht, um alles zu evozieren, was zum Topos gehört) in das weitläufige Anwesen (anderthalb Meilen vom Pförtner- bis zum Herrenhaus) einer Familie von nicht minder weitläufigem Adel (zum McIntosh-Clan aus dem 12. Jahrhundert gehörig). Da tragen selbst die Hunde royale Namen (Victoria und Albert).
Damit der narrative Haggis nicht zu dickflüssig gerät, wird etwas Moderne beigemischt: Lord Hamish McIntosh hat einen bürgerlichen Brotberuf (Altphilologe). Lady Fiona McIntosh repariert die Hauselektrik selbst (!), denn sie ist Ingenieurin (!) für Windkraftanlagen (!). Um alles Grobe, das im Freien anfällt, kümmert sich Ryszard, ein zuverlässiger junger Pole (grenzenloser EU-Arbeitsmarkt!). Unter den Dächern der zahlreichen Gebäude hält die fidele Haushaltshilfe Aileen den Laden am Laufen.
Wie wir spätestens in Downton Abbey gelernt haben, werfen solche Domizile schon lange nicht mehr den Preis für ihre Erhaltung ab. Neben dem schnöden Job muss sich der Adel weitere Verdienstquellen ausdenken. Wie viele ihrer Artgenossen haben auch die materiell ausgetrockneten McIntoshs ihre seit vielen Jahrzehnten verlotternden Wirtschaftsgebäude, Scheunen und Hütten mit notgedrungen minimalem Aufwand zu Feriencottages für Selbstversorger aufgepäppelt. Was die Besucher dort erwartet (oder eben nicht), führt uns die anglophile Autorin feinsinnig und mit wunderbarer leiser Ironie vor Augen. Glücklicherweise stört sich die avisierte Gästezielgruppe prinzipiell nicht an den Unzulänglichkeiten ihrer Ferien auf dem Bauernhof. Sie schätzen vielmehr die Urtümlichkeit, Ruhe und Naturnähe. Wer will da schon Fernsehen, Handy oder Internet?
Passend zu diesem Ambiente hat sich Isabel Bogdan eine Handlung ausgedacht, die keine verwirrenden Haken schlägt, nicht durch Spannungsgipfel den Blutdruck erhöht noch unkontrolliert Emotionen aufwirbelt. Dafür gibt es jede Menge Anlässe zum Schmunzeln über den launigen Erzählstil und die vielfältigen Charaktere, und man kann eine winzige Spur von Krimirätsel ausmachen.
Was also geht vor auf dem abgelegenen Landsitz von Lord Hamish McIntosh und Lady Fiona? Ihr Schicksal nimmt einen unerwarteten Lauf, nachdem seine Lordschaft auf die Idee verfiel, zur Unterhaltung der zahlenden Gäste ein paar Pfaue zu erwerben, auf dass sie sommers Räder schlagend auf der riesigen Rasenfläche umherstolzieren. Allerdings gerät einer der Vögel vom rechten Weg ab. Sei es, dass er schlecht sieht oder ein pubertärer Hormonschub ihn in die falsche Richtung drängt: Er stürzt sich in der Annahme, es handle sich um einen Rivalen, der ihm seine Hennen abspenstig machen könnte, auf alles, was blau ist und glänzt, und hackt kreischend und Flügel schlagend darauf ein. (Unglaublich? Die Autorin macht geltend, dem Phänomen in natura begegnet zu sein.)
Solange der juvenile Hahn seinen Sturm und Drang an einer blauen Mülltonne oder einer dekorativen blauen Keramikkugel austobt, mögen sich die Menschen ja über ihn erheitern. Wenn er aber einem Gastkind das blaue Spielzeug aus den Händen pickt, ist Schluss mit lustig. Und er überschreitet endgültig die Grenzen des guten Geschmacks, wenn er sich mit der metallicblauen Motorhaube einer Gästelimousine anlegt. Die zwangsläufig daraus resultierenden Schadensausgleichsleistungen bringen außerdem das Investitionsmodell der McIntoshs in Schieflage.
Das Problem erreicht ungeahnte Dimensionen, als im Beherbergungsunternehmen ein ganz dicker Fisch anbeißt. Das Management der Investmentabteilung einer Londoner Privatbank mietet für ein verlängertes Wochenende den Westflügel des Herrenhauses an, um in aller Ruhe seine Teambuilding-Kompetenzen zu optimieren. Wie die übermotivierte Psychologin gleich am ersten Abend eine Arbeitssitzung durchzieht und vor dem prasselnden Kaminfeuer ihre Banker-Eleven mit allerlei Nützlichkeiten aus ihrem Moderatorenkoffer überfällt, ist eine hübsche Karikatur von aufgeblasenem Beratungsgedöns unter gruppendynamischen Gesichtspunkten. Und des Nachts prickelt es im Hot Tub, was der alte Boiler hergibt …
Die Banker könnten zufrieden sein und die McIntoshs ihr Anwesen als Tagungsoase fürs Big Business etablieren, wenn nur das Auto der Abteilungsleiterin nicht so strahlend blau wäre. Der einfachste Ansatz, um dem irren Pfau seine Manie auszutreiben, betrifft freilich den Übeltäter selbst. Wo kein Vogel, da keine Randale, lautet die schließlich realisierte pragmatische, wenn auch radikale Lösung. Im Gegensatz zu uns erschließen sich die damit verbundenen Vorgänge und Konsequenzen den vor Ort Anwesenden nicht auf Anhieb, wodurch sich weiterer Lesespaß ergibt.
Isabel Bogdan serviert uns eine harm- und anspruchslose Wohlfühlgeschichte mit schottischem Flair, die gut und amüsant unterhält, ohne je die Contenance zu verlieren. Leider traut sie ihrer Leserschaft keine sonderliche Kombinationsgabe zu. Sie geht lieber auf Nummer sicher, indem sie die Ereignisse aus wechselnden Perspektiven auftischt (witzig: auch als Hund darf man miterzählen). So bleibt garantiert kein Gänseschiss unbeachtet, aber mancher Leser könnte bei der dritten Erwähnung versucht sein, das Buch entnervt zuzuschlagen. Was übrigens nicht schlimm wäre, denn dann könnte er die elegante Gestalt des tragischen Helden auf dem Cover bewundern. Eindrucksvoll schimmert sein Federkleid als dekoratives Farbspiel in metallischem Blau und Rot auf weißem Untergrund. Schirm, Teetasse und ein Gewehr symbolisieren, wo es lang geht.