Rezension zu »Amandas Suche« von Isabel Allende

Amandas Suche

von


Kriminalroman · Suhrkamp · · Gebunden · 479 S. · ISBN 9783518424100
Sprache: de · Herkunft: us

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Sechs Freunde und ein Phantom

Rezension vom 03.09.2014 · 15 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

Immer wenn der Vollmond leuchtet, schlägt er zu, der skrupellose Se­rien­mör­der, der mit perfiden Ritualen die Leichen seiner Opfer schändet. Den Wach­mann Ed Staton fanden Viertklässler am Morgen in der Turnhalle ihrer Schule, da lag er tot auf dem Seitpferd, sein Hinterteil entblößt, darin der Griff eines Base­ball­schlä­gers. Doris und Michael Constantes entdeckte eine Nachbarin tot in ihren Ehebetten; mit einem Bunsenbrenner hatte der Mörder Brandzeichen auf ihrem Gesäß hinterlassen. Den Psychiater Richard Ashton hatte er geknebelt und ge­fes­selt, um dann tödliche Stromschläge durch den Körper zu jagen und mit einem Skalpell ein Ha­ken­kreuz in die Brust zu schneiden.

Was treibt diesen Menschen? Wen hat dieses Monster für seine nächste Aktion auserkoren? Welche Ver­bindungen bestehen zwischen den Opfern, die vielleicht endlich Rückschlüsse auf den Täter zulassen?

Während die Polizei in San Francisco unter Leitung des Enddreißigers Bob Martín noch ziemlich im Dunk­len tappt, nimmt sich eine ungewöhnliche Gruppe junger Bürger des Falls an, die sich zu einem Rol­len­spiel im Internet zusammengefunden haben. Sie beschäftigen sich virtuell mit den Geheimnissen um Jack the Ripper und wollen nun dem realen Killer auf die Spur kommen.

»Ripper« nennen sich die sechs jungen Leute, die rund um den Globus verteilt vor ihren PCs hocken und sich zu Videokonferenzen verabreden. Ihre Anführerin und Spielleiterin ist Bob Martíns siebzehnjährige Tochter Amanda Martín, hochintelligent, selbstständig und selbstsicher, Vegetarierin und Leseratte mit Vor­liebe für skandinavische Krimis. Bislang hat sie nicht viel darauf gegeben, was ihre exaltierte Paten­tante Celeste Roko ihr zu allem und jedem ins Gewissen redet, nachdem sie die Sterne befragt und Horo­skope erstellt hat. Als Kind erhielt Amanda Ballettstunden statt des ersehnten Skateboards, nur weil die Sterne das geboten. Aber etwas muss doch dran sein an Tantchens Prophezeiungen, die sie der Bevölke­rung all­mor­gend­lich vor dem Wetterbericht im Fernsehen verkündet. Sie hatte Wochen vorher angekün­digt, dass ein Blutbad über San Francisco hereinbrechen werde ...

Was für ein verheißungsvoller Plot für einen spannungsgeladenen Thriller mit originellem Personal! »Aman­das Suche« ist Isabel Allendes Debut in diesem Genre. Wie sie in ihrer Danksagung am Ende des Romans verrät, wollte sie die Geschichte ursprünglich »vierhändig« mit ihrem Ehemann Willie Gordon, Rechts­an­walt und Krimi-Autor, schreiben, ließ dann aber von dem schwierigen Vorhaben ab, an dem eine Ehe leicht zer­bre­chen könnte ...

So hat sich Allende auf ihr eigenes Können besonnen. Die bekannte detailverliebte, eingängige Erzählwei­se begeistert den klassischen Allende-Verehrer. Den Krimi-Fan wird hingegen auf den gut dreihundert Sei­ten weit und breit keine Spur von Nervenkitzel seines Atems berauben.

Unzählige Figuren werden dem Leser vorgestellt, darunter (außer Amanda und ihrem Großvater) keine, wie man sie aus seinem durchschnittlichen Bekanntenkreis kennt. Jede in diesem Panoptikum ist auf ihre Art ab­son­der­lich, körperlich versehrt, seelisch oder charakterlich gestört. Amandas Spielgruppe ist quasi re­prä­sen­ta­tiv besetzt:
• Ein Junge ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.
• Ein anderer wird derart von Ängsten gepeinigt, dass er seit zwei Jahren einsam und allein in seinem Zim­mer haust und es nur verlässt, um die Toilette aufzusuchen.
• Eine Neunzehnjährige leidet an Bulimie.
• Ein dreizehnjähriger afroamerikanischer Waisenjunge lebt in einem Institut für Hochbegabte.

Amanda ist ein Scheidungskind. Nach der Pubertät in die Höhe geschossen, hat sie sich einen schlur­fen­den Gang angewöhnt und trägt Klamotten aus dem Second-hand-Laden. Ihre freien Wo­chen­en­den ver­bringt sie abwechselnd bei Mutter Indiana oder bei Vater Bob. Der liebt seine hübsche Tochter, vertraut ihr, lässt sie in den Polizeiakten lesen, beherzigt ihre Ratschläge. Aber er ist bin­dungs­un­fä­hig und stürzt sich alle 28 Tage in eine neue Beziehung. Als er Amandas Mutter schwängerte, damals die »wandelnde Un­schuld« der Highschool, war er ein Dämon, verloren im Rausch der Liebe, des Alkohols, der Drogen.

Mama Indiana, 33, ist in der Hippie-Zeit steckengeblieben und mit ihrem »ausladenden Sopranistinnen­busen«, blonder Mähne, übertriebener Kurvigkeit geradezu eine Karikatur, die »an die eher komische Sinn­lich­keit der Chicagoer Gangsterboss-Geliebten aus Filmen der sechziger Jahre« erinnert. Ihr Helfer­syn­drom zwingt die spirituelle Samariterin, jedem Pechvogel, der ihren Weg kreuzt, Beistand zu leisten. Etwas Geld verdient sie als »Heilerin ... in Büro 8 ... der berühmten ›Ganzheitlichen Klinik‹«, wo jede Menge Pa­tien­ten in den Genuss ihrer Talente kommen: »Intuitive Massage, Reiki, Magnet-, Kristall-, Aro­ma­the­ra­pie«. Einer ihrer Klienten, dessen Verspannungen und Krämpfe sie lösen zu können hofft, ist Navy Seal Ryan Miller, schwer traumatisiert vom Afghanistan-Einsatz und beinamputiert. In dieser Häu­fung von Biografien voller Verletzungen, Verängstigungen und Zwängen schimmert ein kritisches Porträt der USA im Kampf gegen das Böse im Innern und in der Welt durch.

Aber so richtig entschieden ist die Autorin nicht, ob sie nun einen Thriller, eine Gesellschaftsstudie, ein Ju­gend­por­trät, eine Medienkritik oder einfach nur gute Unterhaltung zu produzieren beabsichtigt. Für das eine fehlt der Thrill, für das andere die Schärfe. Einerseits erinnert eine der Figuren, Opfer weiblicher Ge­ni­tal­ver­stüm­me­lung aus Afrika, überdeutlich an den Fall von Waris Dirie, Menschenrechtsaktivistin und UN-Son­der­bot­schaf­te­rin somalischer Herkunft, was die Messlatte der seriösen Ambitionen hoch hängt; an­de­rer­seits geben sich so viele kuriose Freaks die Türklinke in die Hand, dass es einfach nur zum Staunen, wenn nicht zum Schmunzeln ist; das wiederum lässt manch ernsten Ansatz als bloße Effekthascherei er­scheinen ...

Wahre handwerkliche Meisterschaft beweist die routinierte Schriftstellerin, als sie (bei bereits weit fortge­schrittener Handlung) Amandas Mutter in die Hände des Psychopathen fallen lässt. Da drehen Spannung und Tempo des Romans richtig auf, es kommt zu einem Wettlauf mit der Zeit. All die zuvor fein gespon­ne­nen Fäden und vielen Figuren fügt die Autorin stimmig zusammen.

Fazit: Isabel Allendes erster Krimi ist lesenswert, weil er kurzweilig und originell unterhält, aber weder Plot noch literarischer Anspruch reichen an die Qualitäten ihres Erstlingswerks, des legendären Weltbestsellers »Das Geisterhaus«, heran. »Amandas Suche« könnte gut und gerne als Jugendbuch durchgehen, handelt es sich doch im Kern um eine moderne Variante des alten Musters »Beherzte Tochter mit guten Freunden rettet ihre Mama«. Keine Sorge: Die grausamen Morddetails werden lediglich benannt, nicht nach skan­di­na­vi­scher Art ausgebreitet, bis das Lesen schmerzt. Selbst der Trailer zum Buch (auf der Promotion-Seite des Suhrkamp-Verlags zu besichtigen) ist betulich. Neben Katze (»Rettet-den-Thunfisch«) und Hund (»At­ti­la«, für den Einsatz mit Nachtsichtbrille ausgebildet) bietet der Roman humorvolle Passagen mit ju­gend­li­chem Wohl­fühlcharakter, wie etwa einen bei Facebook initiierten Rave und das neckische rituelle Ge­plän­kel, mit dem sich Amanda und ihr fürsorglicher Großvater Blake voneinander zu verabschieden pflegen: »›Hast du mich lieb, Opa?‹ – ›Nein.‹ – ›Ich dich auch nicht.‹«

Das Buch ist zuerst als spanischsprachige Ausgabe »El juego de Ripper« Isabel Allende: »El juego de Ripper« bei Amazon in den USA erschienen (die Svenja Becker ins Deutsche übersetzt hat), dann auf Englisch unter dem Titel »Ripper« Isabel Allende: »Ripper« bei Amazon .


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