Rezension zu »Das geträumte Land« von Imbolo Mbue

Das geträumte Land

von


Belletristik · Kiepenheuer & Witsch · · 423 S. · ISBN 9783462047967
Sprache: de · Herkunft: us

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Zuckerguss über zerbrochene Träume

Rezension vom 09.06.2017 · 4 x als hilfreich bewertet · noch unkommentiert

In Kamerun »muss man als jemand geboren werden, damit man jemand werden kann«. Da hat Jende Jonga Pech, denn er ist ein »Niemand«. Aber in Amerika, wo ein Farbiger bald Präsident werden will, müsste doch auch er eine Chance haben, ein »ange­sehener Mann« zu werden. Warnende Stimmen ignorie­rend, lässt er mutig seine Heimat hinter sich, um mit Frau Neni und Söhn­chen Liomi eine bessere Existenz im Land der Träume anzu­streben.

Gut zwei Jahre hält die Familie in New York City durch, bis Wermuts­tropfen auf Wermuts­tropfen ihre Zuver­sicht vergällt. Den letzten Schlag fügt ihnen der Börsen­crash 2008 zu. Was die Wirt­schaft weltweit in Turbu­lenzen stürzt und viele, viele Menschen um Job und Wohl­stand bringt, kostet auch Jende den Arbeits­platz, darüber hinaus das letzte Quänt­chen Hoff­nung und Würde, und er kehrt mit seiner Familie – inzwi­schen wurde noch ein Mädchen geboren – nach Kamerun zurück.

Bis auf die letzten beiden Schritte teilt die Autorin Imbolo Mbue das Schicksal ihrer Protago­nisten. Wie Jende wurde sie 1982 in Limbé, Kamerun, geboren, zog etwa zur gleichen Zeit wie er in die USA, verlor durch das Wall-Street-Debakel ihre Arbeit. Doch statt aufzu­geben und nach Afrika zurück­zugehen, schloss sie ihre Universitäts­studien ab und begann, ihren ersten Roman zu verfassen. Als sie für »Behold the dreamers« Imbolo Mbue: »Behold the dreamers« bei Amazon einen zahlungs­freudigen Groß­verlag fand, war der Durch­bruch geschafft. Jetzt können wir das weniger glück­liche Pendant ihrer eigenen Migranten-Erfolgs­geschichte auch auf Deutsch lesen (Über­setzung: Maria Hummitzsch). Darin entzaubert sie den American Dream in Zeiten hemmungs­loser Gier als große Illusion und Amerika als Land der Alb­träume, und das, ohne irgend jemandem weh zu tun.

Familie Jonga lässt sich im Stadtteil Harlem nieder, beantragt Asyl und tut alles, um in der amerika­nischen Gesell­schaft aufge­nommen zu werden. Tatsäch­lich eröffnen sich im Herbst 2007 rosige Perspek­tiven, als Clark Edwards, ein hohes Tier bei Lehman Brothers, Jende als Privat­chauffeur einstellt und gut bezahlt. Gewissen­haft und will­fährig tut Jende seine Pflicht und erwirbt sich bald das Vertrauen seines Brötchen­gebers. Wenn die beiden in ihrer Limousine durch New York gleiten, reden sie über Gott und die Welt, und zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine gewisse Intimität, die ihnen Einblicke in Menta­lität und Welt­bild des anderen gewährt.

Natürlich leben sie auf entgegengesetzten Polen der amerikanischen Gesell­schaft. Familie Edwards (Clark, Gemahlin Cindy, ein schul­pflichtiger und ein studie­render Sohn) residiert mit in einem Luxus­apartment an der Upper East Side und schwelgt im Wohlstand. Die Jongas hausen in einer ärm­lichen Wohnung voller Unge­ziefer. Neni rackert sich zehn Stunden pro Arbeits­tag als Pflege-Hilfskraft ab, erledigt am Abend die Haus­arbeit und hilft dann Liomi bei den Hausauf­gaben, auf dass er es einmal besser habe als seine Eltern: Arzt ist ihm als Fernziel gesteckt. Wenn er einge­schlafen ist, büffelt Neni noch ein paar Stunden für ihre eigene Fort­bildung, denn sie möchte Apotheke­rin werden. Trotz aller Plackerei muss die Familie jeden Cent drei Mal umdrehen, um über die Runden zu kommen.

Im Sommer verzahnen sich die beiden konträren Lebens­sphären noch enger, denn Neni zieht mit Cindy ins Ferien­anwesen in den Hamptons. Dort über­nimmt sie gern, was im Haus und am Pool an Arbeit anfällt. So wie sich Jende bei Clark akzep­tiert fühlt, kann Neni kaum fassen, wie freund­lich die weißen upperclass-Ladies sie behandeln und ihr Kompli­mente machen. Aber ihr bleibt auch nicht verborgen, dass Cindy unglück­lich ist.

Eigenartig, wie starrköpfig – oder naiv – die Jongas an ihren Träumen fest­halten. Schon Jendes Cousin, der bereits länger in Amerika lebt und die Anreise seiner Ver­wandten finan­zierte, hat nie einen Hehl aus seiner Über­zeugung gemacht, dass die über­mächtigen Weißen kein Jota ihres Ein­flusses oder Be­sitzes hergeben würden, um anderen Gruppen wirkliche Aufstiegs­chancen einzu­räumen. Und obwohl Jende, während sein Chef im Fond immer nervöser tele­foniert, ganz unbeab­sichtigt brisante Insider-Informa­tionen zuteil werden (»das Schiff sinkt«), entwickelt er kein Gespür, dass sich eine gewal­tige Krise anbahnt.

Nicht einmal Jendes Ohnmacht gegenüber der anonymen, scheinbar will­kürlich agie­renden Gerichts­barkeit trübt sein Vertrauen, er könne im Land of the Free ein kleines, aber ge­sichertes Glück finden. Unein­sehbar wie hinter kafka­esken Palast­mauern zieht sich das Ver­fahren um eine dauer­hafte Aufent­halts­genehmi­gung über zwei Jahre hin, bis den Jongas das Urteil zuge­stellt wird. Mit dem Börsen­crash bricht alles zusam­men, im Großen wie im Kleinen. Jende verliert seinen Job, Clark orientiert sich neu, die zaghafte Bindung zwischen den un­gleichen Familien zer­reißt.

Bei der Kontrastierung der beiden Milieus lässt die Autorin keinen Aspekt und kein Klischee aus. Das strah­lende Leben der erfolg­reichen Weißen ist pure Fassade. Während work­aholic Clark ganz für seine Firma lebt und die Familie vernach­lässigt, lang­weilt sich seine Frau im mate­riellen Über­fluss und betäubt ihr sinn­leeres Allein­sein mit Alkohol und Medika­menten. Der ältere Sohn schmeißt, ange­widert vom väter­lichen Karriere- und Gewinn­streben, sein Jura­studium und begibt sich auf einen Selbst­findungs­trip (nach Indien, wohin sonst?). Geld macht also nicht glücklich – wer hätte das gedacht?

Dagegen lebt das schwarze Ehepaar trotz seiner Sorgen um die unge­wisse Zukunft in einer glück­lichen Partner­schaft – arm, aber edel. Indem Nemi an Selbst­bewusst­sein gewinnt, distan­ziert sie sich von den Tradi­tionen ihrer afrika­nischen Herkunft, denen gemäß zum Beispiel der Mann in wich­tigen Angelegen­heiten über seine Frau bestim­men kann. Dies führt zu einem drama­tischen, aber kurzen Konflikt, als sich ihre Lage zuspitzt und Jonga die Rück­kehr nach Kamerun beschließt. Als Neni sich mit recht unaus­gegore­nen Vor­stellun­gen, wie sie mit den beiden Kindern in Amerika bleiben könne, wider­setzt, fällt Jende in alte Rollen­muster zurück und wird – aus Verzweif­lung, verletz­ter Ehre, Scham und Hilf­losig­keit – hand­greif­lich. Doch sogleich bereut er dies zutiefst, und man versöhnt sich wieder.

Ebenfalls eigenartig: In Mbues Romanwelt tritt kein einziger Fiesling auf. Ihre Figuren sind durch­weg liebens­wert. Auch Clark Edwards ist keiner von den Uner­sätt­lichen. Schon früh­zeitig warnt er seinen Vorge­setzten, die Lage der Nation sei ernst, man müsse »unsere Lang­zeit­strate­gie ändern«. Wie er seinem Fahrer offen­bart, wäre er ohnehin am liebsten ein anderer Mensch – und trägt ihm ein selbst verfasstes Gedicht vor. Reich und edel.

Die afrikanische Migranten-Familie scheint dem Handbuch der Weißen für perfekte Ein­wande­rer ent­sprungen zu sein. Ohne Fehl und Tadel werkeln sie fleißig und zuver­lässig an ihrer Zukunft, versor­gen mit ihrem kleinen Ein­kommen die Ver­wandten in der Heimat und legen über­dies noch Not­groschen zur Seite, um nieman­dem zur Last zu fallen. Ergeben nehmen sie alles hin, was auf sie zukommt, fügen sich in ihre kärg­lichen Umstände, klagen nicht über die ihnen verwei­gerten Rechte. Dass Jende, der gute Vater und liebende Ehe­mann, für einen Moment die Selbst­beherr­schung verliert, als die herzlose Realität seine Familie einholt, fügt dem Zuviel an Gutem ein geradezu wohl­tuendes bitteres Bei­ge­schmäck­le hinzu, und auch Neni darf sich wenigs­tens eine frag­würdige Episode erlauben.

Trotzdem ist Imbolo Mbues Romankonzept nicht einfach naiv. Sie hat viel­mehr Verständ­nis und Mitge­fühl für ihre Charak­tere, wie sie sich redlich bemühen, ihre Träume zu realisie­ren, aber zu spät erkennen, dass sie zweifel­haften Idealen nach­jagen. Die einen wie die anderen malen sich ihre Welt schön und bemer­ken gar nicht, wie die Rea­lität sich verschlim­mert – bis die Katastrophe sie endlich aufweckt und ihre Illusio­nen platzen lässt. Es gibt genug Analysen und fiktionale Werke, die auf­decken, dass solche Entwick­lungen nicht vom Himmel fallen, sondern zum Schlech­teren oder Besseren beein­flusst werden können. Imbolo Mbue aber stellt keine Verant­wort­lichen bloß, verzich­tet auf jegliche konkrete Kritik, legt keinen Finger in die Wunde des Rassis­mus, deckt keine Miß­stände auf, wie recht­lose Ein­wande­rer als billige Arbeits­kräfte ausge­beutet und dis­krimi­niert werden. So ist »Das geträumte Land« nicht mehr als eine allzu leichte, dazu auch sprach­lich schlichte Unter­haltungs­lektüre.


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