Auf Regen folgt Sonnenschein
Lisa sitzt am Frühstückstisch. Ehemann Jake haucht ihr etwas linkisch einen zarten Abschiedskuss zu und bricht dann zu seinem Arbeitstag in der Bank auf. Anmerken lässt sie sich nichts, aber einen Stich versetzt es ihr schon, dass er nach 24 Ehejahren offensichtlich ihren Geburtstag vergessen hat. Es ist ihr fünfzigster.
Viel Aufhebens will sie um die runde Zahl nicht machen. Es gibt so viele Gründe, dem Schicksal einfach nur dankbar zu sein. Sie hat eine Brustkrebserkrankung überwunden, als Schriftstellerin ist sie »halbwegs erfolgreich«, und sie fühlt sich wohl mit Jake in der feinen Wohnung auf der Upper East Side in New York. Sohn Ted studiert Architektur in Australien, das Verhältnis zu Tochter Portia, die sich nach Santa Monica abgesetzt hat, ist etwas angespannt, aber nicht zerrüttet.
Lisa schenkt sich selbst einen schönen Tag: Kunst und Kultur im MoMA, Körper- und Seelenpflege bei einer Entspannungsmassage. Bei ihrer Rückkehr nach Hause erwartet sie eine doppelte Ration Unvorhergesehenes ...
Überraschung 1: Nicht nur Sohn und Tochter sind angereist, sondern selbst ihre ältere Schwester Maxine und deren Ehemann Gordon aus Australien, die einen Kreuzfahrt-Zwischenstopp nutzen konnten. Auch ihre Verlagslektorin Vanessa ist da – nicht um, wie üblich, wegen des Abgabetermins für den neuen Bestseller Druck zu machen, sondern um mit ihr zu feiern. Jake, der immer so unselbständig wirkt, hat sogar einen Caterer engagiert. Lisa ist hin- und hergerissen, gerührt und beschämt. Wie oft hat sie ihm in letzter Zeit Vorhaltungen gemacht, weil er nur für seine Arbeit lebte, oft spät nach Hause kam und sogar übers Wochenende zu Tagungen reisen musste. Jetzt muss sie ihrem liebevollen »Romantiker« und fürsorglichen »Zauberer« verzeihen und danken.
Überraschung 2: An der Tür wird ein gigantischer Korb voller roter Rosen abgegeben. Während Lisa ihn überglücklich entgegennimmt, aus dem beiliegenden Umschlag eine herzförmige Karte zieht und vorzulesen beginnt, entfärbt sich Jake und verfällt in Schockstarre: »Für meine liebste ... Belle ... Ich kann es kaum erwarten, bis wir endlich für immer zusammen sind. Dann kann ich jede Nacht meinen Kopf zwischen deine Beine wühlen ... Ich liebe dich, Jake«. Lisa kennt die wahre Adressatin; es ist die Blondine mit dem »Riesenvorbau und den Gazellenbeinen« aus der Personalabteilung von Jakes Bank. Schade, der Blumenladen hat das üppige Bouquet an die falsche Adresse geliefert ...
Die Peinlichkeit im Kreis allerliebster Gäste bedeutet verständlicherweise das Ende der Ehe. Mit diesem Unhappy End nimmt Helen Browns Unterhaltungsroman »Tumbledown Manor« (übersetzt von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck) seinen Anfang. Doch keine Sorge: Nach zahlreichen Turbulenzen wird er mit einem Happy End schließen.
Für Lisa ist das Beziehungsdesaster die Chance, ihr Leben völlig neu zu ordnen. Sie kehrt in ihre Heimat Australien zurück, ankert zunächst bei Schwester und Schwager in Melbourne, wo auch Sohn Ted nicht weit entfernt wohnt. Eine Dauerlösung kann das natürlich nicht sein, zumal sich Lisa von Maxine bald übermäßig behütet und beraten fühlt. Sie braucht Unabhängigkeit und absolute Ruhe, um endlich ihren Roman über das Leben der Schwestern Emily, Anne und Charlotte Brontë fertigzustellen.
Nachdem die Scheidung formal vollzogen ist, begibt sich Lisa mit Maxine und Fachmann Ted im Schlepptau auf Wohnungssuche. Im Büro einer Maklerin wartet der schicksalhafte Zufall: Trumperton Manor steht zum Verkauf. Es ist der alte Wohnsitz ihrer Familie, denn Lisa ist eine geborene Trumperton, und unter diesem Namen veröffentlicht sie auch ihre Bücher. Allerdings ist das Anwesen über die Jahrzehnte restlos heruntergekommen und müsste aufwändig renoviert werden – Kosten, die Lisa mit ihren Einnahmen als Autorin und den geringen Zuwendungen ihres Exmannes kaum wird stemmen können. Doch als alle, insbesondere Sohn Ted und sein Freundeskreis, ihre Unterstützung zusagen, unterschreibt Lisa den Kaufvertrag.
Die Nachbarschaft beobachtet Lisa zunächst mit Skepsis, nimmt sie aber unter Wahrung kritischer Distanz auf. Bald hat sie die Herzen aller erobert. Als ein verheerender Buschbrand seine Spur übers Land zieht, rettet Lisa ihre Nachbarn, zwei kauzige ältere Leutchen, aus ihrem von den Flammen umzingelten Haus.
Nach und nach wird Trumperton Manor in einer Art Nachbarschaftshilfe – »Grey Army« nennt sich die Truppe – instandgesetzt. Zur Mannschaft gehört ein anziehender, unkonventioneller Mann: der Landschaftsgärtner Scott. Ein bisschen versetzt sein Anblick Lisas Blut in Wallung. Doch da er bereits vergeben ist, macht sie sich keine Hoffnungen – und außerdem hält er nie eine Verabredung ein, ist unpünktlich, unzuverlässig ...
Lisas Forschergeist erhält neue Nahrung, als sie herausfindet, dass auf Trumperton Manor ein dunkles Geheimnis liegt. Es handelt sich um eine gruselige Familiengeschichte aus den Anfängen, als Urgroßvater Alexander hier mit seiner Frau lebte.
So plätschert der Roman leichtfüßig, unaufgeregt und ziemlich seicht vor sich hin und lässt ungern ein Klischee aus, wo eins am Wegrand steht. Ob da im Plot alles zusammenpasst, sollte man besser nicht nachhaken. Was, zum Beispiel, tut ein Ehemann, dessen Sexaffäre soeben allgemein bekannt wurde, als Allererstes? Entschuldigungen stammeln, ein mannhaftes Bekenntnis abgeben, fassungslos den Raum verlassen ... alles denkbar. Jake jedoch »kramte nach dem Handy in seiner Jackentasche«. Ah, sicher ruft er klammheimlich Belle an, um seine Flucht vorzubereiten? Mitnichten: Alle Geburtstagsgäste hören zu, wie er – die Blumenhändlerin für ihren Fehler zusammenstaucht! Der Mann hat Nerven ...
Selbst die Protagonistin kann als Charakter nicht überzeugen. Die kultivierte, belesene Schriftstellerin, die intensiv über die Brontë-Schwestern gearbeitet und lange Jahre im Kulturbetrieb der Metropole New York mitgemischt hat, ist in ihrem Privatleben von Blindheit geschlagen. Ob Jakes Affäre mit Belle, die Bulimie-Erkrankung ihrer Tochter Portia oder die homosexuelle Neigung ihres Sohnes Ted, dessen Freund beständig um ihn herumscharwenzelt – die weltfremde Erfolgsautorin begreift immer erst, was los ist, wenn sie förmlich mit der Nase darauf gestoßen wird.
Zu allem Überfluss wirkt auch Helen Browns Stil arg gekünstelt. Gerne trägt sie dick auf, und das bekommt manchen Sprachbildern gar nicht: »Lisa die Irre trommelte mit den Fäusten gegen Jakes Brust. Dann schwebte ein gigantischer Emu herbei, zog sie von Jake weg und legte schützend seine Flügel um sie.« Der Emu ist Schwester Maxine, und Tiere scheinen Helen Browns bevorzugte Bildspender – leider nicht in der folgenden nicht ganz geschmackssicheren Passage: »Das Einzige, was den Anblick trübte, war das aberwitzig große Loch für den Pool, er war mindestens drei Meter tief und hatte die Ausmaße eines Massengrabs.«
Na gut, betrachten wir den Titel dieses harmlosen Schmökers für den Sommerurlaub als Programm: »Glück mit kleinen Fehlern« ...