Unschuldige Kinder in den Händen eines Psychopathen
Es gibt unzählige Kriminalromane, die Kindesentführung, Kindesmissbrauch und Mord thematisieren. Da ist es schwer für einen Autor, neue, unverbrauchte Handlungsmuster für einen Roman zu entwickeln. Die wahre Schreibkunst schafft es, dass sie nicht konstruiert wirken.
Hanna Winter hat sich darum redlich bemüht. Sie führt den Leser direkt an einen grausigen Ort. Nach einem Streit mit ihrem Freund Lars springt Anne aus dem Auto und läuft kopflos in den düsteren Wald. An einem einsamen Bungalow bittet sie um Hilfe. Sie hätte besser nicht an der Tür geklopft, denn ein harter Schlag lässt sie niedersinken. In einem dunklen Verlies kommt sie wieder zu sich. Neben ihr liegt ein kleiner Junge, vier Jahre alt, übersät mit zahlreichen Schnittwunden. Als er am nächsten Tag verschwunden ist, hat sie kaum Hoffnung, hier je wieder lebend herauszukommen.
Welches Motiv treibt den Mann, dass er Anne und weitere Erwachsene gefangen hält, um sie auf bestialische Weise zu töten? Welches Leid, welch traumatischer Schmerz wird den hilflosen kleinen Würmchen zugefügt?
Kommissar Piet Karstens und seine Kollegin Frauke Behrendt besuchen Fiona Seeberg und ihren Verlobten, Adrian Riedel. Vor zwei Jahren hatten sie im Fall ihrer zweijährigen Tochter Sophie ermittelt, die spurlos von einem Spielplatz verschwunden war. Und nun hat der Serientäter den vierjährigen David aus einem Schwimmbad entführt, und noch weitere Kinder werden sein Opfer. Eine weiße Lilie wird den betroffenen Eltern zugestellt. Der Leser ahnt, dass die zwei begonnenen Handlungsstränge zusammenhängen.
Fiona, ehemals Dozentin, glaubt immer noch, dass ihre Tochter lebt. Doch der Verlust zerfrisst sie psychisch. Mittlerweile ist sie erwerbsunfähig, und der Alkohol ist zu ihrem Tröster geworden. In einer Selbsthilfegruppe lernt sie Theresa kennen. Der gegenüber hat sie ein ungutes Gefühl, traut ihr nicht und wird mit einer Situation konfrontiert, die auch der Leser kaum für möglich gehalten hätte.
Beiläufig erscheinende Texteinschübe schaffen neue Spannungselemente. Der Leser mutmaßt, er sei dem Täter auf der Spur. An den Tatorten wurde ein Lieferwagen beobachtet (Gehört er dem Entführer?). Seit Wochen sitzt ein alter Mann auf der Parkbank und schenkt den Kindern Bonbons (Ist er irgendwie beteiligt?). Adrian verhält sich neuerdings so seltsam. Jens Zach – eine unangenehme Erinnerung, die Fiona schon verdrängt hatte – will sie unbedingt sprechen (Was weiß er denn schon?).
Obwohl alles reichlich komplex scheint, liest sich der Roman sehr leicht und flüssig. Der Sprachstil ist schlicht und immer handlungsorientiert.
Das Motiv der Täter hätte nach meinem Gusto noch besser herausgearbeitet werden können. Die Auflösung des Falls "Sophie" ist zwar unerwartet, aber irgendwie an den Haaren herbeigezogen.
Hanna Winter, ein Neuling unter den deutschen Krimiautoren, hat mit ihrem Debütroman einen guten Start hingelegt. Bis zum Ziel muss sie noch manche Kurve flüssiger nehmen.