Ein Ort für immer
von Graham Norton
Nach einer missglückten Ehe findet Carol Crottie einen liebenswerten Partner, doch als er zum Pflegefall wird, kompliziert sich ihr Leben – durch ihre eigenen Eltern, seine erwachsenen Kinder und ein Immobiliengeschäft mit unerwarteten Geheimnissen.
Spätes Glück, schweres Leid und böse Überraschungen
In der englischsprachigen Medienlandschaft ist der äußerst umtriebige irische Schauspieler, Comedian, Talkshow-Gastgeber und Buchautor Graham Norton eine populäre, mit einem guten Dutzend Auszeichnungen geehrte Fernsehpersönlichkeit, die sich auch in der Gay-Community profiliert hat. Von den acht vorwiegend humoristischen Büchern, die er seit 2004 veröffentlicht hat (zwei Autobiografien, ein Sachbuch und fünf Romane) hat der Kindler-Verlag seit 2017 die letzteren auf Deutsch herausgegeben, als neuestes »Forever Home« (2022) unter dem Titel »Ein Ort für immer«, übersetzt von Silke Jellinghaus.
Es sind durchweg in Graham Nortons irischer Heimat angesiedelte ›Kleinstadtkrimis‹, die von vielen Lesern für ihr Lokalkolorit, ihre spannenden, teils unheimlichen Fälle, insbesondere aber für die Herzenswärme und Heiterkeit ihres Erzählstils gerühmt werden. Auch »Forever Home« erhielt von den britischen Medien höchstes Lob.
Der Ort der Handlung ist die abgeschiedene (fiktive) Küstenstadt Ballytoor. Hier fällt Carol Crottie das unerwartete Glück einer späten zweiten Liebe zu. Als drittes Kind vermögender Eltern wurde sie Englischlehrerin, verliebte sich in den von allen Kolleginnen angehimmelten Sportlehrer Alex, heiratete ihn und gebar bald einen süßen Sohn, den sie Craig nannten. Knapp sechs Jahre später ist ihre Ehe mit dem Frauenheld am Ende. Nach der Scheidung steht sie vorerst ohne eigene Einnahmen da, und bald ist ihr Vermögen aus dem Verkauf des ehelichen Hauses weitgehend aufgebraucht oder für Craigs Zukunft investiert (er arbeitet später als Makler in London).
Dennoch hat sie es nicht nötig und auch keine Lust, für ein bisschen Taschengeld untalentierten Kindern Nachhilfe zu geben. Doch bei Sally Barry macht sie eine Ausnahme. So lernt sie bei unterhaltsamen Besuchen im Hause Barry deren Vater Declan kennen, der Sally und ihren Bruder Killian alleine großzieht, seit er vor einigen Jahren auf mysteriöse Weise seine Frau verlor. Er ist mindestens so einsam wie Sallys sympathische Nachhilfelehrerin, und die zieht bald zu ihm in sein Haus.
Zehn Jahre später sind Sally und Killian gar nicht mehr begeistert über die Beziehung ihres Vaters, und beide haben mit eigenen Problemen zu kämpfen. Doch als bei ihrem Vater Alzheimer diagnostiziert wird, kommt ihnen Carol als fürsorgliche Betreuerin und Haushälterin nicht ungelegen. Auf einfühlsame Weise schildert der Autor, mit welch aufopfernder Arbeit, welcher Erschöpfung, welchen psychischen Belastungen Carol fertigwerden muss, während der Kranke in eine eigene Welt abtaucht und sich täglich unerwartet verändert. Schließlich hat sich sein Zustand so verschlechtert, dass die Einweisung in ein Pflegeheim unumgänglich ist. Ehe sich Carol versieht, wird sie des Hauses verwiesen, denn das wollen die Geschwister nun schnell zu Geld machen.
So findet sich Carol, die ihr Leben stets selbstbestimmt geführt hatte, mit ihren 48 Jahren wieder in ihrem ehemaligen Jugendzimmer im elterlichen Haus. In einer Weise, die Carol kaum ertragen kann, mischen sich ihre Eltern in ihr Leben ein. Ihre resolute Mutter Moira, selbst gut achtzig Jahre alt, hält ihre Tochter für zu passiv und zu naiv, um ihre Zukunft zu gestalten, und nimmt die Zügel in die Hand. Unter dem Namen seiner Firma erwirbt der Vater das zum Verkauf stehende Barry-Haus für seine Tochter, damit es schnell renoviert und im besten Fall mit Gewinn wieder verkauft werden soll. Es versteht sich, dass Declans Kinder sich hintergangen fühlen, als sie von diesem Trick erfahren. Heftiger Streit ist vorprogrammiert.
Mit den Renovierungsarbeiten im Hause Barry wird ein Geheimnis ans Tageslicht befördert, das den Plot mit einer kräftigen Wendung in Schwung versetzt und wachsende Spannung verspricht. In der Tat motivieren uns weitere Überraschungen zu eigenen Überlegungen, wer wie und warum hinter den Rätseln stecken mag. Doch so leichtfüßig sich der Roman auch entwickelt und liest, so realitätsfern und durchsichtig konstruiert erscheint der Handlungsgang im kritischen Rückblick. Aus der Schar der ausgiebig dargestellten Charaktere sticht einzig die agile Mutter Moira heraus. Im Gegensatz zu ihr haben die Frauen und Männer aus der Generation ihrer Kinder bei Licht betrachtet eigentlich beklagenswerte Schicksale, und ihre Leben scheinen aus diversen Gründen verpfuscht.
Unterm Strich ist Graham Nortons jüngstes Werk nicht mehr als eine nette, seichte Unterhaltungslektüre, die man gern und neugierig liest, der aber im Verlauf der Handlung zu viel abhanden kommt: der anfänglich erhoffte Tiefgang, die vielgerühmte Warmherzigkeit des irischen Kleinstadtlebens, die überzeugende Auflösung aller Rätsel.