Papa will es so.
Was da auf Pfählen aufgespießt präsentiert wird, sind Köpfe – mit der Axt abgeschlagene menschliche Köpfe. So blutrünstig und brutal beginnt Giles Blunts Thriller "Eismord" ("Crime Machine", übersetzt von Anke und Eberhard Kreutzer). Wir befinden uns in Algonquin Bay, in Kanadas Eiswüste mit ihren vielen Seen und undurchdringlichen Wäldern. Wer begeht nur so eine grausame Tat? Was könnte diesen Menschen zu solch einer Bestialität getrieben haben? Und wer sind die beiden Toten, die Detective John Cardinal des Nachts auf den Bohlen an einem Bootssteg aufspürt? Doch so weit sind wir noch nicht ...
Die 18-jährige Indianerin Sam wird zufällig Zeugin einer Gewalttat. In einem leerstehenden Anwesen am Trout Lake hatte sie ein geheimes Stelldichein mit dem wesentlich älteren Immobilienmakler Randall. Als der schon weggefahren und Sam allein im Haus ist, vernimmt sie unerwartet Schritte im Haus. Sie verkriecht sich unterm Bett, hört aus dem Wohnzimmer Stimmen, allgemeines Gelächter, Gläserklirren, dann einen Schuss, einen Männerschrei, einen weiteren Schuss. Sam versucht sich zu beruhigen: Nur nicht in Panik verfallen, ruhig atmen, nachdenken! In einem günstigen Moment zerschlägt sie mit einem Stuhl ein Fenster, und es gelingt ihr zu fliehen. Aber sie verletzt sich an den Glassplittern, und ihre Blutspuren sind im Schnee gut zu sehen. Schon pfeifen Kugeln hinter ihr her, und die Täter nehmen die Verfolgung auf.
Unglücklicherweise hat Sam ihr Handy im Haus liegen gelassen. Jetzt durchleidet sie Todesängste, denn die Täter werden sie bald aufspüren.
Nachdem sie es geschafft hat, sich in Sicherheit zu bringen, müsste sie natürlich die Polizei alarmieren – doch sollte sie das wirklich tun? Das würde Randall in gewaltige Schwierigkeiten bringen. Er ist verheiratet, und seine Frau Laura kandidiert als Abgeordnete für das Bundesparlament ...
Schließlich entdecken zwei 13-jährige Jungs, die sich am See herumtreiben und durch ein Fenster des Hauses an der Landzunge spinksen, die Leichen und verständigen die Ortspolizei. Bald treffen Detective Cardinal, Kollegin Lise Delorme und die Spurensicherung am Tatort ein. Was sie vorfinden, sind zwei enthauptete Körper – ein Mann, eine Frau, beide russische Pelzhändler – und ein Holzsplitter, der nach Öl riecht.
Der Ölgeruch ist es, der Cardinal später aus dem Bett reißt: Er hat eine Inspiration, die ihn zu dem Bootssteg führt. Der Kreis schließt sich ...
Die Aufklärung dieses spektakulären Falls entpuppt sich für Cardinal und Delorme als äußerst schwierig, und für den Special Agent vom FBI, der noch hinzugezogen wird, nicht minder. Alle Spuren verlaufen sich im Pelzhändlermilieu. Randalls Affäre mit Sam kommt natürlich ans Licht und sorgt für Aufsehen und weitere Komplikationen.
Während sich die Ermittler langsam vorantasten, erfährt der Leser schon etwas über einen Mann, der im Leben gestrandete Jugendliche bei sich aufnimmt, ihnen eine Familie bieten möchte und sie mit Strenge diszipliniert: "Papa will es so." So abseitig und realitätsfern dieser Handlungsstrang auch erscheinen mag, gibt er dem Thriller doch eine weitere außergewöhnliche Note – und er bleibt im Gedächtnis haften.
Giles Blunt zählt in Kanada zu den erfolgreichsten Thrillerautoren, und mit "Eismond" hat er gute Arbeit geleistet. Von Anfang an ist der Leser gefesselt, und die Spannung lässt kaum nach, wenn weitere Morde geschehen. Gern möchte man klüger sein, als die Polizei erlaubt – doch Vorsicht: Schnell ist man auf dem Glatteis ausgerutscht. Und außerdem hat Blunt noch ein Ass im Ärmel, das er erst am Schluss zieht und auf den Tisch kloppt ...
Wenn Sie sich für das Original interessieren: Gedruckte Bücher aus Kanada sind bei uns sehr teuer; deshalb hier der Link zur Kindle-Ausgabe: "Crime Machine".